Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Multimodale Therapie bei chronischer Lumbago
Gemeinsam sind wir stärker!

Bislang konnte bei chronischen Schmerzen im Allgemeinen keine relevante funktionelle Verbesserung durch Opiate erreicht werden [51, 60], wobei keine Studien zur längerfristigen Behandlung (über 1 Jahr) vorliegen [70]. Da es bei chronischen Rückenschmerzen oftmals nur kurzfristig zu einer Linderung durch Opiate kommt, sind Dosissteigerungen (mit dem Risiko einer Abhängigkeit [1]) und andere Nebenwirkungen (u.a. psychiatrisch, immunologisch, endokrinologisch, kardiologisch [8, 70]) nicht selten die Folge [67]. In der kürzlich aktualisierten Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen (LONTS) wird empfohlen, die Anwendung in der Behandlung chronischer Rückenschmerzen auf „Patienten mit einem nach ärztlicher, psychologischer und physiotherapeutischer Einschätzung relevanten somatischen Anteil in der Schmerzentstehung und Aufrechterhaltung sowie unzureichendem Ansprechen auf die nicht-medikamentöse Therapien“ zu beschränken. Patienten mit „funktionellen Rückenschmerzen oder psychischen Störungen mit dem Leitsymptom chronischer Rückenschmerz“ sollten explizit nicht mit Opioiden behandelt werden. Eine längerfristige Behandlung chronischer Rückenschmerzen kann bei Therapierespondern erfolgen, wenn eine bedeutsame Schmerzreduktion und/oder Verbesserung des Allgemeinbefindens bei fehlenden oder erträglichen Nebenwirkungen erreicht wurde, eine Reevaluation der Wirksamkeit muss spätestens nach 12 Wochen erfolgen [23].

Co-Analgetika

Bei einem vorwiegend neuropathischen Schmerzbild (z.B. brennend, elektrisierend) sind die Antikonvulsiva Pregabalin und Gabapentin Mittel der ersten Wahl. Im klinischen Alltag hat es sich zur Reduktion von Nebenwirkungen bewährt, die Eindosierung bei diesen Präparaten langsam und schrittweise vorzunehmen. Wir empfehlen insbesondere von der Startdosis, die in den Fachinformationen mancher Pregabalin Präparate mit 150 mg/d angegeben wird, Abstand zu nehmen, da dies oft schlecht vertragen wird. Desweiteren konnten z.B. die Antidepressiva Amitriptylin und Duloxetin eine positive Wirkung bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen von chronischer Lumbago zeigen und werden in gängigen Leitlinien empfohlen [58, 64]. Bei der Verordnung dieser Medikamentengruppe ist im Zeitalter der „Dr. Google-Zweitmeinung“ jedoch eine ausführliche Information des Patienten über das Wesen und den Sinn einer solchen Medikation essentiell, um eine ausreichende Compliance zu fördern. Oftmals ist diese Medikamentengruppe bei Patienten mit chronischer Lumbago jedoch nur schlecht wirksam, da der neuropathische Schmerzanteil hier meist nicht im Vordergrund steht.

Cannabinoide

Die Ergebnisse von Langzeitbeobachtungsstudien belegen zwar den Effekt von Cannabinoiden bei chronischen nichttumorbedingten Schmerzen, allerdings nur bei selektierten Patienten und in nur mäßiger Stärke [29]. Die positiven Effekte waren vor allem bei neuropathischen Schmerzen zu sehen. Die Evidenzlage rechtfertigt einen breiten Einsatz von Cannabinoiden bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen aktuell nicht, sodass eine solche Therapie nur in sorgfältig ausgewählten Einzelfällen in Frage kommen sollte [24]. Es fehlen derzeit noch qualitativ hochwertige Studien zur Wirksamkeit von Cannabinoiden in der Behandlung von chronischer Lumbago [29].

Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei chronischer Lumbago durch eine (analgetische) Medikation mitunter eine wirksame Schmerzlinderung erreicht werden kann, die dem chronisch kranken Schmerzpatienten ein „therapeutisches Fenster“ öffnet, das sich aber nach einer gewissen Zeit durch den eintretenden Wirkverlust oder durch das Auftreten von Nebenwirkungen wieder schließt. Diese Zeit muss für den Beginn von anderweitigen, längerfristig wirksamen Therapien genutzt werden.

Interventionen

Interventionelle oder invasive Therapien dienen über perkutane oder operative Verfahren der Medikamentenapplikation, Neurostimulation und der reversiblen oder dauerhaften Ausschaltung bestimmter Strukturen. Generell können sie diagnostischen oder therapeutischen Zielen dienen. Radiologische und pathologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Facettengelenke und Bandscheiben am häufigsten degenerative Veränderungen aufzeigen, meist in direktem Zusammenhang miteinander. Eine klare Korrelation zwischen bildgebendem Befund und den schmerzauslösenden Strukturen findet sich oft nicht. Wichtiger bei der Zuordnung von schmerzauslösenden Strukturen ist der klinische Befund, wobei es keine eindeutigen klinischen Untersuchungsbefunde für eine spezifische Pathologie gibt. Die Kombination aus klinischem Untersuchungsbefund und gezielten interventionellen Maßnahmen ist im klinischen Alltag eine elegante Möglichkeit der Diagnosesicherung [57].

Therapieprinzipien können eine passagere Blockade von Nerven durch Lokalanästhetika, eine Änderung der nervalen Funktion, eine längerfristige Ausschaltung durch Kälte- oder Hitzereize oder die Applikation von analgetisch wirkenden Medikamenten sein [13].

Indikationen: Diese Verfahren können zur Akutschmerztherapie, der Überbrückung bis zur Heilung oder Wirkung einer anderen Therapie, zur Prävention einer weiteren Schmerzchronifizierung im Rahmen einer multimodalen Betrachtungsweise und zur Langzeittherapie eingesetzt werden; die gezielten Verfahren dienen darüber hinaus auch zu diagnostischen Zwecken mit besserer Evidenzlage als ihr Ruf teilweise suggeriert [32].

Die Auswahl des Verfahrens richtet sich nach der beabsichtigten Therapiedauer, aber auch nach der bereits bestehenden Chronifizierung bzgl. der Schmerzursache. Hier sollte unterschieden werden zwischen schneller und kurzfristiger Schmerzlinderung z.B. bei akuten radikulären Schmerzen durch einen Bandscheibenvorfall und einer längerfristigen Behandlung nach Versagen anderer Maßnahmen wie z.B. dem Einsatz einer Schmerzpumpe. Umstritten sind interventionelle Maßnahmen bei chronifizierten Schmerzen der Wirbelsäule insbesondere dann, wenn ein dysfunktionales Schmerzverhalten (s.u.) und eine weiter bestehende Reizung peripherer Rezeptoren nicht mit in die Therapieplanung einbezogen werden. Generell gilt, dass bei fortschreitender Chronifizierung weniger auf interventionelle Verfahren alleine als auf ein multimodales Konzept gesetzt werden sollte. Gerade bei chronischen Schmerzen ist die interdisziplinäre Betrachtung auch mit Einbeziehung eines Schmerzpsychologen wichtig, um einen fehlenden Therapieerfolg zu verstehen, z.B. um die yellow flags (Tab.1) zu identifizieren und schlussendlich das Therapieregime individuell anzupassen. Somit ergeben sich je nach Erkrankung unterschiedliche Stellenwerte interventioneller Verfahren. Im Bereich der Wirbelsäule bietet sich eine Unterscheidung nach Beschwerdedauer und dem Vorliegen radikulärer Symptome an [2].

Infiltrationstechniken

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