Übersichtsarbeiten - OUP 04/2023

Nicht jeder dorsale Fersenschmerz ist eine Haglundexostose

Jörg Jerosch

Zusammenfassung:
Bei der Abklärung des dorsalen Fersenschmerzes ist auf das Vorhandensein einer Achillessehnenenthesiopathie zu achten. Diese ist unbedingt von einer Haglundexostose zu unterscheiden.
Ist eine dorsale Achillessehnenenthesiopathie vorhanden, so ist diese in der Regel die Ursache für
die Beschwerden und sollte operativ entfernt werden.

Schlüsselwörter:
Dorsaler Fersenschmerz, Haglundexostose, dorsale Achillessehnenenthesiopathie

Zitierweise:
Jerosch J: Nicht jeder dorsale Fersenschmerz ist eine Haglundexostose.
OUP 2023; 12: 139–143
DOI 10.53180/oup.2023.0139-0143

Summary: The differential diagnosis of posterior heel pain includes the achilles tendon enthesiopathy. This needs to be differentiated from a Haglund exostosis. If an enthesiopathy of the achilles tendon is present, this is usually the reason for the pain and should be resected surgically.

Keywords: Dorsal heel pain, Haglund exostosis, enthesiopathy of the achilles tendon

Citation: Jerosch J: Not every dorsal heel pain is a Haglund exostosis
OUP 2023; 12: 139–143. DOI 10.53180/oup.2023.0139-0143

Wissenschaftsbüro Neuss

Einleitung

Wir haben schon verschiedentlich auf die Differenzierung zwischen Hagdlundexostose und Enthesiopathie der Achillessehne hingewiesen [5]. Unsere gutachterlichen Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass es hier immer wieder zu arzthaftpflichtlichen Problemen kommt. Aus diesem Grund wollen wir im vorliegenden Artikel dieses Problemfeld noch einmal beleuchten.

Chronische Schmerzen im Bereich des Rückfußes stellen im klinischen Alltag ein häufiges Problem dar. Eine differenzierte Diagnostik ist die Grundlage zur Ermittlung der verschiedenen Entitäten. Neben der akuten und chronischen Affektion des Paratenons ist die ansatznahe von der nicht ansatznahen Achillessehnentendopathie zu differenzieren. Vor dem Hintergrund histomorphologischer Untersuchungen, in denen die Abwesenheit inflammatorischer Prozesse nachgewiesen wurde, ist der Begriff der Tendinitis zu Gunsten der Tendinopathie verlassen worden. Die ansatznahe Tendinopathie ist häufig mit einer retroachillären Bursitis in Kombination mit einer knöchernen Ausziehung des postero-lateralen Kalkaneus, der sog. Haglundexostose vergesellschaftet (Abb. 1).

Hiervon unbedingt zu unterscheiden ist die ansatznahe kalzifizierende Enthesiopathie der Achillessehne (Abb. 2).

Neben der konservativen Therapie mit Physiotherapie, physikalischen Maßnahmen sowie Stoßwellentherapie stellt die operative Therapie oft die letzte Alternative dar. Während die retroachilläre Bursitis sowie die Haglundexostose operativ minimalinvasiv endoskopisch therapiert werden können [18, 2–4, 6], ist die kalzifizierende
ansatznahe Achillessehnenenthesiopathie endoskopisch nicht zu erreichen. Die Kalzifikation liegt weit distal unmittelbar im Insertionsbereich der Achillessehne und ist von Sehnengewebe umgeben.

Oft findet sich radiologisch neben der Enthesiopatie auch eine Haglundexostose des Kalkaneus. Klinisch sind jedoch unbedingt beide Entitäten zu unterscheiden. Dieses ist in der Regel schon aufgrund der Lokalisation des Druckschmerzes möglich. Während bei der Enthesiopatie der Druckschmerz streng dorsal distal liegt, findet sich bei der Haglundexostose dieser weiter proximal. Sind radiologisch beide Entitäten vorhanden, so ist in aller Regel die Enthesiopathie klinisch symptomatisch. Diese sollte somit unbedingt operativ mit behandelt werden.

Wir beobachten jedoch in unserer Sprechstunde immer wieder Patienten, bei denen in derartigen Konstellationen nur die Haglundexostose operativ adressiert wurde (Abb. 3, 4).

Operationstechnik zur
Entfernung der Achillessehnenenthesiopathie

Der Zugang erfolgt über eine zentrale dorsale longitudinale Inzision über der distalen Achillessehne (Abb. 5). Nach Eröffnung des Peritendineums wird die Achillessehne im Bereich der Insertion longitudinal gespalten und die ansatznahe Verkalkung schrittweise durch Desinsertion des dorsalen Ansatzes dargestellt. Dabei wird ganz besonders auf die Schonung der medialen und lateralen Achillessehnenzügel geachtet, welche mit kleinen Hohmann-Hebeln geschützt werden (Abb. 6). Nach Darstellung der Verkalkung wird diese mit dem Meißel sowie dem Luer vollständig abgetragen (Abb. 7). Gleichzeitig erfolgt die Bursektomie der retroachillären Bursitis sowie der Resektion des proximalen Fersenbeinhöcker (Haglundexostose) soweit vorhanden. Anschließend erfolgt die Refixation mittels transossärer Naht oder mit einem 5 mm Titananker mit 2 nicht resorbierbaren Fäden, welche in den dorsalen Anteil des Kalkcaneus nach Vorbohren mit einem Pfriem eingebracht werden (Abb. 8). Die Sehnenrefixation erfolgt durch eine Durchflechtungsnaht (Abb. 9). Postoperativ ist ein seitliches Röntgenbild ausreichend (Abb. 10).

Nachbehandlung

Der Patient erhält postoperativ eine Achillessehnenorthese in Neutralstellung für 6 Wochen. Nach initialer Teilbelastung bis zur Wundheilung über einen Zeitraum von 2 Wochen, erfolgte ein Belastungsaufbau bis zur unterarmgehstützenfreien Mobilisation. Nach der 6. Woche schließt sich eine Vollbelastung im konventionellen Straßenschuh an.

Diskussion

Die Ursache der kalzifizierenden Enthesiopathie der Achillessehne ist bisher noch nicht eindeutig geklärt. Maffulli et al. konnten zeigen, dass bei Patienten mit einer kalzifizierenden Insertionstendinopathie die Tenozyten eine chondrale Metaplasie aufweisen und im Vergleich zu normalen Vergleichsgeweben eine abnorme Rate von Kollagen Typ 2 und 3 produzieren [12]. Shim et al. konnten im Rahmen einer in vitro-Studie an Ratten zeigen, das eine kurzfristige zyklische Belastung von Sehnengewebe durch hydrostatischen Druck zu einer vermehrten Genexpression für Kollagen 2 und einer Downregulation für Kollagen Typ 1 führt [17]. Die Autoren schlossen daraus, dass eine zyklische hydrostatische Druckbelastung von Sehnengewebe eine fibrokartilaginäre Metaplasie der Tenozyten durch veränderte Genexpression bewirken kann.

Lyman et al. zeigten, dass die Spannung an der Achillessehneninsertion während der Bewegung von der Plantarflexion in die Dorsalflexion unter Belastung zu einer signifikanten Spannungszunahme der dorsalen Sehnenanteile führt, wohingegen die ventralen Sehnenanteile einen Spannungsabfall verzeichneten [11]. Die Autoren erkannten in ihren Ergebnissen ein relatives „stress shielding“ der ventralen Achillessehnenanteile, obwohl diese hauptsächlich an der Insertionstendinopathie beteiligt sind. Hieraus schlossen sie, dass die Kausalität zwischen repetetiver Belastung der Achillessehne und der Entstehung einer Insertionstendinopathie erheblich komplexer zu sein scheint, als bisher angenommen.

Die Tatsache, dass eine kalzifizierende Insertionstendinopathie der Achillessehne nicht nur bei Laufsportlern, sondern auch bei Personen, die keine repetitiven Dauerbelastungen der Achillessehne aufweisen, unterstreicht die vermutlich multifaktorielle Genese.

Bei chronischen Beschwerden der Achillessehne wird zunächst ein konservativer Behandlungsversuch über einen Zeitraum von 6 Monaten empfohlen, wobei in der Literatur nicht immer zwischen einzelnen Entitäten der Achillessehnentendinopathie unterschieden wird [9, 15, 16].

Im Hinblick auf eine operative Therapie ist eine klare Differenzierung der klinischen Beschwerden in Korrelation mit der bildgebenden Diagnostik essentiell, um einen Behandlungserfolg erzielen zu können. Die Differenzierung der ansatznahen von der ansatzfernen Tendinopathie fällt in der akuten Phase hierbei häufig nicht schwer, da die klinischen Befunde bei der ansatzfernen Form mit deutlicher Sehnenverdickung und lokalem Druckschmerz deutlich zu Tage treten [15]. Mitunter sind auch neben der Verdickung Krepitationen über der gleitenden Sehne tastbar [8, 14].

Die Differenzierung zwischen der retroachillären Bursitis in Verbindung mit einer Haglundexostose und der kalzifizierenden Insertionstendinopathie kann zuweilen schwierig sein. Während die Beschwerden bei der Haglundexostose eher an der dorsalen oberen medialen Kante des Fersenbeines sowie retroachillär lokalisiert sind, lässt sich bei der Ansatztendinopathie der Hauptschmerz vorwiegend über dem distalen Drittel des dorsalen Kalkaneus im Bereich der Tuberositas auslösen. Im Zweifel können Testinfiltrationen mit Lokalanästhetika eine klare Differenzierung erzielen.

Die operative Therapie der retroachillären Bursitis in Verbindung mit einer Haglundexostose wird seit einigen Jahren endoskopisch minimal-invasiv realisiert. Van Dijk beschrieb erstmalig 2001 die Technik der endoskopischen Kalkenoplastie an 20
Patienten [18]. In der retrospektiven Studie mit einem Follow up nach 3,9 Jahren, beschrieb der Autor gute bis exzellente Ergebnisse bei 19 von 20
Patienten. Bei eigenen Untersuchungen [3] erzielten wir bei einem Patientenkollektiv von 81 Patienten bei einem durchschnittlichen Nachuntersuchungszeitpunkt von 35 Monaten ähnliche Ergebnisse. In beiden Studien wurden die im Vergleich zu offenen Verfahren bestehenden Komplikationsarmut der beschriebenen Technik beschrieben. Ferner führt die endoskopische, im Vergleich zur offenen Technik zu einer Verkürzung der Eingriffszeit bei gleichzeitig verbesserter Beurteilbarkeit der bestehenden pathologischen Veränderungen.

Im Gegensatz zur Haglundexostose ist die kalzifizierende Enthesiopathie der Achillessehne endoskopisch nicht zu therapieren, da die Kalzifikation in der Regel am distalen Ansatz der Achillessehne beginnt und sich über die Tuberositas des Fersenbeines in die distale Achillessehne erstreckt. Um einen möglichst vollständigen Überblick über die bestehende Pathologie zu erhalten, wird in der Literatur die zentrale, longitudinale Inzision der Achillessehne mit Desinsertion des Ansatzes bevorzugt. Da die das Fersenbein medial und lateral umfassenden Achillessehnenfasern [10] von der Pathologie nicht betroffen sind, ist eine Ablösung dieser Zügel nicht notwendig und zum Erhalt der Stabilität der Insertion nicht gewünscht, sodass während der Präparation insbesondere auf die Integrität dieser Zügel geachtet wird. Durch die Schonung dieser Fasern sowie der zusätzlichen transossären Reinsertion der Achillessehne mit einem Titananker, kann eine hohe primäre Stabilität erreicht werden, sodass die Nachbehandlung in der Orthese in Neutralstellung angeschlossen werden kann und somit eine spezielle Therapie zur Verhinderung einer sekundären Sehnenverkürzung entfällt.

Anderson et al. verglichen einen offenen, transachillären mit einem seitlichen, paraachillären Zugang zur Resektion einer retroachillären Bursitis bei Haglundexostose [1]. In der retrospektiven Betrachtung von 30 Patienten mit transachillärem und 32 Patienten mit lateralem Zugang zeigte sich im Follow up nach durchschnittlich 12 bzw. 15 Monaten in beiden Gruppen ein verbesserter AOFAS-Score prä- zu postoperativ, wobei die Rückkehr zur normalen Belastungsfähigkeit in der Gruppe der transachillär operierten Patienten schneller resultierte, im Durchschnitt nach 4,1 Monaten.

Johnson et al. ermittelten in einer prospektiven Analyse an 22 Patienten das funktionelle Outcome mit Hilfe des AOFAS-Scores. Die operative Resektion der Kalzifikation erfolgte über eine zentrale Längsinzision der Achillessehne mit Refixation des Sehnenansatzes mit Fadenankern [7]. Im Rahmen der Nachuntersuchung im Durchschnitt 34 Monate postoperativ verbesserten sich die Scores für Schmerz und Funktion signifikant. Probleme mit dem Schuhwerk oder störende Narbenbildung konnten die Autoren nicht beobachten. Bei einer Patientenzahl von 22 ist jedoch eine Aussage über signifikante Veränderungen vorsichtig zu bewerten. Trotzdem sind die Ergebnisse mit denen in der vorliegenden Studie vergleichbar. Obwohl die Ablösung des Achillessehnenansatzes mit sekundärer transossärer Refixation primär als deutlich invasiveren Zugang angesehen werden könnte, resultieren hieraus bei guten funktionellen Ergebnissen keine Komplikationen wie Rerupturen oder Narbenbildungen, die zu Schuhkonflikten führen.

Das Risiko der Reruptur wird in der Untersuchung von Maffulli et al. negiert [13]. Auch sie konnten bei 21 Patienten ca. 4 Jahre nach erfolgter Desinsertion des Achillessehnenansatzes und Reinsertion mit Knochenankern aufgrund einer kalzifizierenden Enthesiopathie keine einzige Reruptur der Achillessehne beobachten. Mafulli berichtet über 11 gute und exzellente Ergebnisse. Jedoch berichtet er auch über 5 von 21 Patienten, die nicht in der Lage waren, den vorherigen Aktivitätslevel wieder zu erreichen.

Auch Wagner et al. verglichen bei 74 Patienten mit einer Insertionstendinopathie postoperativ Parameter wie Schmerz, Aktivitätsniveau, Änderung des Gangbildes, Arbeits- und Sportfähigkeit [19]. Hierbei stellten sie Patienten, bei denen operativ die Achillessehne abgelöst und später refixiert wurde, Patienten gegenüber, bei denen die Achillessehne nicht abgelöst wurde. Im Vergleich konnten keine statistisch signifikanten Unterschiede in den Gruppen bezüglich der Parameter ermittelt werden. Jedoch war die Anzahl der unzufriedenen Patienten in der Gruppe mit abgelöster Achillessehne höher. Eine Begründung dafür kann jedoch auch die zu Grunde liegende Erkrankung und nicht die Operationsmethode sein. Während eine retroachilläre Bursitis sowie die Haglundexostose ohne Ablösung der Achillessehne therapiert werden kann, ist die Kalzifkation im Bereich der Insertion nicht ohne zumindest partielle Ablösung zu operieren.

In diesem Zusammenhang fand Watson klare Unterschiede bezüglich des funktionellen Outcomes bei Patienten mit retroachillärer Bursitis und kalzifizierender Insertionstendinopathie [20]. Neben höherer Schmerzscores und geringerer Zufriedenheit benötigten die Patienten mit der Insertionstendinose fast die doppelte postoperative Zeit, um eine deutliche Beschwerdebesserung zu erlangen.

Diese Beobachtung deckt sich ebenfalls mit unseren Erfahrungen [5]. Nahezu alle befragten Patienten gaben einen Zeitraum von 8–10 Monaten an, der benötigt wurde, um eine Beschwerdefreiheit zu erlangen und vollständige Aufnahme der beruflichen und sportlichen Tätigkeiten bis hin zum Hochleistungssport realisieren zu können.

Aus der Zusammenschau lässt sich ableiten, dass die longitudinale Inzision der Achillessehne mit dorsaler Ablösung des Sehnenansatzes und anschließender Refixation mit Knochenankern eine komplikationsarme Technik zur Behandlung der kalzifizierenden Insertionstendinopathie darstellt, die mittelfristig in der Mehrzahl zu guten und sehr guten funktionellen Ergebnissen führt. Das Risiko einer Ruptur der Achillessehne scheint aus unserer Sicht vernachlässigbar zu sein, wenn man bei der Präparation insbesondere auf die Integrität der seitlichen Achillessehnenzügel achtet. Vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden allgemeinen Komplikationsrisiken, speziell der tiefen Infektion mit zum Teil deletären Folgen für den Patienten bleibt auch bei der kalzifizierenden Insertionstendinopathie die Operation das Mittel der Wahl, wenn die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind. Durch zunehmendes Verständnis der Pathophysiologie dieser Erkrankung kann möglicherweise in Zukunft durch die Entwicklung spezieller Trainingsprogramme bereits frühzeitig interveniert und das Vollbild der Erkrankung mit therapierefraktärer Symptomatik verhindert werden.

Fazit

Bei der Abklärung des dorsalen Fersenschmerzes ist auf das Vorhandensein einer Achillessehnenenthesiopathie zu achten. Ist eine solche vorhanden, so ist diese in der Regel die Ursache für die Beschwerden und sollte operativ entfernt werden.

Interessenkonflikte:

Beraterhonorare von den Firmen Corin und Implantcast sowie Aufwandsentschädigungen für Vorträge und Einsätze als Instruktor von der Firma Corin.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Jerosch

Wissenschaftsbüro

Grabenstraße 11

40667 Meerbusch

SEITE: 1 | 2 | 3