Übersichtsarbeiten - OUP 01/2019

Operative Frakturbehandlung bei Kindern unter 3 Jahren

Ann-Katrin Henk, Kien-Binh Pham, Peter P. Schmittenbecher

Zusammenfassung:

Frakturen bei Kindern < 3 Jahre werden überwiegend konservativ behandelt. Operationsindikationen werden überwiegend durch Instabilität mit möglichen funktionellen
Folgeproblemen oder Gelenkbeteiligung beeinflusst. Bei Oberschenkelschaftfrakturen fließen

wegen der aufwendigen konservativen Verfahren auch soziale Aspekte in die Entscheidung ein.

OP-Entscheidungen sind ex post kritisch zu reflektieren.

Schlüsselwörter:
Fraktur, Kind, Osteosynthese, Alter < 3 Jahren

Zitierweise:
Henk AK, Pham KB, Schmittenbecher PP: Operative Frakturbehandlung bei Kindern unter 3 Jahren.
OUP 2019; 8: 026–031
DOI 10.3238/oup.2019.0026–0031

Summary: The conservative treatment of fractures in children < 3 years of age is usually the first choice.
Indications for osteosynthesis are given mainly by instability with possible functional limitations in the follow-up or articular fractures. In femur fractures conservative treatment is complex and social aspects influence the therapeutical decision. The final judgement needs reflection afterwards.

Keywords: fracture, child, osteosynthesis, age < 3 years

Citation: Henk AK, Pham KB, Schmittenbecher PP: Operative fracture care in children under the age of 3 years. OUP 2019; 8: 026–031 DOI 10.3238/oup.2019.0026–0031

Ann-Katrin Henk, Peter P. Schmittenbecher: Städtisches Klinikum Karlsruhe, Kinderchirurgie

Kien-Binh Pham: AKK Altonaer Kinderkrankenhaus gGmbH, Hamburg

Hintergrund

Die Prävalenz von Frakturen im Kindesalter liegt in Mitteleuropa etwa bei 20 pro 1000 Kinder [14]. Eine spezifische Prävalenz für Kinder unter 3 Jahren wurde bisher nicht evaluiert. Die Frakturbehandlung erfolgt in dieser Altersgruppe aufgrund des an vielen Stellen großen Korrekturpotenzials in der Regel konservativ [15], dennoch gibt es Fälle, in denen eine operative Therapie notwendig ist. So ist bei den häufigen Frakturen im Bereich des Ellenbogens das Korrekturpotenzial auch beim Kleinkind limitiert, und es kommt zumindest in der Frontalebene zu keinem relevanten Remodelling [24]. Auf der anderen Seite sind am Oberschenkel die konservativen Verfahren sehr aufwendig und werden deshalb zunehmend von operativen Vorgehensweisen verdrängt [27].

Die vorliegende Arbeit analysiert retrospektiv die in einer traumatologisch ausgerichteten, kinderchirurgischen Klinik operativ behandelten Frakturen bei unter 3-Jährigen in einem Zeitraum von 9 Jahren, um die Indikationen zur operativen Therapie ex post kritisch zu hinterfragen.

Material und Methoden

Aus dem Klinikinformationssystem des Klinikums Karlsruhe wurden alle Fälle erfasst und retrospektiv analysiert, die im Zeitraum vom 01.06.2007 bis zum 31.05.2016 mit einer OPS-Prozedur 5–79 (Reposition von Fraktur und Luxation) behandelt wurden und bei denen die Kinder zum Zeitpunkt des Haupteingriffs das 3. Lebensjahr nicht vollendet hatten.

Erhoben wurden die Frakturklassifikation, die Stellung der Fraktur nach dem Unfall, die Indikation zur Operation, das gewählte Verfahren, die postoperative Stellung sowie der radiologische und klinische Verlauf bis zur Frakturheilung respektive bis zum Abschluss der ambulanten Nachbetreuung.

Ergebnisse

In der Kinderchirurgischen Klinik des Klinikums Karlsruhe wurden im Zeitraum 06/2007–05/2016 insgesamt 61 Frakturen bei 60 Kindern < 3 Jahre operativ behandelt. Das jüngste Kind war 2 Monate alt, das älteste 35 Monate. Das mittlere Alter lag bei 24 Monaten. Die Geschlechterverteilung war 1,14:1.

Die Therapie erfolgte in 85 % der Fälle primär operativ. Bei radiologisch festgestellter sekundärer Dislokation war in 9 Fällen (15 %) eine sekundäre operative Versorgung notwendig. Die Metallentfernung erfolgte abhängig vom Frakturtyp (Tab. 1 stellt die Frakturen zusammen).

Die Krankenhausaufenthaltsdauer betrug in der Regel 2 Nächte und lag nur in Ausnahmefällen bei Mehrfach- oder Begleitverletzungen, bei verzögerter operativer Versorgung oder nach Misshandlung höher.

Zwei Revisionen mit Verfahrenswechsel erfolgten bei einer Kondylus-radialis-Fraktur (Schraube fehlplatziert, sekundär K-Drähte) und bei einer suprakondylären Humerusfraktur (unzureichende K-Draht-Fixation, sekundär Fixateur externe). Bei 7 weiteren Kindern traten im Verlauf Probleme auf, die nur in 3 Fällen der Osteosynthese anzulasten waren. Nach 2 suprakondylären Humerusfrakturen und einer Unterarmfraktur erfolgte eine frühzeitige Metallentfernung wegen lokaler Reizung oder Perforation der Haut. Darüber hinaus bestand einmal 4 Wochen nach der Metallentfernung bei suprakondylärer Humerusfraktur am Ellenbogen ein Beugedefizit von 20°, das sich vollständig zurückbildete. Nach Femurschaftfraktur kam es einmal zu einer Beinlängendifferenz von 4 mm, die sich in 2 Jahren spontan ausglich. Ein Kind hatte im Langzeitverlauf Beschwerden bei sportlicher Betätigung aufgrund von Fehlbelastung, war aber nach physiotherapeutischer Behandlung beschwerdefrei. Nach Fingerfraktur kam es bei einem Kind zu einer verzögerten Frakturheilung. Nach 8 Wochen wurde eine operative Revision erwogen, dann aber zurückgestellt. Nach weiteren 6 Monaten kam es zu einer Heilung mit minimalem Beugedefizit.

Bei der retrospektiven Betrachtung der Operationsindikationen zeigte sich, dass diese bei allen suprakondylären Frakturen (alle Typ III/IV), bei den Kondylusfrakturen und den Unterarmfrakturen inklusive den Monteggia-Frakturen (Abb. 1, 2) aufgrund der Instabilität und der primären oder sekundären Dislokation und Achsdeviation aus der Sicht ex post nachvollzogen und bestätigt werden konnten. Die proximale Humerusfraktur, beide Humerusschaftfrakturen, eine Tibiaschaft- und eine distale Tibiafraktur (Abb. 3) waren primär oder sekundär deutlich disloziert und instabil, stellten für die jeweilige Lokation jedoch Ausnahmeindikationen dar. Eine Tibiafraktur war offen und mit einer Femurfraktur vergesellschaftet und wurde deshalb nachvollziehbar operativ fixiert. Bei den Femurfrakturen operierten wir Spiralfrakturen mit deutlicher Dislokation (Abb. 4), und in 2 Fällen erfolgte die ESIN auf Wunsch der Eltern. Retrospektiv wäre in einer Reihe von Femurfrakturen eine konservative Therapie gemäß der Leitlinienempfehlung möglich gewesen; die als weiches Kriterium geltende soziale resp. familiäre Gesamtkonstellation war aufgrund des retrospektiven Untersuchungsdesigns aus den Akten nicht nachzuvollziehen. Bei den Fingerfrakturen resultierte die Indikationsstellung aus 3 abgekippten Grundphalanxköpfchenfrakturen, die kein Potenzial zum Remodelling haben (Abb. 5), 2 subtotalen Amputationen mit knöcherner Verletzung und einer Fraktur einer Daumengrundphalanx mit deutlicher Dislokation. Diese Indikationen waren ebenfalls auch in Anbetracht des Alters nachvollziehbar.

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