Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015

Orthesenversorgung des Rumpfs bei Osteoporose

Bernhard Greitemann1

Zusammenfassung: Orthesenversorgungen des Rumpfs bei Osteoporose können einen wichtigen Beitrag zur Schmerztherapie liefern aber auch zur Erhaltung der Mobilität und zur Verhinderung weiterer Frakturen. Die Datenlage hierzu ist evidenzbasiert und beruht auf randomisierten Studienergebnissen. Die Tendenz geht zu eher aktiveren Mahnorthesen, bei stärkeren Schmerzen oder Frakturen haben aber auch noch die starren, stärker immobilisierenden Orthesen in der Rahmenkonstruktion ihre Indikation, die nach dem 3-Punkt-Aufrichteprinzip arbeiten. Die Kenntnis derartiger Versorgungsmöglichkeiten ist essenziell in der Betreuung dieses Patientenguts.

Schlüsselwörter: Orthesen, Osteoporose, 3-Punkt-Prinzip,
Aufrichtung, Schmerzmanagement

Zitierweise
Greitemann B. Orthesenversorgung des Rumpfs bei Osteoporose. OUP 2015; 11: 536–539 DOI 10.3238/oup.2015.0536–0539

Summary: Orthotic devices in the trunk area improve treatment of osteoporotic patients or osteoporotic fractures either in pain management or in immobilisation of fractures due to the principals of extension and 3-point-extension therapy. Today activating orthoses are an evidence based treatment which could be shown in randomized trials. Nevertheless traditional orthotic devices, individually fabricated, have their place in the treatment of severe pain or fractures. The knowledge of this form of treatment is necessary for helping osteoporotic patients.

Keywords: Osteoporosis, pain management, orthotic treatment, orthoses, fractures

Citation
Greitemann B. Orthotic devices in the trunk area of osteoporotic patients. OUP 2015; 11: 536–539 DOI 10.3238/oup.2015.0536–0539

Die Osteoporose gehört zu den wichtigsten Volkskrankheiten mit einer qualitativ schlechteren und quantitativ verminderten Knochenmasse und dadurch bedingtem konsekutivem Anstieg der Knochenbrüchigkeit und einer erhöhten Frakturneigung. Dabei ist die Wirbelsäule besonders betroffen. Man schätzt die jährliche Inzidenz von Wirbelkörperfrakturen für Frauen auf 1 %, bei Männern auf 0,6 % ein [1]. Man geht von ca. 300.000 Wirbelkörperfrakturen pro Jahr aus, wobei dies mit dem Alter steigt: je höher das Alter, umso höher die Zahl der Frakturen. Es resultieren daraus Verlust an Körpergröße, zunehmende Kyphosierungen, Schmerzen und – durch Verschiebung des Körperschwerpunktes und Veränderung der Sehposition – wiederum ein erhöhtes Risiko für Stürze, was bei Osteoporose-Patienten nicht selten auch Schenkelhalsfrakturen verursacht. Weitere Folgen sind eine Abnahme des Atemvolumens durch Einschränkung der Thoraxbeweglichkeit mit erhöhtem Risiko für sekundäre Pneumonien [2]. Hierdurch wiederum ist das Mortalitätsrisiko deutlich erhöht, chronische Schmerzen reduzieren zudem erheblich die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit im Alltag [3].

Verlauf

Die klassischen Wirbelkörperfrakturen bei Osteoporose entstehen schleichend langsam, oft unbemerkt und führen zu den typischen Wirbelkörperdeformierungen (Keilwirbel, Fischwirbel, Plattwirbel). Selten kommt es zu neurologischen Komplikationen. Oft sind 2 oder mehr Wirbelkörper betroffen, nicht selten kommt es auch zu Insuffizienzfrakturen des Os sacrum und des Beckenrings, die dann besonders schmerzhaft und schwer zu therapieren sind.

Therapie

Präventive Therapie

Wichtigstes Ziel ist es bei der Osteoporose, die Grundkrankheit frühest möglich therapeutisch anzugehen und im Rahmen eines multimodalen rehabilitativen Konzepts Frakturen zu verhindern. Hierzu gehört einerseits eine wirksame medikamentöse Einstellung, heute in aller Regel neben einer Basisabdeckung mit Vitamin D und Calcium mit antiresorptiv wirkenden Bisphosphonaten oder SERM’s, dem osteoanabol wirkenden Parathormon oder humanen monklonalen Antikörpern des RANK-Liganden. Die Wirksamkeit der rein medikamentösen Therapie ist aber eingeschränkt. Man geht davon aus, dass nur 50 % aller Frakturen durch derartige Therapien verhindert werden können [4]. Begleitet werden muss diese Behandlung durch ein intensives Mobilitätstraining. Hierzu gehört, neben einer konsequenten Förderung der Muskelkraft, insbesondere aber der motorischen Koordination, auch ein Aufmerksamkeits- und Reaktionstraining. Krankengymnastik und Medizinische Trainingstherapie spielen hier eine wichtige Rolle. Zudem ist auf ausreichende Sonnenexposition und gesunde Ernährung zu achten.

Orthesenbehandlung

Generell hat es in der Orthesenbehandlung eine erhebliche Veränderung über die Jahre gegeben. So sind starre Rückenorthesen oder Wirbelsäulenkorsette zunehmend gegenüber flexiblen Rückenorthesen in den Hintergrund getreten. Dies war ein Erfolg der wissenschaftlichen Bemühungen, insbesondere der Arbeitsgruppe um Minne, Pfeifer und Begerow. Die heutige Orthesenversorgung bei Osteoporose ist einer der wenigen Bereiche, wo gute Evidenz für die Wirksamkeit der Therapie in der Technischen Orthopädie vorliegt.

Bei der Indikationsstellung zur Orthesenversorgung muss sich der betreuende Arzt zuvor einige Fragen stellen:

Will ich die Orthese als Trainingsgerät oder als Mahnorthese nutzen (Präventionsaspekt)?

Bedarf es aufgrund der Fraktur oder einer stärkeren Schmerzsymptomatik einer rigideren Orthese, oder will man eine aktivierende, aufrichtende Orthese?

In welchem Wirbelsäulenabschnitt bzw. welcher Höhe liegt die schmerzverursachende Fraktur?

Wie ist die Körperstatur des Patienten, kann abdominaler Druck oder im Bereich der Claviculargruben akzeptiert werden?

Anhand dieser kleinen Checkliste kann der Arzt den Orthesentyp, die Orthesenbauteile und die funktionellen Anforderungen an eine Orthese festlegen und mit dem Orthopädietechniker im Team die Versorgung besprechen. Nach erfolgter Versorgung ist es Pflicht und Aufgabe des Arztes (wie in den kassenärztlichen Bestimmungen festgelegt), dass die Orthese auf ihren funktionellen Nutzen hin abgenommen wird. Die Verantwortung für die handwerklich korrekte Herstellung und Anpassung obliegt dem Orthopädietechniker. Eine wesentliche ärztliche Aufgabe ist es jedoch, den Patienten über die Notwendigkeit, den Nutzen und das Trageprinzip über den Tag eingehend zu informieren. Dies kann zwar auch vom Orthopädietechniker übernommen werden, die Compliance des Patienten ist allerdings wesentlich höher, wenn dies der betreuende Arzt übernimmt. Da die meisten Frakturen zu Kyphosierungen führen, sind aufrichtende Orthesen nach dem 3-Punkt-Prinzip zu nutzen (Abb. 1). Merke: Eine nicht getragene Orthese ist nutzlos!

Arten von Orthesen

Lumbalorthesen

Zur Behandlung der Osteoporose im Lumbalbereich werden klassischerweise Orthesen verwendet, die als Lumbosacrale Orthesen gearbeitet sind und den Sacralbereich mit fassen (LSO). Klassischerweise behandelt man hiermit Frakturen im mittleren und unteren Anteil der Lendenwirbelsäule. Rein elastische Orthesen sind hier nicht indiziert, die Orthesen werden entweder mit Kreuz-Lenden-Pelotte oder in der Technik der Überbrückungsorthese nach Hohmann bzw. als starres Korsett gefertigt. Dabei ist dem Orthopädietechniker die Frakturhöhe mitzuteilen, damit dieser die Kreuz-Lenden-Pelotte genügend hoch überbrückend in die Orthese einbezieht. Derartige Orthesen werden entweder konfektioniert oder individuell angepasst mit Bauchhebezügen angefertigt. Diese Orthesen haben einen deutlich positiven Effekt auf die Schmerzsituation, einen Abstützeffekt, aber keinen aufrichtenden Effekt, da die Thoraxfassung fehlt.

Starre Thoraco-Lumbo-Sacral-

Orthesen

Frakturen im thoracolumbalen Übergangsbereich treten besonders häufig auf und sind für den Patienten oft sehr schmerzhaft. Hier bieten sich als Versorgung Thoraco-Lumbo-Sacral-Orthesen an. Abhängig von der Höhe der Fraktur können hier auch noch hochgezogene Kreuz-Stützmieder mit hoher Überbrückungspelotte, besser aber hochgezogene Überbrückungsmieder nach Hohmann als starre Orthesen verwendet werden (Abb. 2)

Bei höher gelegenen Frakturen oder der Notwendigkeit zur stärkeren Aufrichtung ist ein Rahmen-Stützkorsett ggf. indiziert. Dieses immobilisiert deutlich stärker (Abb. 3). Die früher übliche Version in der rein starren Ausführung hatte das Problem, dass die supraclaviculären Pelotten doch erheblich Druckprobleme verursachten, daher wird heute meist ein lumbales Stützmieder mit Überbrückungspelotte und Schulterschlaufen angefertigt.

Hyperextensionsorthese in

Rahmenbauweise

Bei Kompressionsfrakturen im thoraco-lumbalen Übergangsbereich, auch im Bereich der Brustwirbelsäule, können auch leichte Orthese, wie das 3-Punkt-Korsett nach Vogt und Bähler (Abb. 4) oder in der 4-Punkt-Abstützung (Abb. 3) hergestellt werden. Sie zeichnen sich durch leichte Bauweise aus, es besteht keine Atemeinschränkung, allerdings ist auf den richtigen Sitz der Pelotten am Sternum und an der Symphyse zu achten, da sich diese leicht verschieben.

Flexible Rückenorthesen

Seit Ende der 90er Jahre wurden zunehmend flexible Rückenorthesen für die Osteoporosebehandlung eingesetzt. Sie bestehen im Prinzip aus einem langen Stabsystem, das über die gesamte Dornfortsatzreihe von C7 bis S1 in einen Orthesenkörper (normale Ausführung oder auch als Body gearbeitet, Abb. 5 und 6) eingearbeitet und anpassbar ist. Die Pelotte ist je nach Materialien (Aluminium, Karbon) schwingungsfähig, durch ein Gurtsystem mit Klettverschlüssen wird sie am Körper fixiert. Sie beinhaltet eine Bauchzuggurtung über eine abdominalen Pelotte, einen Fixierungsgurt im thoracolumbalen Übergang und Schulterzügel, die individuell eingestellt werden können. Es handelt sich dabei vom Prinzip her nicht um einen starren Geradhalter, sondern um ein System, das über die Schultergurte als Mahnbandage wirkt und zu einer permanenten „Aufrichtung“ des Achsorgans anhält (sog. Bio-Feedback-Prinzip). Durch die Orthese kommt es somit nachweisbar über einen längeren Zeitraum des Tragens zu einer Kräftigung auch der Rückenstreckmuskulatur und zu einer Haltungsaufrichtung (Abb. 5).

Zu dieser Orthese liegt eine randomisierte, prospektive und kontrollierte klinische Studie vor, die den Nachweis der Wirksamkeit erbracht hat. Das Tragen dieser neu entwickelten Rückenorthese über 6 Monate führte zu einer Zunahme der Rückenmuskelkraft um 73 %, der Bauchmuskelkraft um 56 % und zu einer Abnahme des Kyphosewinkels um 11°. Die positiven Ergebnisse der ersten Studie, die kleinere methodische Schwächen hatte, wurden durch Studien aus dem Jahre 2014 [6] repliziert, sodass sich die Evidenzlage weiter verbesserte.

Fazit

In der Therapie von Wirbelfrakturen bei Osteoporose hat sich in den letzten Jahren ein deutlicher Wandel ergeben, insbesondere die flexiblen und schwingungsfähigen Osteoporoseorthesen haben eine deutliche Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten geschaffen. Sie werden klassischerweise von den Patienten gut akzeptiert, insbesondere wenn man ihnen den Trainingseffekt auch entsprechend erklärt. Bei schwereren Schmerzzuständen bleibt allerdings immer noch ein Platz für die starren Orthesen, da diese durch ihre höhere Bewegungseinschränkung die Schmerzsituation deutlicher beeinflussen. Sie sind in aller Regel nur für eine passagere kürzerfristige Nutzung zu wählen. Bei diesen Orthesen ist insbesondere auf die korrekte Abstützung, die korrekte Wahl der Stützpelotten (die Frakturen überbrückend!) und eine genügende Atemfreiheit zu achten.

Beachtet man die oben genannten Kriterien, so spielen Orthesenversorgungen in der Behandlung der Osteoporose weiterhin eine wichtige und sehr positive Rolle und können den Patienten einen hohen Benefit bieten.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Bernhard Greitemann

RehaKlinikum Bad Rothenfelde,
Klinik Münsterland

Auf der Stöwwe 11

49214 Bad Rothenfelde

greitemann@klinik-muensterland.de

Literatur

1. Fassbender WJ, Scheidt-Nave C, Pfeilschifter J. Evidence-based clinical practice guidelines for diagnostic and treatment of osteoporosis. DMW 2003; 25: 1615–1616

2. Schlaich C, Minne HW, Bruckner T et al. Reduced pulomonary function in patients with spinal osteoporotic fractures. Osteoporos Int 1998; 8: 261–267

3. Begerow B, Pfeifer M, Pospeschill M et al. Time since vertebral fracture: an important variable concerning quality of life in patients with postmenopausal osteoporosis. Osteoporos Int 1999; 10: 26–34

4. Feurer E, Chapurlat R, Emerging drugs for osteporosis. Expert Opin Emerg Drugs 2014; 19: 385–395

5. Baumgartner R, Greitemann B. Grundkurs Technische Orthopädie, 3. Auflage, Stuttgart: Thieme-Verlag,

6. Valentin GH, Pedersen LN, Maribo T. Wearing an active spinal orthosis improves back extensor strength in women with osteoporotic vertebral fractures. Prostehe Orthot Int 2014, 38: 232–238

7. Valentin GH, Maribo T. Hand-held dynamometry fixated with a tripod is reliable for assessment of back extensor strength in women with osteoporosis. Osteoporos Int 2014, 25: 2143–2149

8. Peters A, Friebe H. Der Osteoporose Patient in Stein V, Greitemann B. Rehabilitation in Orthopädie und Unfallchirurgie, 2 Auflage, Heidelberg; Springer-Verlag, 2015

9. Pfeifer M, Zur Bedeutung von flexiblen Rückenorthesen und Bandagen in der Behandlung von Wirbelkörperfrakturen bei Osteoporose, Medizinisch Orthopädische Technik 2015; 1: 6–12

10. Pfeifer M, Begerow B, Minne HW. Effects of a new spinal orthosis on posture, trunk strength, and quality of life in women with postmenopausal osteoporosis. Am J Phys Med Rehabil 2004; 63: 177–186

11. Pfeifer M, Kohlwey L, Begerow B, Minne HW. Effects of two newly developed spinal orthoses on trunk muscle strength, posture, an quality of life in women with postmenopausal osteoporosis. Am J Phys Med Rehabil 2011; 90: 805–815

Fussnoten

1 RehaKlinikum Bad Rothenfelde, Klinik Münsterland

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