Übersichtsarbeiten - OUP 05/2015

Orthopädietechnische Hilfsmittel im Rahmen der symptomatischen Gonarthrosetherapie

S. Middeldorf1

Zusammenfassung : Die Arthrose gehört mit einer Lebenszeitprävalenz von ca. 23 % und jährlichen Aufwendungen von mehr als 7,5 Milliarden Euro zu den am weitesten verbreiteten Pathologien in Deutschland. Betrachtet man den Befall einzelner Gelenke, so ist die Gonarthrose die häufigste Arthrosemanifestation an den großen Gelenken. Oft liegen bei Gonarthrosepatienten Achsabweichungen vor, die durch orthopädietechnische Hilfsmittel adressiert werden können. Ziel muss sein, die orthopädietechnischen Hilfsmittel patientenindividuell in das Behandlungskonzept zu integrieren. Bei den orthopädietechnischen Optionen sind gemäß den aktuellen Leitlinien bei unikompartimentärer Gonarthrose an erster Stelle Einlagenversorgungen, Schuhzurichtungen, Bandagen und entlastende Orthesen zu nennen. Trotz der eher geringen Anzahl an randomisierten, kontrollierten Studien sind Einlagenversorgungen, Bandagen und Orthesen zuletzt in die Empfehlungen internationaler und nationaler Leitlinien/Therapieempfehlungen aufgenommen worden.

Schlüsselwörter: Einlagen, Schuhzurichtungen, Bandagen,
Orthesen, Gonarthrose

Zitierweise
Middeldorf S: Orthopädietechnische Hilfsmittel im Rahmen der symptomatischen Gonarthrosetherapie
OUP 2015; 05: 248–250 DOI 10.3238/oup.2015.0248–0250

Summary: Osteoarthritis of the knee is the most common joint manifestation of osteoarthritis of larger joints. In case of varus- or valgus knee OA options like insoles, braces or sleeves are treatment options, which have been recommended by international and national guidelines despite low numbers of randomized, controlled clinical trials. Those biomechanical interventions should be considered in individual knee OA management.

Keywords: Insoles, sleeves, braces, knee OA

Citation
Middeldorf S: Insoles and braces within the management of symptomatic knee osteoarthritis.
OUP 2015; 05: 248–250 DOI 10.3238/oup.2015.0248–0250

Neben der Behandlung akuter und chronischer Rückenschmerzen stellt die Behandlung der Osteoarthrose mit ca. 30 % aller Patientenbehandlungen den größten Anteil der Patientenversorgung in Orthopädie und Unfallchirurgie dar [1]. Davon ist ein großer Teil der Behandlungsfälle der Gonarthrose zuzuschreiben. Internationale Studien zeigen, dass 12 % der Arthrosepatienten eine Gonarthrose aufweisen [2]. Obwohl die Arthrose seit mehr als 5000 Jahren bekannt ist, ist die Ätiologie noch immer unklar. Neben genetischen Faktoren scheinen Übergewicht bzw. Stoffwechselprozesse ebenso eine Rolle zu spielen wie eine Varus- oder Valgusfehlstellung bzw. die daraus resultierende mechanische (Über-)Belastung. Bei der Varusgonarthrose wird dem Knie-Adduktionsmoment eine entscheidende Rolle im Rahmen der mechanischen Überlastung zugewiesen. Ein gesteigertes Knie-Adduktionsmoment führt zu einer deutlich vermehrten Belastung des medialen femorotibialen Gelenkkompartiments und wird für eine vermehrte Knorpeldegradation und letztendlich auch für die Entstehung der Gonarthrose mitverantwortlich gemacht [3, 4, 5, 6]. Es liegt also nahe, dass zur symptomatischen Therapie der Gonarthrose neben Korrekturosteotomien auch orthopädietechnische, wie z.B. die Einlagenversorgung mit Außen- oder Innenranderhöhung, die laterale oder mediale Schuhaußenranderhöhung und varisierende bzw. valgisierende Orthesen eingesetzt werden. Trotz der z.T. nur begrenzt verfügbaren Literatur für die einzelnen Therapieoptionen, werden die orthopädietechnischen Therapieoptionen in den aktuellen, internationalen Leitlinien positiv beurteilt und stellen somit eine valide Therapieoption bei Gonarthrosepatienten mit Varus- oder Valgusfehlstellung dar [7]. Sogar die eher kritischen Empfehlungen des britischen NICE (National Institute for Health and Care Excellence) raten Betroffenen bzw. deren Behandlern den Einsatz von Einlagen, Bandagen und entlastenden Orthesen [8]. Im Folgenden werden nach einer kurzen Darstellung der Therapieempfehlungen/Leitlinien der internationalen Fachgesellschaften zur konservativen Gonarthrosetherapie aktuelle Ergebnisse der orthopädietechnischen Möglichkeiten zur symptomatischen Gonarthrosetherapie dargestellt und kritisch bewertet.

Leitliniengerechtes, individuelles Arthrosemanagement

In den letzten 3 Jahren haben die 3 großen Fachgesellschaften ACR, AAOS und OARSI, aber auch das britische NICE, Therapieempfehlungen zur nicht-operativen Behandlung der Gonarthrose/Arthrose publiziert [7, 8, 9, 10].

Allen Empfehlungen ist eine Basistherapie gemein, die aus Patientenschulung, Förderung der körperlichen Aktivität, Gewichtsmanagement und Krafttraining besteht. Die Patientenschulung, im Hinblick auf die Bedeutung einer letztendlich chronischen Erkrankung und deren Implikationen für das tägliche Leben, wird dabei herausgehoben und stellt die Basis eines Arthrosemanagements dar. Übergewicht als mechanische Belastung und Fettgewebe als metabolische Komponente im Rahmen der endogenen Entzündung (Osteoarthritis) sind vor allem bei der Progression der Gonarthrose relevant und sollte daher ebenso im Rahmen der Basistherapie adressiert werden. Bewegungsübungen und Krafttraining runden die Basistherapie ab, die bei allen Gonarthrosepatienten, ungeachtet von Alter, Arthrosestadium und Nebenerkrankungen, eingeleitet werden soll.

Zusätzlich zu dieser Basistherapie können/sollen weitere Therapiemaßnahmen eingeleitet werden, die besonders den belastungsinduzierten Schmerz adäquat adressieren. Neben medikamentösen Maßnahmen (topisch, oral und intraartikulär) können auch „biomechanische Interventionen“, also orthopädietechnische Hilfsmittel wie Einlagen, Bandagen oder Orthesen, erfolgreich eingesetzt werden.

Orthopädietechnische Hilfsmittel werden bei Varus- und Valgusgonarthrose empfohlen – und zwar dann, wenn eine unikompartimentäre, femorotibiale Gonarthrose vorliegt, bei der eine Entlastung des betroffenen Kompartimentes biomechanisch sinnvoll ist. Als mögliche Maßnahmen werden hier Einlagen mit Außenranderhöhung, Schuhaußenranderhöhungen und entlastende Orthesen, sogenannte Unloader-Orthesen, genannt. Auch Bandagen können bei leichteren Gonarthrosestadien positiven Einfluss auf die sensomotorische Funktion haben, führen aber zu keiner biomechanischen Entlastung.

Einlagenversorgung,
Schuhaußenranderhöhung

Eigentlich nichts Neues, jahrelang verordnet – zum größten Teil mit gutem klinischen Erfolg, sofern die rezeptierten Einlagen benutzt bzw. die angepassten Schuhe getragen werden. Betrachtet man Arbeiten aus dem Julius Wolf Institut der Charité (Berlin) an Patienten, die mit einer instrumentierten Knie-Endoprothese versorgt wurden, so zeigt sich, dass bei einer Einlagenversorgung (5 mm Außenranderhöhung) die resultierende Kraft, die durch das mediale Gelenkkompartiment läuft, etwa um 3 % reduziert wird. Eine Schuhaußenrandranderhöhung (5 mm bzw. 10 mm) zeigt hier eine Reduktion der resultierenden Kraft von 3 % bzw. 4 %. Bei gleichzeitiger Versorgung mit einer stabilisierenden OSG-Orthese werden größere Entlastungen erzielt. Es gilt dabei aber zu beachten, dass die Ergebnisse an wenigen Patienten, die bereits mit einer Totalendoprothese versorgt wurden, erhoben wurden [11]. Die klinische Relevanz im Hinblick auf die Reduktion der Gonarthroseschmerzen wird in aktuellen Arbeiten kontrovers diskutiert [12, 13]. Im Rahmen der orthopädisch-/unfallchirurgischen Praxis haben sich Einlagen mit Randerhöhung und Schuhaußen- bzw. Schuhinnenranderhöhungen bewährt und sind als erste Option der Achskorrektur zu betrachten, sofern keine Kontraindikationen, wie zum Beispiel eine OSG-Instabilität/Arthrose, vorliegen.

Bandagen und entlastende Orthesen

Bandagen und Orthesen können ebenfalls als begleitende Maßnahmen im Rahmen der Arthrosetherapie eingesetzt werden. Ziel von elastischen Bandagen ist eine Verbesserung der Propriozeption (Sensomotorik) und einer daraus resultierende muskuläre Stabilisierung des Gelenks. Gonarthrose-Orthesen haben das Ziel, über eine „äußere Schienung“ eine mechanische Entlastung des betroffenen Gelenkkompartiments zu ermöglichen. Studien haben hier einen positiven Effekt solcher Entlastungs-Orthesen hinsichtlich der Stabilität und der Funktionalität aufgezeigt. Ein Problem solcher Entlastungs-Orthesen ist häufig die Compliance der Patienten, sodass sich hier eine enge Kooperation mit einem Sanitätshaus als sinnvoll erwiesen hat, um festzustellen, ob der Patient

  • 1. in der Lage ist, eine solche Orthese eigenständig anzulegen und
  • 2. gewillt ist, die Orthese regelmäßig zu tragen.

Neben den Fähigkeiten des Patienten spielt auch die Anpassung der Orthese, insbesondere bei adipösen Patienten, eine entscheidende Rolle [14]. Eine wesentliche Änderung bei der Entwicklung der neuen Generation von Entlastungs-Orthesen ist die Änderung der Auflage-/Druckpunkte. Gerade der Druckpunkt älterer Orthesen am medialen Gelenkkompartiment war hier ein Kritikpunkt, der von den neuen Entlastungs-Orthesen adäquat adressiert wird. Auch das Gewicht und die Materialstärke der Orthesen konnten deutlich reduziert werden, sodass sich die Compliance der Orthesen deutlich verbessert hat.

Die Betrachtung von Entlastungs-Orthesen, ebenfalls bei den Patienten mit instrumentierter Knie-Endoprothese, zeigt je nach eingesetzter Orthese eine Reduktion der Kraft (die durch das adressierte mediale Gelenkkompartiment beim Gehen läuft) in einer Spanne von 8–30 %. Die Ergebnisse sind dabei unter anderem abhängig von: Orthesentyp, valgisierender Korrektur und Beinachse. Zu beachten ist jedoch, dass Orthesen mit einer stark valgisierenden Komponente (8°) von den Patienten nicht auf längere Zeit toleriert werden und somit zur symptomatischen Therapie der Gonarthrose allenfalls bedingt geeignet sind [15]. Es gilt daher einen „Kompromiss“ zwischen der Entlastung durch eine Unloader-Orthese und der Patientencompliance zu finden. Denn nur, wenn die Orthese getragen wird, hilft diese dem Patienten. Klinische Studien zeigen bei der Versorgung von Gonarthrosepatienten mit entlastenden Orthesen eine signifikante Reduktion der Schmerzen im adressierten Gelenkkompartiment, die im Vergleich zu einer Einlagenversorgung oder einer Neoprenbandage signifikant stärker ausgeprägt war [16, 17]. In einer weiteren Arbeit konnte bei Gonarthrosepatienten, die mit einer entlastenden Orthese versorgt wurden, kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Schmerzen, Gelenkfunktion und Lebensqualität nachgewiesen werden im Vergleich zu Gonarthrosepatienten, die mit Arthroseschulung, Schmerzmitteln und physikalischer Therapie behandelt wurden. Bei der Betrachtung der Gehstrecke wurde jedoch ein signifikanter Unterschied zu Gunsten der Orthesengruppe über den Untersuchungszeitrum von 12 Monaten beobachtet [18]. Die klinische Verbesserung der Gonarthroseschmerzen und der Gelenkfunktion geht dabei nicht regelmäßig mit einer Zunahme des adressierten Gelenkspalts einher [19].

Eine wesentliche Voraussetzung für den Behandlungserfolg ist die Compliance der Patienten, die wiederum vom Tragekomfort und der erfahrenen Schmerzreduktion abhängt. Sofern eine gute Patientencompliance besteht, kann durch den Einsatz von Unloader-Orthesen eine signifikante Schmerzreduktion, Verbesserung der Gelenkfunktion und der Lebensqualität erreicht werden [20].

Fazit

Bei gegebener Patientencompliance stellen die orthopädietechnischen Optionen Einlagenversorgung, Schuhaußenraderhöhung und die Versorgung mit Unloader-Orthesen gute Möglichkeiten zur symptomatischen Therapie der Varus-/Valgusgonarthrose dar. Die Vielzahl der Studien zeigt einen positiven Effekt der dargestellten Maßnahmen vor allem bei einer vorliegenden Varusgonarthrose. Biomechanische Untersuchungen an Patienten mit einer instrumentierten Knie-Endoprothese zeigten bei der Einlagenversorgung und Schuhaußenranderhöhung eine Entlastung des adressierten Gelenkkompartiment von 3–5 %, die in vielen Fällen schon zu einer Beschwerdelinderung führte. Entlastende Orthesen zeigen eine zum Teil deutlich höhere Reduktion der Kraft, die durch das adressierte Gelenkkompartiment läuft, als Einlagen und Schuhaußenranderhöhungen. Eingebettet in ein Arthrosemanagementkonzept stellen die orthopädietechnischen Optionen somit eine valide, leitliniengerechte Behandlungsoption dar, die zur einer Minderung der Gonarthroseschmerzen und Verbesserung der Gelenkfunktion beitragen können.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des Internationalen Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Stefan Middeldorf

Schön Klinik Bad Staffelstein

Orthopädische Klinik

Am Kurpark 11

96231 Bad Staffelstein

smiddeldorf@schoen-kliniken.de

Literatur

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2. Bitton R. The economic burden of osteoarthritis. Am J Manag Care 2009; 15 (8 Suppl.): 230–235

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12. Moyer RF, Ratneswaran A, Beier F et al. Osteoarthritis Year. In: Review 2014: mechanics – basic and clinical studies in osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage 2014; 22 (12): 1989–2002

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Fussnoten

1 Schön Klinik Bad Staffelstein, Orthopädische Klinik

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