Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Osteoporotische Beckenfrakturen – die unterschätzte Fraktur?

Die Anamneseerhebung kann im geriatrischen Patientenkollektiv in einigen Fällen nicht direkt zielführend sein, da häufig lediglich Bagatelltraumata oder gar keine Traumata vorliegen und die Reproduzierbarkeit der Vorgeschichte durch Begleiterkrankungen wie dementielle Veränderungen unter Umständen erschwert ist. Regelhaft präsentieren sich die Patienten allerdings mit starken Schmerzen und einer eingeschränkten Mobilität. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung sollte die Lokalisation des Schmerzes am vorderen und hinteren Beckenring differenziert und die mechanische Stabilität des Beckenringes überprüft werden. Auch bei Beschwerden in der Hüfte bzw. einer Lumboischialgie sollte eine Beckenverletzung in Betracht gezogen werden.

Eine Leitlinie zum Einsatz bildgebender Verfahren bei Verdacht auf geriatrische Beckenverletzungen existiert aktuell nicht. Meistens erfolgt zunächst eine konventionelle Beckenübersichtsaufnahme, ggf. mit Ergänzung durch „inlet“- und „outlet“-Aufnahmen. Frakturen des hinteren Beckenringes können im konventionellen Röntgenbild häufig nicht adäquat diagnostiziert werden. Dies gelingt am ehesten bei höhergradigen Dislokationen oder Kombinationsverletzungen (Abb. 1a–b).

Großzügig sollte daher im Anschluss auch eine Computertomographie (CT) ergänzt werden. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass im konventionellen Bild als isolierte vordere Beckenfrakturen gewertete Aufnahmen in einer späteren CT-Diagnostik in bis zu 80 % eine zusätzliche hintere Beckenringfraktur aufweisen [4, 42]. Gerade Kompressionsfrakturen des Sakrums werden in der Röntgenaufnahme unzureichend diagnostiziert [4, 26, 33] (Abb. 2). Auch im CT kommen in einigen Fällen diskrete Frakturlinien, gerade im osteoporotischen Knochen, nicht zur Darstellung. Bei geriatrischen Patienten mit Schmerzen im Bereich des Beckens kam daher die Magnetresonanztomographie (MRT) in den letzten Jahren vermehrt zum Einsatz [18]. Mithilfe der MRT können Knochenmarködeme zuverlässig diagnostiziert und somit eine hohe Sensitivität erreicht werden. Eine neuere Alternative zum MRT stellt die Dual-Energy-CT (DECT) dar. Mit dieser Methode können die unterschiedlichen Absorptionseigenschaften der Gewebe durch Anlage verschiedener Spannungen differenziert werden [11, 12]. So kann ein sensitiver Ödemnachweis erfolgen und Fragilitätsfrakturen mit der gleichen Sensitivität und Spezifität wie im MRT nachgewiesen werden [18, 28]. Eine Studie von Lang und Mitarbeitern konnte zeigen, dass die Einführung sensitiver Diagnostikverfahren mit einer höheren FFP-Klassifikation der Frakturen und einer höheren Operationsrate einhergeht (Abb. 2 a–b) [18].

Therapiemöglichkeiten

Primäres Ziel der Versorgung von geriatrischen Beckenverletzungen ist die rasche Analgesie und Mobilisation. Komplikationen der Immobilisierung wie Verlust der Knochen- und Muskelmasse, Pneumonie, Dekubitus und Delir gilt es, zu vermeiden und den Verlust der Unabhängigkeit zu verhindern.

Im Rahmen der operativen Versorgung sollte das Risiko von Komplikationen minimiert werden, welche gerade für ältere und oder vorerkrankte Patienten schwerwiegend sein können. Gerade minimalinvasive Verfahren werden daher, wenn möglich, bevorzugt [26, 34].

Die Auswahl des Therapieverfahrens richtet sich nach der FFP-Klassifikation, wobei FFP Typ I- und II-Frakturen in der Regel konservativ, FFP Typ III- und IV-Frakturen eher operativ versorgt werden. Randomisierte, kontrollierte Studien zu den einzelnen Therapieverfahren und der Einteilung anhand der FFP-Klassifikation gibt es bislang allerdings kaum.

Im Rahmen der konservativen Therapie stehen Analgetika und eine rasche assistierte Mobilisierung im Vordergrund. Die analgetische Therapie sollte individuell auf das Alter und mögliche Begleiterkrankungen angepasst werden. Aufgrund der initialen Schmerzintensität von Beckenfrakturen und dem günstigeren Nebenwirkungsprofil im Gegensatz zu bspw. NSAR, kommen Opioide regelhaft zur Anwendung. Gerade bei dementiell veränderten Patienten ist die Schmerzintensität anhand des klinischen Bildes mit hoher Sorgfalt auszutarieren. Spezielle Tools, wie der BESD-Score (Beurteilung des Schmerzes bei Demenz) können hier Abhilfe schaffen [45].

FFP II-Frakturen weisen eine nicht-dislozierte Fraktur des hinteren Beckenringes auf, häufig mit begleitender Fraktur des vorderen Beckenringes. Diese Frakturen können durchaus konservativ behandelt werden. Oft lässt sich durch ein konservatives Procedere jedoch keine suffiziente und rasche Analgesie und Mobilisation erzielen. In diesen Fällen ist, um eine längere Immobilisierung zu vermeiden, mit dem Patienten und Angehörigen ein operatives Procedere zu diskutieren.

Aufgrund der ausgeprägten Instabilität des hinteren Beckenringes ist bei FFP III- und IV-Frakturen mit Ausnahmen eine operative Therapie indiziert. Es stehen eine Vielzahl operativer Versorgungsmöglichkeiten des hinteren und vorderen Beckenringes zur Verfügung. Ein Großteil der Sakrumfrakturen lässt sich mittels perkutaner transileosakraler Schraubenosteosynthese, ggf. mit Zementaugmentation, versorgen. Die SI-Schrauben-Versorgung lässt sich in navigierter Technik oder unter konventioneller Bildwandlerkontrolle durchführen. Für die navigierte Technik konnte eine signifikante Einsparung der Strahlendosis sowie eine geringere Rate an Schraubenfehllagen gezeigt werden [17]. Bei bilateralen Sakrumfrakturen lässt sich dieses Verfahren auch bilateral anwenden, als Alternative steht hier die Stabilisierung mittels transsakralem Positionsstab zur Verfügung (Abb. 3). Bei multiplanarer Instabilität kann zusätzlich eine lumbopelvine Fixation notwendig sein, um durch diese als „trianguläre Stabilisierung“ bekannte Methode die größte Stabilität zu erreichen [26, 36]. Bei Frakturen lateral des Ileosakralgelenkes kommen in der Regel Plattenosteosynthesen in Betracht. Im Bereich des vorderen Beckenringes reichen die Stabilisierungsmöglichkeiten von einem supraazetabulär eingebrachten Fixateur externe, über Plattenosteosynthesen bis zur retrograden transpubischen „Kriechschraube“ [26]. Unseres Wissens existieren bislang keine vergleichenden Daten der unterschiedlichen Operationsverfahren bei Fragilitätsfrakturen (Abb. 3).

Allerdings können auch initial stabile FFP I- oder II-Frakturen im Rahmen des konservativen Behandlungsverlaufes weiter dislozieren oder im Rahmen der Mobilisation weitere Frakturen hinzukommen und so ein komplexerer Frakturtyp entstehen. So kann der Wechsel eines initial konservativen auf ein operatives Procedere notwendig werden [26, 32, 34].

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4