Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Osteoporotische Beckenfrakturen – die unterschätzte Fraktur?

Da sich über 70 % aller Beckenfrakturen im geriatrischen Patientenkollektiv finden und davon ausgegangen wird, dass fast zwei Drittel dieser geriatrischen Beckenfrakturen mit Osteoporose assoziiert sind, kommt der Diagnostik und adäquaten Therapie der Osteoporose eine erhebliche Bedeutung zu. Wie bereits erwähnt, ist die Osteoporose in diesem Patientenkollektiv deutlich unterdiagnostiziert und damit auch nicht adäquat behandelt. In einer retrospektiven Studie konnten Smith und Mitarbeiter zeigen, dass über 90 % der Patienten, die zum Zeitpunkt der Fraktur keine Osteoporose-Therapie erhielten, auch im weiteren Verlauf keiner Therapie zugeführt wurden [37]. Vor dem Hintergrund, dass jede Fragilitätsfraktur das Risiko für zukünftige Frakturen verdoppelt, wird die Notwendigkeit der sorgfältigen Diagnostik deutlich [37].

Unabhängig von weiteren Befunden befindet man sich bei geriatrischen Patienten mit niedrigenergetischen Beckenfrakturen also bereits im Hochrisikobereich für eine Osteoporose und damit auch für Folgefrakturen. Die diagnostische Vorgehensweise in unserer Klinik beinhaltet neben einer Anamnese bezüglich Risikofaktoren und einer Medikamentenanamnese zunächst eine osteologische Laboruntersuchung zum Ausschluss einer sekundären Osteoporose. Im Anschluss sollte eine Knochendichtemessung stattfinden und eine spezifische Therapie nach DVO-Leitlinie eingeleitet werden. Die Basismaßnahmen zur Prophylaxe von Folgefrakturen können bereits unabhängig von den erhobenen Befunden eingeleitet werden. Hierzu zählen eine rasche Mobilisation sowie eine ausreichende Zufuhr von Calcium und Vitamin D3 – abhängig von den erhobenen Befunden sollte im Anschluss rasch eine spezifische medikamentöse Therapie mit osteoanabolen oder antiresorptiven Substanzen erfolgen. Gerade für das Parathormonanalogon Teriparatid konnte in verschiedenen Studien ein positiver Effekt bezüglich Therapiedauer und Schmerzintensität nachgewiesen werden [5, 25]. Eine prospektive Studie von Miki und Mitarbeitern konnte einen signifikant höheren Anteil an Patienten mit adäquater Osteoporosetherapie nach innerklinischer Abklärung im Vergleich zu einer ambulanten Osteoporoseabklärung im Anschluss an den Klinikaufenthalt zeigen [23].

Prognose

Neben dem deutlich erhöhten Risiko für Folgeverletzungen, gehen geriatrische Beckenringverletzungen mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität einher. Die 1-Jahres-Mortalität wird abhängig vom Frakturtyp zwischen 13 und 47 % beschrieben [2]. Prospektive, randomisierte Vergleichsstudien zwischen operativen und konservativen Maßnahmen bei den verschiedenen FFP-Typen gibt es nach unserem Wissenstand bislang nicht. Ein konservatives Procedere birgt insbesondere das Risiko der Immobilisierung mit den damit verbundenen Komplikationen. So berichten bspw. Maier und Mitarbeiter von Komplikationsraten während der konservativen Therapie von 58 % [21]. Hierbei sind vor allem Harnwegsinfekte und Pneumonien prominent. Zu erwähnen ist allerdings, dass in einer retrospektiven Analyse von Jäckle und Mitarbeitern ebenfalls 47 % der operativ mittels sakroiliakaler Schraubenosteosynthese versorgten Patienten Komplikationen wie Pneumonien und Harnwegsinfekte aufwiesen [15]. Nach konservativer Therapie benötigten etwa doppelt so viele Patienten während des knapp 3-jährigen Nachbeobachtungszeitraumes Hilfe im Alltag im Vergleich zu vorher. Bereits ab einer Woche Bettlägerigkeit konnten verschiedene Studien einen deutlichen Rückgang der Muskelmasse und -konfiguration sowie der Knochendichte nachweisen [3, 29, 41].

Im Rahmen der operativen Therapie sind vor allem die allgemeinen mit der Operation sowie der Narkose verbundenen Risiken zu nennen, welche im Rahmen des hohen Alters und der Begleiterkrankungen dieses Patientenkollektives zum Teil erhebliche Konsequenzen haben können. Durch den vermehrten Einsatz minimalinvasiver Verfahren konnten diese Komplikationen allerdings deutlich reduziert werden [22, 27]. Gerade bei älteren Patienten konnten verschiedene Studien in letzter Zeit einen Vorteil der perkutanen Stabilisierung des hinteren Beckenringes gegenüber konservativen Verfahren in Bezug auf das langfristige Schmerzniveau, die Mobilität und damit auch die soziale Unabhängigkeit zeigen [15, 22, 35, 43].

Ausblick

Es wird davon ausgegangen, dass jede zweite Frau und jeder vierte bis fünfte Mann während ihres Lebens eine osteoporotische Fraktur erleiden [13]. Gerade Fragilitäts- oder Insuffizienzfrakturen des Beckens gehen mit einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und Mobilität einher und zeigen eine stark zunehmende Inzidenz [16, 26]. In Deutschland scheint die Inzidenz im Vergleich zu anderen Ländern sogar noch höher zu sein [1].

Klassischerweise werden Fragilitätsfrakturen des Beckens weiterhin konservativ versorgt [9]. Sollte das konservative Vorgehen jedoch mit längerer Immobilität und einem prolongierten Krankenhausaufenthalt einhergehen, sollte frühzeitig an eine operative Stabilisierung gedacht werden. Gerade minimalinvasive Verfahren weisen niedrige Komplikationsraten auf. Ein anatomisch rekonstruierter hinterer Beckenring scheint sich günstig auf das langfristige Wohlergehen der Patienten auszuwirken [14]. Letztlich muss die Entscheidung einer operativen gegenüber einer konservativen Versorgung aber individuell erfolgen. Das geriatrische Patientenkollektiv stellt bzgl. Vorerkrankungen und Ansprüche an Mobilität und Funktionalität im Alltag eine heterogene Gruppe dar. Bei stabilen Beckenringverhältnissen sollte ein frühzeitiger Mobilisationsversuch erfolgen. Falls sich dieser wiederholt frustran zeigt, sollte nicht zu lange gezögert werden, mit dem Patienten und den Angehörigen eine möglichst minimalinvasive operative Versorgung zu diskutieren.

Gerade eine adäquate Osteoporosediagnostik und -therapie sollte aber das Fundament der Behandlung geriatrischer Beckenringverletzungen darstellen. Ein Großteil der Fragilitäts- und vor allem Insuffizienzfrakturen des Beckens sind mit Osteoporose assoziiert und Osteoporose in diesem Patientenkollektiv gleichzeitig deutlich unterdiagnostiziert und -therapiert [24, 37, 38]. Um Folgefrakturen zu vermeiden und eine rasche Mobilisierung zu erreichen, sollte eine adäquate Therapie möglichst noch während des stationären Aufenthaltes eingeleitet werden. Für osteoanabole Substanzen wie Teriparatid konnten in den letzten Jahren in verschiedenen Studien bei Insuffizienzfrakturen des Beckens positive Effekte bezüglich der Frakturheilung, Schmerzintensität und somit Therapiedauer gezeigt werden [5, 25, 30, 47]. Es ist somit davon auszugehen, dass sich Komplikationen im Rahmen der konservativen Therapie hierdurch reduzieren lassen. Zur Beantwortung der Frage, in welchen Fällen eine konservative Therapie mit Zusatz osteoanaboler Substanzen eine operative Therapie ersetzen kann, bedarf es in Zukunft weiterer Studien.

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