Übersichtsarbeiten - OUP 12/2013

Osteosyntheseverfahren in der Kinder- und Jugendtraumatologie

C. Illian1, B. Veigel2, C. Chylarecki1

Zusammenfassung: Die Behandlung von Frakturen im Wachstumsalter gehört zu den alltäglichen Aufgaben eines jeden (Unfall-)Chirurgen und Orthopäden. Nichtsdestotrotz stellt die Versorgung eine Herausforderung dar, da spezifische Kenntnisse und Erfahrungen erforderlich sind. Dass Frakturen bei Kindern immer heilen, ist ein Trugschluss. Entscheidend ist zunächst nicht die Wahl des Osteosyntheseverfahrens, sondern ob eine Fraktur konservativ oder operativ versorgt werden kann. Hierbei konkurrieren beide Verfahren nicht, sondern ergänzen sich viel mehr. Faktoren, die das Behandlungsregime beeinflussen, sind Alter, Gewicht und Größe des Patienten sowie die Art und die Lokalisation der Fraktur. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass durch die Entwicklung sicherer, minimalinvasiver Techniken bei der operativen Versorgung kindlicher Frakturen mittlerweile ein stärkeres Gewicht zugesprochen wird. Hierdurch werden sowohl Heilverlauf als auch Krankenhausaufenthalt häufig deutlich verkürzt. Obwohl die Durchführung der einzelnen Verfahren gut zu erlernen ist, ergeben sich nicht selten Komplikationen, die vermeidbar wären.

Im folgenden Artikel werden die Grundlagen der kindgerechten Behandlung dargelegt, die Voraussetzung für ein
optimales Behandlungsergebnis sind.

Schlüsselwörter: Osteosyntheseverfahren bei Kindern, Fixateur externe, ESIN, K-Draht, Schraubenosteosynthese, lateraler
Femurnagel für Jugendliche, konservatives Behandlungsregime

 

Zitierweise

Illian C, Veigel B, Chylarecki C: Osteosyntheseverfahren in der
Kinder- und Jugendtraumatologie.
OUP 2013; 12: 578–583. DOI 10.3238/oup.2013.0578–0583

Abstract: The treatment of fractures in children is part of every (trauma-)surgeon’s and orthopaedist’s daily work. Nevertheless, many physicians are facing a huge challenge in the therapy when treating children, since they are lacking the necessary experience and knowledge. It is a common misconception to believe that fractures in children always heal. Only after an initial decision as to whether the fracture is treated conservatively or operatively the choice of an appropriate osteosynthesis technique is possible. Various factors such as the age, weight and size of the patient as well as the fracture morphology and location have to be taken into consideration. In recent years, the operative treatment of fractures in children has become more common, as a result of the development of modern, minimally invasive osteosynthesis techniques. In many cases this has reduced the duration of recovery and of hospitalisation for many patients. Even though it is well possible to acquire the skills required for carrying out osteosynthesis, avoidable complications are not uncommon.

This article describes the basics of child-oriented treatment, essential for an optimal outcome.

Keywords: osteosynthesis in children, external fixation, ESIN, Kirschner-wiring, screw osteosynthesis, adolescent lateral femoral nail, conservative treatment

 

Citation

Illian C, Veigel B, Chylarecki C: Osteosynthesis in children and adolescents. OUP 2013; 12: 578–583. DOI 10.3238/oup.2013.0578–0583

Einleitung

Die Frakturbehandlung im Wachstumsalter unterscheidet sich aufgrund der noch offenen Wachstumsfugen erheblich von der Erwachsener. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Die Aussage, dass Frakturen bei Kindern und Jugendlichen immer heilen, ist ein Trugschluss.

In den letzten Jahren wurde der operativen Versorgung kindlicher Frakturen ein stärkeres Gewicht zugesprochen. Dieser Trend beruht u.a. auf der Entwicklung sicherer, minimalinvasiver Techniken, die es ermöglichen, den Heilverlauf und Krankenhausaufenthalt zum Teil deutlich zu verkürzen. Während früher Femurfrakturen über mehrere Wochen in Extensionslage behandelt wurden, können heute Kinder, die diese Verletzung erlitten haben, nach operativer Stabilisierung das Krankenhaus meist schon nach wenigen Tagen verlassen. Unannehmlichkeiten z.B. bei der pflegerischen Versorgung eines Beckenbeingipses, psychische Belastungen, die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer sekundären Dislokation im Gips sowie der Wunsch vieler Eltern, ein perfektes Ergebnis für Ihr Kind zu erreichen, erhöhen die Tendenz zu einem eher operativen Behandlungsregime [21, 18].

Die Frakturversorgung von Kinder und Jugendlichen stellt für viele Ärzte stellt eine Herausforderung bei der täglichen Arbeit dar, da spezielle Kenntnisse erforderlich sind, die nicht selten fehlen [28].

Wunsch der meisten Kinder und Jugendlichen ist es, mit geringstmöglichen Schmerzen und Aufwand eine zeitnahe Heilung und somit eine schnellstmögliche Rückkehr zu den Aktivitäten des täglichen Lebens zu erfahren [9].

Behandlungsregime

Es gibt diverse zu berücksichtigende Faktoren, die entscheidend sind, ob ein konservatives oder ein operatives Vorgehen eingeschlagen wird [5, 13, 14, 23, 29, 30]. Hierzu gehören:

  • das Patientenalter,
  • das Gewicht und die Größe des Patienten,
  • die Art der Fraktur,
  • die Frakturlokalisation,
  • die Rahmenbedingungen.

Das Patientenalter

Das biologische Patientenalter und somit die Fugenreife ist einer der wichtigsten Aspekte bei der Planung zur Versorgung kindlicher Frakturen. Die Therapie eines Kindes im Kindergartenalter etwa unterscheidet sich komplett von der eines z.B. 12- bis 14-Jährigen, da gleichzeitig mit dem Älterwerden das Korrekturpotenzial des Knochens abnimmt. Ebenfalls besteht ein Zusammenhang zwischen dem Patientenalter und ob eine Fraktur eine stimulative oder hemmende Wachstumsstörung verursacht.

Während meist eine 3–4-wöchige Gipsbehandlung bei Kindern bis zum 10. Lebensjahr ausreicht, verlängert sich die Dauer bei über 10-Jährigen auf 5–6 Wochen [21, 29].

Das Gewicht und die Größe des Patienten

In der Literatur findet sich eine Vielzahl an Untersuchungen, die gezeigt haben, dass das Gewicht und die Größe des Patienten einen direkten Einfluss auf das Behandlungsoutcome kindlicher Frakturen haben. So zeigte eine Multicenterstudie, welche die Behandlung kindlicher Femurfrakturen untersuchte, die mittels intramedullärer Nagelung versorgt wurden, ein 5-mal schlechteres Endergebnis bei schweren Kindern mit einem Körpergewicht über 49 kg, im Vergleich zu leichteren Kindern[17]. Heutzutage sind 12–14-jährige Jugendliche nicht selten so groß und so schwer wie Erwachsene, sodass sich die operativen Vorgehensweisen beider Altersgruppen häufig ähneln und auch angepasst werden müssen.

Die Art der Fraktur

Bei der Frakturart, die bei der Frakturbehandlung im Wachstumsalter eine besondere Rolle spielt, unterscheidet man zwischen stabilen und instabilen Frakturen. Stabile Frakturen können zumeist konservativ behandelt werden, instabile Frakturen eher operativ, da diese nicht selten sekundär dislozieren. Sobald bei der Behandlung kindlicher Frakturen eine Narkose erforderlich wird, sollte das primäre Behandlungsregime das definitive sein, um weitere Interventionen wie erneute Nachrepositionen oder Verfahrenswechsel zu vermeiden [5, 9, 10, 23].

Die so genannte „Bowing fracture“ stellt eine besondere Frakturart dar. Sie ist häufig mit schlechten funktionellen Ergebnissen und geringem Korrekturpotenzial verbunden. Das Verfahren der Wahl ist hier die geschlossene Reposition und Osteosynthese mittels ESIN.

Die Frakturlokalisation

Das Behandlungsregime von Frakturen im Bereich der oberen Extremität unterscheidet sich deutlich von dem Behandlungsregime der unteren Extremität, und ob jeweils die Epiphyse, Diaphyse oder Metaphyse eines Knochens betroffen ist. Bei Epiphysenfrakturen mit Beteiligung der Gelenkflächen werden Gelenkstufen nur bis zu einer Größe von maximal 2 mm akzeptiert. Es ist zu beachten, dass es sich hierbei um einen Richtwert handelt, der auf keinerlei Evidenz basiert [2]. Bei Diaphysenfrakturen ist es wichtig, die Belastungsachse wieder zu rekonstruieren, und bei Metaphysenfrakturen die Gelenkachse [28]. Darüber hinaus besteht in verschiedenen Knochensegmenten wie z.B. am proximalen Humerus ein erhebliches Korrekturpotenzial, sodass bei Verletzungen in diesem Bereich Fehlstellungen bis zu einem gewissen Grad tolerierbar sind [5, 13].

Die Rahmenbedingungen

Nicht selten beeinflussen gewisse Rahmenbedingungen das Behandlungsregime von Frakturen im Wachstumsalter. So haben mehrere Studien gezeigt, dass Pseudarthrosen und postoperative Komplikationen häufiger in Krankenhäusern auftreten, in denen kindliche Frakturen im Vergleich seltener pro Jahr behandelt werden [22, 23]. Auch die Erfahrung des behandelnden Arztes spielt eine wichtige Rolle, da es bei der Anwendung verschiedener Verfahren eine Lernkurve gibt. Immer häufiger ist zu beobachten, dass z.B. Unterarmfrakturen operiert werden, die konservativ mittels Gipskeilung behandelt werden könnten, da nur noch wenige Ärzte und Pflegekräfte in der Durchführung dieses Verfahrens geübt sind [5].

Eher eine untergeordnete Rolle spielen bei Kindern und Jugendlichen der Unfallmechanismus und die Anzahl der Frakturfragmente [30]. Trotz alledem wird in den letzten Jahren ein Trend auffällig, dass durch neue Sportarten und -ausrüstungen sowie Veränderungen im Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen Frakturen bei jüngeren Patienten auftreten, die vor Jahren noch im höheren Jugendlichenalter beobachtet wurden. Die Frakturen sind komplexer geworden, sodass zur Versorgung dieser Verletzungen ganz neue Therapieansätze erforderlich werden [23].

Die Wahl des Osteosyntheseverfahrens

Sobald der Entschluss zu einem operativen Therapieregime getroffen wurde, muss die Wahl des Osteosyntheseverfahrens erfolgen. Dieses sollte nach kindertraumatologischen Prinzipien gewählt werden, d.h. suffizient und möglichst weichteilschonend sein sowie in korrekter Relation zum Frakturausmaß stehen. Abbildung 1 zeigt ein negatives Beispiel einer operativ versorgten kindlichen distalen Unterarmfraktur. Die Wahl des Implantats im Bereich des Radius und der Zugangsweg sowie der hiermit verbundene Weichteilschaden stehen in keinem Verhältnis. Des Weiteren wurde hier gleichzeitig scheinbar unwis-sentlich eine temporäre Epiphysiodese der distalen Wachstumsfuge durchgeführt. Im Bereich der Ulna erfolgte eine K-Draht-Stabilisierung. Hier ist zu beachten, dass die Versorgung der distalen Ulnafraktur in diesem Bereich meist nicht notwendig ist. Weiterhin ist zu erwähnen, dass durch das Einbringen des Osteosynthesematerials an der Ulnaspitze nicht selten Wachstumsstörungen provoziert werden.

Zur Behandlung von Frakturen im Kindes- und Jugendalter stehen folgende minimalinvasive Verfahren zur Verfügung [5]:

  • Kirschner-Draht-Stabilisierung,
  • elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN),
  • Fixateur externe Stabilisierung,
  • Schraubenosteosynthese,
  • lateraler Femurnagel für Jugendliche (adolescent lateral femoral nail (ALFN)).

Im Weiteren wird auf die Beschreibung von Ausnahmeindikationen einzelner Verfahren wie z.B. die Plattenosteosynthese bei Korrektureingriffen verzichtet.

Die Kirschner-Draht-Stabilisierung

Das Verfahren der Kirschner-Draht(K-Draht)-Stabilisierung wurde bereits 1920 von Dr. Martin Kirschner entwickelt und wird bis heute eingesetzt. Bei der K-Draht-Stabilisierung werden Drähte aus Edelstahl oder Titan mit einer Stärke von 0,5–3 mm verwendet. Die Drähte werden transkutan eingebracht und können die Knochenfragmente punktuell erfassen. Hierbei werden die Fragmente nur adaptiert und keine Kompression auf die Fraktur ausgeübt. Durch die Flexibilität der Drähte und dem dadurch entstehenden Risiko sind die Frakturen nicht übungsstabil. Dies macht eine zusätzliche Ruhigstellung im Gips erforderlich. Die Drähte werden meist für 4–6 Wochen in situ belassen [29]. Die K-Drähte sollten vor allem am distalen Humerus und am distalen Radius über einen kleinen Hautschnitt eingebracht werden, um das Risiko einer Sehnen- und/oder Nervenirritation so gering wie möglich zu halten [21]. Falls die Fraktur nur mittels K-Draht-Osteosynthese durch die Fuge stabilisiert werden kann, sollten die Anzahl und Stärke der Drähte so gering wie möglich gewählt werden und insbesondere die Anzahl der Bohrversuche minimiert werden. Eine Wachstumsstörung wird jedoch eher durch das Ausmaß der verletzten Fuge, als durch den hier kurzzeitig einliegenden K-Draht [1] bestimmt. Die Drähte können über dem Hautniveau belassen werden, sodass bei der Metallentfernung meist keine erneute Narkose notwendig ist [10, 21]. Bei beidseits eingebrachten K-Drähten dürfen diese aus Stabilitätsgründen nicht auf Frakturhöhe kreuzen.

Mögliche Indikationen zur Frakturstabilisierung mittels K-Draht sind:

  • Epiphysiolysen- und Epiphysenfrakturen,
  • metaphysäre Frakturen,
  • supracondyläre Humerusfraktur (Verfahren der Wahl) (Abb. 2).

Es wird empfohlen, Frakturen, auf die muskuläre Kräfte wirken, wie die Condylus-radialis-Fraktur, nicht mittels K-Drähten zu stabilisieren. Ebenso hat sich bei Oberarmkopffrakturen mit entsprechender Indikation die ESIN im Gegensatz zur K-Draht Stabilisierung bewährt [5].

Komplikationen

Die Frakturversorgung mittels K-Draht stellt ein insgesamt risikoarmes Verfahren dar. Das Wandern der Drähte und somit das Implantatversagen wird nur in Einzelfällen in der internationalen Literatur beschrieben. Diese Komplikationen treten meist in Fällen auf, bei denen keine zusätzliche Ruhigstellung im Gips erfolgte. Infektionen treten in bis zu 2 % aller Fälle auf, wobei es keine Unterschiede zwischen versenkten und über dem Hautniveau belassenen K-Drähten gibt [10, 27]. Iatrogene Nervenläsionen nach K-Draht-Stabilisierung und vor allem die N. ulnaris-Läsion bei supracondylären Humerusfrakturen treten mit einer Häufigkeit von bis zu 15 % auf [5, 6, 20, 21]. Sollte eine Nervenläsion postoperativ bestehen, hat eine sofortige Revision mit Entfernen oder Umsetzten des Drahts zu erfolgen. Osteonekrosen durch vermehrtes Bohren treten in bis zu 2,5 % der Fälle auf.

Die elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN)

Das Verfahren, kindliche Frakturen mittels elastischer intramedullärer Nagelung (ESIN) zu versorgen, wurde am Kinderkrankenhaus in Nancy durch Jean Prévot und Kollegen entwickelt [12, 19]. Hierbei wird die Fraktur durch eine 3-Punkte-Abstützung mittels zweier gegenläufig in den Markraum eingebrachter flexibler Titan- oder Stahlnägel stabilisiert. Scherkräfte werden in Kompressionskräfte und Zugkräfte umgewandelt. Zusätzlich bestehen Mikrobewegungen im Frakturbereich, die die Kallusbildung fördern [5, 15]. Seit mittlerweise fast 2 Jahrzehnten hat sich das Verfahren auch in Deutschland etabliert und ist aus der Kindertraumatologie nicht mehr wegzudenken. Es ist gut zu erlernen, jedoch gibt es bei der Durchführung, wie bei vielen Operationsverfahren, eine gewisse Lernkurve. Die Dicke der ESIN sollte am Humerus, Femur und an der Tibia 1/3 des Schaftdurchmessers betragen und am Unterarm ungefähr die Hälfte. Grundsätzlich sollten nur Nägel mit gleicher Stärke verwendet werden, um zu vermeiden, dass unterschiedliche biomechanische Kräfte auf die Fraktur wirken [5].

Mögliche Indikationen der ESIN Versorgung sind:

  • längsstabile (Quer-) Frakturen der Diaphysen der langen Röhrenknochen,
  • Unterarmschaftfrakturen (Methode der Wahl) (s. Abb. 3),
  • proximale Oberarmfrakturen,
  • supracondyläre Humerusfrakturen,
  • Radiushalsfrakturen.

Da bei langen Spiralfrakturen meist keine 3-Punkte-Abstützung möglich ist, sollte hier auf alternative Operationstechniken zurückgegriffen werden [25]. Auch die komplikationsträchtige distale Radiusfraktur des diametaphysären Übergangs sollte nach Meinung vieler Autoren nicht mittels ESIN versorgt werden [5, 12].

Komplikationen

Schwerwiegende Komplikationen nach der ESIN, wie z.B. postoperative Infektionen oder Refrakturen sind Ausnahmefälle. In 2 Studien über kindliche Femurfrakturen konnte gezeigt werden, dass bei Kindern, die mehr als 49 kg wogen oder älter als 10 Jahre waren, häufiger Komplikationen nach der ESIN auftraten als im Vergleich zu leichteren und jüngeren [4, 17]. „Korkenzieher- oder Telescoping- Effekte“, Kortikalisperforationen oder Fragmentdislokationen mit Achsabweichungen sind meist Folge falscher Operationstechnik oder inkorrekter Indikationsstellung [7, 22].

Fixateur-externe-Stabilisierung

Die Fixateur-externe-Stabilisierung von Frakturen im Wachstumsalter ist das Verfahren der Wahl bei Knochenverletzungen, die mit einem großflächigen Weichteilschaden verbunden sind. Um eine bestmögliche biomechanische Stabilität zu erlangen, sollten proximal und distal der Fraktur 2 Schanz´sche Schrauben bikortikal in den Knochen eingebracht werden, die mit ein bis 2 Längsträgern verbunden werden. Sollte dies wie z.B. am distalen Humerus und Unterarm aus Platzgründen nicht möglich sein, empfiehlt es sich, die Fraktur mit einem zusätzlichen diagonalen K-Draht, der ebenfalls am Fixateur externe befestigt werden kann, zu stabilisieren [27] (Abb. 4). Bei Femur-/Tibiaschaftfrakturen kann postoperativ eine sofortige Vollbelastung erfolgen, wobei sich viele Kinder (und deren Eltern) erst an den Fixateur externe gewöhnen müssen und daher eine Mobilisation meist erst nach 1–2 Wochen möglich ist. Abbildung 5 zeigt die Versorgung einer Femurspiralfraktur bei einem 3½-jährigen Jungen nach Fahrradsturz. Die Metallentfernung sollte erst erfolgen, nachdem mindestens 3 von 4 Kortikalices eine knöcherne Konsolidierung aufweisen [5, 15, 21, 26].

Mögliche Indikationen zur Fixateur-externe-Stabilisierung sind:

  • längsinstabile diaphysäre Spiral- und Mehrfragmentfrakturen der langen Röhrenknochen,
  • supracondyläre Humerusfrakturen,
  • diametaphysäre Radiusfrakturen,
  • offene Frakturen und Frakturen in Kombination mit großem Weichteiltrauma,
  • Frakturversorgung bei polytraumatisierten Kindern.

Komplikationen

Die meisten Komplikationen, die in der Literatur beschrieben werden, beziehen sich auf die Behandlung femuraler Frakturen mittels Fixateur externe. Hierbei wird in bis zu 72 % der Fälle die Infektion der Pinkanäle angegeben, wobei zu beachten ist, dass von einigen Autoren Pinreizungen und Pinirritationen ohne systemische Infektzeichen nicht von Pininfektionen unterschieden werden. Tiefere Infektionen und sogar Osteolysen im Bereich der Schanz´schen Schrauben sind viel seltener [21]. Einige Autoren haben die Infektrate infolge einer Fixateur-externe-Behandlung reduzieren können, in dem sie die Patienten anhalten, den Fixateur täglich abzuduschen und zu säubern [25]. Femur-Refrakturen nach Fixateur-externe-Behandlung treten in bis zu 4 % der Fälle auf [21, 26].

Die Schraubenosteosynthese

Die Schraubenosteosynthese wird bei Frakturen angewendet, bei denen eine Kompression auf die Fraktur ausgeübt werden muss, um so das korrekte Repositionsergebnis zu stabilisieren und eine sekundäre Dislokation durch Muskelzug zu vermeiden. Hierbei muss darauf geachtet werden, dass die Wachstumsfuge nicht tangiert wird. Bei der Condylus-radialis-Fraktur kann bei kleinen Fragmenten ein zusätzlich eingebrachter K-Draht eine Rotation des Fragments vermeiden (Abb. 6). Ziel der Stabilisierung der Condylus-radialis-Fraktur ist es, eine Konsolidierungsverzögerung und die Entwicklung einer Pseudarthrose und der damit verbundenen Valgusfehlstellung und sekundären Instabilität zu verhindern [9, 29]. Bei der Übergangsfraktur der distalen Tibia ist die Schraubenosteosynthese ebenfalls die Therapie der Wahl. Da es sich um eine intraartikuläre Verletzung handelt, ist eine anatomische Reposition zur Minimierung des Risikos einer posttraumatischen Arthrose angebracht [3].

Mögliche Indikationen zur Schraubenosteosynthese sind epiphysäre und metaphysäre Frakturen aller Lokalisationen wie z.B.:

  • Frakturen des Condylus radialis,
  • Übergangsfrakturen der distalen Tibia.

Komplikationen

Bei der Versorgung von Frakturen im Wachstumsalter mittels Schraubenosteosynthese sind grundsätzlich alle Formen von Komplikationen denkbar. Durch das meist minimalinvasive Einbringen der Schrauben ist das Risiko einer Nerven-, Gefäß- und/oder Sehnenverletzung nicht klein. Untersuchungsergebnisse hierüber sind in der internationalen Literatur jedoch nur vereinzelt zu finden.

Die meisten publizierten Komplikationen hängen direkt mit der Verletzung selbst zusammen. Bei der Übergangsfraktur der distalen Tibia z.B. sind Wachstumsstörungen unwahrscheinlich, da die Wachstumsfuge bereits teilverschlossen ist und somit erst diese Frakturform ermöglicht [2]. Veröffentlichungen über die Entstehung einer posttraumatischen Arthrose nach nicht anatomischer Reposition und inadäquater Schraubenosteosynthese bei Übergangsfrakturen finden sich nicht. Eine der häufigsten Komplikationen nach Fraktur des Condylus radialis sind die Varusdeformität sowie die Entstehung einer Pseudarthrose. Durch die Kompressionsschraubenosteosynthese kann das Risiko der Entstehung eines varischen Mehrwachstums nahezu vermieden werden [3, 29].

Lateraler Femurnagel für
Jugendliche

Seit kurzem ist ein Nagelsystem auf dem Markt, das speziell für Patienten entwickelt wurde, die für die Frakturbehandlung des Femurs mittels ESIN zu groß und/oder zu schwer sind. Der laterale Femurnagel für Jugendliche (adolescent lateral femoral nail [ALFN])wirkt als eine Art innere Schiene, die Mikrobewegungen der Fragmente zulässt und so die Kallusbildung fördert. Postoperativ ist die Fraktur voll belastbar [29].

Mögliche Indikationen des ALFN sind:

  • Frakturen und Pseudarthrosen des Femurschafts,
  • subtrochantäre Femurfrakturen,
  • pathologische Frakturen des Femurs.

Komplikationen

Die Frakturenversorgung im Wachstumsalter mittels ALFN stellt ein recht neues Verfahren dar, so dass sich in der internationalen Literatur nur wenige Erfahrungsberichte und keinerlei Langzeitergebnisse finden. Erste Zahlen zeigen jedoch ein gutes und vielversprechendes Outcome. Die bisher beobachtete postoperative Infektionsrate lag bei 2,5 % [8].

Fazit

Zur Behandlung kindlicher Frakturen stehen eine Vielzahl verschiedener minimalinvasiver Verfahren zur Verfügung. Hierbei sind die Kirschner-Draht-Stabilisierung, die elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN), die Fixateur-externe-, die Schraubenosteosynthese und der laterale Femurnagel für Jugendliche zu nennen. Bei der Wahl des Osteosyntheseverfahrens spielen weitere Faktoren eine wesentliche Rolle, die die Grundlage einer adäquaten Therapieplanung bilden. Hier fließen das Alter, die Größe und das Gewicht des Patienten sowie die Frakturart und -lokalisation mit ein. Konservative und operative Vorgehensweisen konkurrieren nicht, sondern ergänzen sich. Um nicht schicksalhafte Komplikationen zu vermeiden, muss der behandelnde Arzt sämtliche konservative wie auch operative Verfahren beherrschen. All dies ist Voraussetzung einer erfolgreichen und kindgerechten Behandlung, die dem Patienten eine schmerzfreie und zügige Heilung und somit eine schnellstmögliche Rückkehr zu den Aktivitäten des täglichen Lebens ermöglicht.

 

Interessenkonflikt: Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christian H. Illian

Klinik für Unfallchirurgie und
Orthopädie,

Bethanien Krankenhaus für die
Grafschaft Moers,

Bethanienstraße 21

47441 Moers

christian.illian@bethanienmoers.de

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Fussnoten

1 Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Bethanien Krankenhaus für die Grafschaft Moers

2 Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Schwarzwald Baar Klinikum, Villingen Schwenningen

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