Übersichtsarbeiten - OUP 12/2016

Pathologische Deformitäten der Kleinzehen und Korrekturmöglichkeiten

Heino Arnold1

Zusammenfassung: Zu Unrecht werden Kleinzehendeformitätem häufig bagatellisiert, sind doch oft gerade deren schmerzende Schwielen und Hühneraugen Grund für einen Besuch beim Arzt. Heutzutage stehen auch bei Fehlstellungen der Kleinzehen gelenkerhaltende Operationen im Vordergrund des Therapiespektrums. Während durch die teilweise Entfernung eines gelenktragenden Anteils des Grundglieds oder gar des Mittelfußköpfchens eine Störung des physiologischen Auftritts und Abrollvorgangs in Kauf genommen wurde, hat sich unter dem Gesichtspunkt einer zunehmend funktionserhaltenden Betrachtungsweise das operative Repertoire gewandelt. Auf der Grundlage einer differenzierten Analyse der Fehlstellung kann mittels Sehnenverlagerungen oder Korrekturosteotomien eine Funktionseinschränkung häufig vermieden werden. Eine Resektionsarthroplastik mit Entfernung gelenktragender Anteile der
Zehenglieder sollte in der Anwendung auf kontrakte Fehlstellungen beschränkt bleiben, der Verlust des Mittelfußköpfchens bei der Therapie der Kleinzehendeformitäten nicht rheumatischer Ursache gänzlich vermieden werden.

Schlüsselwörter: Kleinzehendeformitäten, differenzierte Analyse, Funktionserhalt, kontrakte Deformität, Gelenkerhalt

Zitierweise
Arnold H: Pathologische Deformitäten der Kleinzehen und deren Korrekturmöglichkeiten.
OUP 2016; 12: 679–683 DOI 10.3238/oup.2016.0679–0683

Summary: Lesser toe deformities are often trivialized, but often just their painful calluses and corns are the reason for visiting the physician. Today joint-preserving operations are also state of the art in therapy of deformities of the lesser toes. A disturbance of the physiological gait and biomechanics has been accepted by removing joint-bearing bones or even parts of the metatarsal head. Nowadays the surgical repertoire has changed from the viewpoint of an increasingly function-preserving approach. On the basis of a differentiated analysis of the deformity functional restrictions can often be avoided by means of tendon transfers or correcting osteotomies. A resection arthroplasty should be limited in their application to contract deformities, the loss of the metatarsal head should be avoided in the treatment of non-rheumatoid lesser toe deformities.

Keywords: lesser toe deformities, exact analysis, functional integrity, contract deformity, joint preservation

Citation
Arnold H: Pathological deformaties of the lesser toe and therapeutic options.
OUP 2016; 12: 679–683 DOI 10.3238/oup.2016.0679–0683

Einleitung

Kleinzehendeformitäten stellen im Zusammenhang der Korrektur komplexer Vorfußerkrankungen oft ein nachrangiges, für den Betroffenen nichtsdestoweniger häufig sehr schmerzhaftes Problem dar. Ihren Krankheitswert beim Patienten finden sie in erster Linie durch die Entwicklung quälender Druckstellen im Schuhwerk, was nicht selten auslösend für die Konsultation des Arztes ist.

Stellten über Jahrzehnte resezierende Verfahren mit teilweise deutlichen Funktionseinbußen der Biomechanik des Fußes den Standard dar, so hat sich auch hier unter dem Einfluss einer sich zunehmend spezialisierenden Fußchirurgie die Sichtweise gewandelt. Unter Berücksichtigung des Funktionserhalts bieten auch bei Kleinzehendeformitäten gelenkerhaltende Operationen bei Wahrung der korrekten Indikationsstellung deutliche Vorteile. Letztere fußt auf der Analyse des zur jeweiligen Deformität führenden dynamischen Krankheitsprozesses. Erschwert wird dies durch eine gewisse definitorische Unklarheit, zumal im deutschen und angloamerikanischen Sprachraum dieselbe Kleinzehendeformität oftmals unterschiedlich bezeichnet wird. Hier konnte noch keine abschließende Übereinstimmung gefunden werden. Zu Beginn dieser Übersicht soll daher nochmals auf die unterschiedlichen Definitionen der Kleinzehenfehlstellungen eingegangen werden [1, 2]

Definition der
Kleinzehendeformitäten

Hammerzehe, Krallenzehe,
Klauenzehe

Folgt man der klassischen Definition, so liegt bei einer Hammerzehe eine Überstreckung im Zehengrundgelenk vor, das Mittelgelenk hingegen ist plantarwärts gebeugt, während das Endglied in Mittelstellung oder leichter Dorsalflexion steht. Immer weist die Zehenkuppe noch Kontakt mit dem Boden auf [3] (Abb. 1).

Die Krallen- oder Klauenzehe kann als Weiterentwicklung der Hammerzehe gesehen werden. Das Grundglied ist nun im Grundgelenk nach dorsal subluxiert oder luxiert, sowohl Mittel- als auch Endglied stehen in Plantarflexion, was regelhaft zum Verlust des Bodenkontakts führt [4]. Hier drängt sich der Vergleich zwischen einer Krallenzehendeformität und dem Aussehen einer Vogelkralle auf (Abb. 2).

In neuerer Zeit wird im deutschen Sprachraum unter einer Hammerzehe eine fixierte Beugefehlstellung des Mittel- und Endglieds im Verhältnis zum Grundglied der Zehe verstanden, wobei die Fehlstellung vornehmlich das proximale Zehenzwischengelenk betrifft. Bei Subluxation oder Luxation des ersten Grundglieds im Grundgelenk nach dorsal liegt eine Krallenzehe vor [5]. Manche Autoren haben hierfür den Begriff der Klauenzehe gewählt, allerdings eingeschränkt auf neurologische Erkrankungen [6].

Im angloamerikanischen Schrifttum hingegen wird unter einer Hammerzehe eine Zehendeformität mit Beugefehlstellung im proximalen Zehenzwischengelenk unter Überstreckung im Zehengrundglelenk verstanden.

Eine Krallenzehe liegt vor, wenn das Grundglied im Grundgelenk in Dorsalflexion subuxiert oder luxiert kontrakt steht [7].

Für diese Arbeit wird, insbesondere im Hinblick auf die Pathogenese und die daraus abgeleiteten therapeutischen Konsequenzen, auf die zu Beginn [1, 2] gegebene Definition verwiesen.

Weitere Kleinzehendeformitäten

Unter eine Malletzehe oder Endgelenkhammerzehe wird übereinstimmend eine Beugekontraktur im distalen Interphalangealgelenk mit fixierter Beugefehlstellung des Zehenendglieds unter Bodenkontakt verstanden.

Von einer „Curly Toe“, Varuszehe oder Kamptodaktylie wird gesprochen, wenn eine Kleinzehe eine Rotationsfehlstellung aufweist, einhergehend mit einer Beugefehlstellung des Mittelglieds gegenüber dem Endglied. Diese Fehlstellung ist angeboren und bei Kindern häufig bilateral vorhanden [4].

Bei einem sogenannten Digitus quintus varus subductus oder superductus handelt es sich um eine Deformität der 5. Kleinzehe, einhergehend mit einer Beugefehlstellung in den Zehenzwischengelenken sowie gleichzeitiger Adduktion und Drehfehlstellung der gesamten Zehe unterschiedlicher Ausprägung. Hierbei kann die 5. Zehe der 4. Zehe entweder unter- oder aufgelagert sein. Zum Arzt führt den Patienten häufig eine sehr schmerzhafte Druckstelle im Zehenzwischenraum, ein sogenanntes „soft corn“.

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