Übersichtsarbeiten - OUP 12/2016
Pathologische Deformitäten der Kleinzehen und Korrekturmöglichkeiten
Der Begriff der Bunionette oder des „Tailor´s Bunion“, des Kleinzehen- oder Schneiderballens, wurde 1956 von Lelièvre eingeführt. Hierbei liegt eine Fehlstellung im 5. Zehengrundgelenk vor, bei der man radiologisch einen vergrößerten Winkel zwischen dem 4. und 5. Mittelfußknochen findet [8].
Pathogenese
Sowohl das immer wieder angeschuldigte modische Schuhwerk als auch verschiedene Fußdeformitäten, bei denen Hammer- oder Krallenzehen beobachtet werden, führen, ebenso wie neurologische Grunderkrankungen, zu einer erhöhten Anspannung der langen Zehenbeuger.
Da der kurze Zehenbeuger am Mittelglied, der lange, vom Unterschenkel entspringende Zehenbeuger am Endglied ansetzt, die Zehenstrecker hingegen bereits am Grundglied, verbleibt das Grundglied in Streckstellung, während Mittel- und Endglied zunehmend in Beugestellung geraten. Hinzu kommt, dass die zunehmende Vorspannung der langen Zehenbeuger der Funktion der kleinen Fußmuskeln entgegenwirkt.
In Analogie zur Hand sind diese für die Streckung im Mittel- und Endgelenk bei gleichzeitiger Beugung in Grundgelenk notwendig. Über die sich entwickelnde muskuläre Dysbalance kommt es schließlich zum Verlust der Streckwirkung der Fußbinnenmuskulatur auf Mittel- und Endglied, was die Fehlstellung unterhält. Hier setzen auch operative Korrekturmöglichkeiten im Falle einer flexiblen, noch weichen Deformität an, worauf später einzugehen sein wird.
Bei Fußdeformitäten, die mit vermehrter Beugung sohlenwärts der Mittelfußknochen einhergehen, also vor allem Ballen- und Hohlfuß, wird in Umkehrung obiger Pathogenese als erste Ursache eine erhöhte Anspannung der Strecker diskutiert, da der hochgewölbte Fußrücken einer mechanischen Umlenkrolle, einem Hypomochlion, gleichkomme [4]. Auch dies mündet letzten Endes über die Überstreckung im Zehengrundgelenk in eine vermehrte Grundspannung der langen Zehenbeuger, mit der Folge einer Schwächung der Fußbinnenmuskulatur.
Schuhwerk, in dem die Zehen aufgestaucht werden, begünstig eine Schwächung dieser wichtigen Muskulatur, die in dieser Position ihren streckenden Einfluß auf Zehenmittel- und Endgelenk verliert, wodurch der Entstehung einer Zehendeformität Vorschub geleistet wird. Ähnlich wird eine Hallux-valgus-Deformität die 2. Zehe aus Platzgründen in eine Beugestellung zwingen.
Die Ursachen einer Malletzehe sind nicht bekannt. Schuhdruck sowie eine Verkürzung der langen Zehenbeuger sollen eine Rolle spielen. Für eine „Curly Toe“ wird ursächlich ein erhöhter Beugesehnentonus angeschuldigt.
Beim Digitus quintus subductus und superductus spielen muskuläre Dysbalancen eine Rolle, wobei beim Digitus subductus der Beugesehnentonus überwiegt [9].
Für die Entstehung des Kleinzehenballens mit vergrößertem Winkel zwischen 4. und 5. Mittelfußknochen werden sowohl sekundäre Fehlstellungen des 5. Metatarsale bei Abflachung des Längsgewölbes oder bei chronischer Polyarthritis als auch die primäre Ausbiegung des Knochens nach lateral verantwortlich gemacht.
Klinische Untersuchung und Therapieentscheidung
Liegt eine infolge der Beschwerden therapiebedürftige Kleinzehendeformität vor, so kommen bei Kontraindikationen gegen Operationen oder nicht operationswilligen Patienten verschiedene orthopädietechnische Zurichtungen des Schuhwerks oder bei entsprechenden Schweregraden die Fertigung orthopädischen Maßschuhwerks in Betracht. Zu denken ist hier in erster Linie an Ausweitung der Zehenkappe im Vorfußbereich oder ein Zehenbänkchen im Sohlenbereich.
Eine ursächliche Therapie zur dauerhaften Korrektur der Deformität ist jedoch nur operativ möglich. Prinzipiell sollte hierbei die Zehenfehlstellung immer „an der Wurzel“, im Falle einer Krallenzehe beispielsweise im Zehengrundgelenk und keineswegs zunächst distal, korrigiert werden.
Vor allem bei der Hammerzehe ist darüber hinaus zur Wahl des geeigneten Operationsverfahrens zunächst die Entscheidung erforderlich, ob eine flexible, passiv noch korrigierbare oder kontrakte Deformität vorliegt.
Dies kann durch sorgfältige klinische Untersuchung ermittelt werden. Bei allen Zehendeformitäten sollten Röntgenaufnahmen unter Belastung gefertigt werden, wobei bei Kleinzehendeformitäten im Falle von Überlagerungseffekten im seitlichen Strahlengang eine zusätzliche Schrägaufnahme hilfreich sein kann [10].
Operative Therapie
Flexible, passiv korrigierbare
Hammerzehe
Konnte eine flexible Hammerzehe diagnostiziert werden, so ist ein Transfer der langen Beugesehne von plantar nach dorsal unter Umflechtung des Grundglieds indiziert.
Durch Verlagerung der langen Beugesehne nach dorsal wird deren Funktion umgekehrt und zugleich der beugende Einfluß auf End- und Mittelglied ausgeschaltet, sodass die Funktion der kurzen Fußmuskeln im Sinne einer Streckung der Zehenzwischengelenke unter gleichzeitiger Beugung im Zehengrundgelenk unterstützt wird. Dieser Eingriff wird auf Girdlestone zurückgeführt [11, 12].
Bei gebeugter Kleinzehe werden die in Vorspannung nach fußrückenwärts verlagerten Sehnenzügel miteinander über der Strecksehne vernäht (Abb. 3). Zur Sicherung des Korrekturergebnisses wird ein Pflasterzügelverband für 3 Wochen angelegt.
Kontrakte Hammerzehe
Erweist sich die Zehendeformität bereits als kontrakt, so ist die Entfernung des gelenktragenden Anteils des Zehengrundglieds indiziert, eine Operation, wie sie bereits in den 20-er Jahren von G. Hohmann, damals Ordinarius für Orthopädie in München, beschrieben wurde [13]. Das Korrekturergebnis wird durch eine Kirschner-Draht-Fixation für 3 Wochen gesichert. Alternativ ist auch eine Arthrodese des PIP möglich, die entweder mit Kirschner-Draht oder über ein Spezialimplantat, wie von der Industrie angeboten, fixiert wird (Abb. 4).
Als obsolet anzusehen ist die Entfernung des proximalen Anteils der Grundphalanx, da hierdurch die Biomechanik des Fußes durch Zerstörung des Grundgelenks vor allem in der Abrollphase dauerhaft geschädigt wird.
Krallenzehe
Bei der operativen Korrektur der Krallenzehendeformität ist vor allem die Beseitigung der Luxationsfehlstellung im Zehengrundgelenk anzustreben. Hierzu wurde die Metatarsaleköpfchen-Verschiebe-Osteotomie eingeführt [14]. Ziel ist hierbei eine dosierte Rückkürzung der Länge des Mittelfußknochens (Abb. 5), sodass die Kleinzehe wieder tiefer treten und Bodenkontakt gewinnen kann. Wurde anfangs der breite Einsatz der Operation auch beim Beschwerdebild der Metatarsalgie unter der Zielsetzung einer Harmonisierung des Vofußalignements propagiert, so hat sich mittlerweile als Hauptindikation die Korrektur der Krallenzehe herauskristallisiert. Ziel dieser Technik bei der Korrektur der Krallenzehe ist der funktionsfähige Erhalt des Zehengrundgelenks im Hinblick auf die Biomechanik des Abrollvorgangs. Resezierende Verfahren am Metatarsaleköpfchen sollten auf die Indikation der rheumatischen Vorfußkorrektur beschränkt bleiben.