Übersichtsarbeiten - OUP 03/2018

Perioperatives Gerinnungsmanagement bei Patienten unter oraler Antikoagulation

Ulrich J. Sachs1

Zusammenfassung: Der Anteil an Patienten, die orale Antikoagulanzien einnehmen, steigt mit zunehmendem Lebensalter. Voraussetzung für ihre operative Versorgung nach einer Unfallverletzung ist die Wiederherstellung einer adäquaten Gerinnungssituation. Der klinisch vertretbare zeitliche Abstand zwischen Unfallereignis und operativem Eingriff ist für das optimale Vorgehen entscheidend. Postoperativ bedürfen Patienten, die Vitamin-K-Antagonisten einnehmen, oft einer Überbrückung mit einem niedermolekularen Heparin, während Patienten, die ein direktes orales Antikoagulans einnehmen, meist mit diesem weiterbehandelt werden können. Im Interesse der Patienten sollten klinikinterne Handlungsempfehlungen etabliert werden, zu denen diese Übersicht eine erste Orientierung geben will.

Schlüsselwörter: direkte orale Antikoagulanzien, DOAK, VKA, Vitamin-K-Antagonisten, perioperativ, Gerinnungsmanagement

Zitierweise
Sachs UJ: Perioperatives Gerinnungsmanagement bei Unfallverletzten unter oraler Antikoagulation.
OUP 2018; 7: 140–144 DOI 10.3238/oup2018.0140–0144

Summary: The number of patients on oral anticoagulants increases with age. Following trauma, reconstitution of an adequate hemostasis is required prior to surgery. It is the available time frame between the accident and the appropriate surgical approach, which defines the optimal strategy for anticoagulant reversal. After surgery, many patients, who were on vitamin K antagonists, will require bridging anticoagulation with low-molecular weight heparin. Patients, who were on direct oral anticoagulants, in contrast, may often restart taking their initial medication shortly after surgery. It is in our patients’ interest to establish institutional recommendations; this article aims to provide initial guidance.

Keywords: direct oral anticoagulants, DOAC, VKA, vitamin
K antagonists, perioperative period, coagulation management

Citation
Sachs UJ: Perioperative management of trauma patients on oral anticoagulants.
OUP 2018; 7: 140–144 DOI 10.3238/oup2018.0140–0144

Einleitung

Mit zunehmendem Lebensalter steigt der Anteil an Patienten, die Medikamente mit dem Ziel erhalten, das Auftreten oder Wiederauftreten von thromboembolischen Ereignissen zu vermeiden. Zu den klassischen Indikationen für eine solche Antikoagulation gehören Vorhofflimmern, zurückliegende thromboembolische Ereignisse im venösen oder arteriellen Stromgebiet sowie der mechanische Herzklappenersatz. Voraussetzung für eine operative Versorgung bei diesen Patienten ist die Wiederherstellung einer adäquaten Hämostase [6, 12]. Dieses Ziel kann in Abhängigkeit von der ursprünglichen Indikation zur Gerinnungshemmung, dem zur Prophylaxe eingesetzten Medikament und dem verfügbaren Zeitfenster zwischen dem Unfallereignis und dem Eingriff auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Mit der teilweisen oder vollständigen Wiederherstellung der Hämostase werden die Patienten einem erhöhten Thromboembolierisiko ausgesetzt, das für den Eingriff in Kauf genommen werden muss. In der postoperativen Phase ist in der Regel die zeitnahe Wiederaufnahme der Antikoagulation indiziert. Kann diese nicht unmittelbar mit dem ursprünglichen Medikament erfolgen und ist vorübergehend eine alternative Antikoagulation erforderlich, bevor auf das ursprüngliche Präparat zurückgegriffen werden kann, wird im klinischen Alltag der Begriff bridging verwendet.

Vitamin-K-Antagonisten

Die mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) behandelten Patienten stellen zurzeit (noch) den Großteil der dauerhaft oral antikoagulierten Patienten dar. VKA gehören zur Gruppe der Coumarinderivate. Sie inhibieren in der Leberzelle die Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X, sodass diese biologisch inaktiv sind. In der Gerinnungsanalytik zeigt sich eine erniedrigte Thromboplastinzeit nach Quick (kurz „Quickwert“); die daraus errechnete, zwischen verschiedenen Laboren vergleichbare international normalized ratio (INR; Referenzbereich ca. 0,8–1,2) ist dabei erhöht (Tab. 1). Der INR-Zielwert für Patienten mit mechanischen Herzklappen liegt bei 2,5–3,5; Patienten mit Vorhofflimmern oder nach Thromboembolie werden auf eine INR von 2,0–3,0 eingestellt. Für die meisten unfallchirurgischen Eingriffe ist erst ab einer INR < 1,5 mit einer ausreichenden Hämostase zu rechnen.

VKA haben eine lange Wirkdauer, das in Deutschland häufig eingesetzte Phenprocoumon hat eine mittlere Ausklingzeit von 6,5 Tagen, sodass reines Abwarten in der Traumatologie keine Option darstellt (Abb. 1).

Wenn ein Zeitfenster von bis zu 48 Stunden zum Eingriff ausgenutzt werden kann, ist die Gabe von Vitamin K Mittel der ersten Wahl [11]. Zur Umgehung einer möglichen enteralen Resorptionsstörung beim älteren Patienten empfiehlt sich die intravenöse Gabe von 5–20 mg Vitamin K [1, 11]. Bei Patienten, die unter der Einnahme von Phenprocoumon im INR-Zielbereich liegen, kann mit dieser einmaligen Gabe von Vitamin K binnen 24 h eine für den Eingriff ausreichende Hämostase erreicht werden (Abb. 1).

Muss die Wirkung von VKA rasch aufgehoben werden, wird Prothrombinkomplex-Konzentrat (PPSB) verwendet, das alle Vitamin-K-abhängig synthetisierten Gerinnungsfaktoren (F II, F VII, F IX, F X) enthält [13]. Die Wirkung von PPSB tritt sofort ein und hält mehrere Stunden an. Limitierend ist die kurze Halbwertszeit des Gerinnungsfaktors VII (ca. 2–6 h). Die Wirkdauer von PPSB wird zusätzlich durch das Ausmaß des Faktorenverbrauchs im Rahmen einer aktiven Blutung begrenzt. Parallel zur Gabe von PPSB sollte daher Vitamin K gegeben werden (10 mg i.v.). In Abhängigkeit von Ausmaß und Dauer des Eingriffs muss der Gerinnungsstatus intraoperativ kontrolliert und ggf. weiter korrigiert werden.

Im postoperativen Verlauf muss der Patient wieder antikoaguliert werden, um das erhöhte Thromboembolierisiko abzufangen. Dazu soll niedermolekulares Heparin (NMH) eingesetzt werden, bevor später wieder ein Vitamin-K-Antagonist gegeben wird [14, 15]. Unfraktioniertes Heparin (UFH) hat, außer bei instabilen Patienten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Revision oder einen weiteren Eingriff benötigen, keine Vorteile gegenüber NMH. Die Anwendung von UFH sollte daher unter Berücksichtigung der aufwendigen Handhabung (Perfusor, regelmäßige Laborkontrollen) und höheren Risiken (Dosisfindung, Inzidenz der HIT Typ 2) auf diese kleine Patientengruppe beschränkt bleiben. Auch Patienten mit mechanischen Herzklappen können sicher mit NMH versorgt werden [2]. Zur Dosierung des NMH siehe Tabelle 2.

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