Übersichtsarbeiten - OUP 03/2018

Perioperatives Gerinnungsmanagement bei Patienten unter oraler Antikoagulation

Eine Reihe neuerer Arbeiten zeigt, dass viele Patienten mit einem klassischen Bridging überversorgt sind, sodass ihr Blutungsrisiko überproportional zunimmt [3, 4]. Noch stehen Konsensus-Empfehlungen für Deutschland aus, zumindest kann aber für Patienten mit Vorhofflimmern vorweggenommen werden, dass bei niedrigem Thromboembolierisiko auf ein klassisches Bridging verzichtet werden kann (Tab. 2).

Die Überbrückung von VKA mit Heparin kann, je nach zeitlichem Abstand zwischen Unfall und Eingriff, auch schon in die stationäre Phase vor dem Eingriff fallen. Zwischen der letzten Gabe und dem Schnitt muss UFH 4 h pausiert werden; niedermolekulares Heparin in halbtherapeutischer Dosierung wird 12 h, in therapeutischer Dosierung 24 h vor dem Eingriff pausiert. In der Regel wird die Heparingabe 12–24 h nach dem Eingriff wieder aufgenommen, bei den meisten Patienten kann parallel die Einnahme von VKA wieder begonnen und die Heparingabe dann nach Erreichen des INR-Zielwertes beendet werden [4].

Direkte orale
Antikoagulanzien

Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK; manchmal auch als neue orale Antikoagulanzien, NOAK, bezeichnet) decken das gesamte Indikationsspektrum für VKA mit Ausnahme der mechanischen Herzklappen ab [8]. Studien und klinische Erfahrungen der letzten Jahre deuten darauf hin, dass DOAK bei Patienten mit höherem Lebensalter (> 75 Jahre) und bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (GFR 30–50 ml/min) ein besseres Sicherheitsprofil bieten könnten als VKA [9]. Daher werden sie auf absehbare Zeit beim älteren antikoagulierten Patienten eine führende Rolle einnehmen und die VKA weitgehend ablösen. DOAK sind oral verfügbare direkte Inhibitoren des Gerinnungsfaktors IIa (Dabigatran) oder des Gerinnungsfaktors Xa (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) mit kurzer Halbwertszeit (5–14 h). Spezifische Laborteste, die dem INR-Wert bei der Einnahme von VKA vergleichbar wären, stehen für die DOAK nur eingeschränkt zur Verfügung (s.u.).

Wenige Stunden nach der oralen Einnahme sind DOAK in höchster Konzentration im Plasma des Patienten nachweisbar („on“), kurz vor der erneuten Einnahme jedoch nicht mehr („off“), daher spricht man bei ihrem pharmakokinetischen Verhalten auch von einer „on/off“-Kinetik (Abb. 1). Dies birgt den Vorteil, dass für Eingriffe, bei denen abgewartet werden kann, in der Regel keine besonderen Maßnahmen zur Patientenvorbereitung erforderlich sind, da nach entsprechender Einnahmepause (24–48 h) wieder eine adäquate Hämostase besteht [5] (Tab. 4). Soweit es das Verletzungsmuster zulässt, ist Zuwarten damit die beste Strategie bei Unfallverletzten, die DOAK eingenommen haben [10] (Tab. 3).

Die Elimination der DOAK ist wirkstoffspezifisch abhängig von der Nierenfunktion des Patienten (Dabigatran >> Edoxaban > Rivaroxaban/Apixaban), sodass eine adäquate Diurese eine gute Voraussetzung für die Elimination das DOAK darstellt. Die Restmenge an DOAK kann in spezifischen, kalibrierten Labortests im Gerinnungslabor (funktionell) oder aber massenspektrometrisch bestimmt werden. Solche Testverfahren werden allerdings nur in wenigen Laboratorien vorgehalten. Zudem bestehen zum jetzigen Zeitpunkt keine in Studien bestätigten sicheren Grenzwerte. Diese wären weniger für die OP als vielmehr für die Entscheidung für oder gegen rückenmarknahe Anästhesieverfahren hilfreich.

Die Thrombinzeit und Anti-Faktor Xa-Aktivität sind 2 Testverfahren, die häufiger im klinischen Labor vorgehalten werden als die spezifischen DOAK-Tests (Tab. 1). Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass eine normale Thrombinzeit die vollständige Abwesenheit von Dabigatran und ein normaler, auf niedermolekulares Heparin kalibrierter Anti-Faktor Xa-Test die vollständige Abwesenheit von Rivaroxaban, Edoxaban oder Apixaban mit guter Sicherheit anzeigt [5]. Die Thrombinzeit ist allerdings ein supersensitiver Parameter und auch bei hämostaseologisch vermutlich irrelevanten Restmengen an Dabigatran noch verlängert, sodass sie zwar für die Planung elektiver Hochrisiko-Eingriffe eine gewisse Bedeutung besitzen mag, für die Traumatologie aber kaum hilfreich ist.

Ist keine Zeit zum Zuwarten vorhanden, kann versucht werden, die Resorption von eventuell frisch eingenommenem DOAK mit Aktivkohle zu behindern. Ansonsten wird der Patient operativ versorgt und die Gerinnungssituation intraoperativ – aber nicht vorab! – durch die Gabe von PPSB stabilisiert [7]. Dabei können größere Mengen PPSB erforderlich sein (50 IE/kg KG). Besteht bei Aufnahme eine kritische Blutung, z.B. in den Kopf, beginnt die Gerinnungstherapie unmittelbar. Es gibt keine geeigneten Laborwerte, mit denen die Substitution überwacht werden kann, entscheidend ist das klinische Blutungsbild. Für das DOAK Dabigatran steht ein spezifisches Antidot zur Verfügung (Idarucizumab; Dosierung 5 g i.v. über 5 min). In der Alterstraumatologie sollte sein Einsatz bei Patienten unter Dabigatran dann erwogen werden, wenn initial eine lebensbedrohliche Blutungssituation vorliegt oder eine sonstige Blutung trotz ergriffener blutstillender Maßnahmen persistiert. Entgegen dem Eindruck, der durch zahlreiche, insbesondere anästhesiologische Empfehlungen vermittelt wird [5], zeigen Registerdaten und eigene Beobachtungen, dass die Gabe von PPSB nur selten indiziert ist und dass das intraoperative Management bei einem Großteil der Patienten unter DOAK unproblematisch ist [16]. Unfallchirurgische Abteilungen sollten in jedem Fall einen spezifischen Maßnahmenkatalog für das perioperative Management von Unfallverletzten, die DOAK einnehmen, vorhalten. Auch eine vielleicht gut gemeinte Überversorgung mit gerinnungsaktiven Substanzen kann für den Patienten eine tödliche Gefahr darstellen.

Postoperativ können die meisten Patienten das ursprüngliche DOAK am ersten oder zweiten postoperativen Tag wieder einnehmen (Tab. 4). Eine zwischenzeitliche Überbrückung mit Heparin (statt DOAK) ist nur indiziert, wenn die orale Aufnahme von Nahrung und Medikamenten beeinträchtigt oder unmöglich ist, da eine alternative Formulierung nicht zur Verfügung steht. Aufgrund der „on/off“-Kinetik der DOAK ist eine Überleitung mit paralleler Gabe von Heparin, wie sie bei VKA erforderlich ist, solange die gewünschte Antikoagulation noch nicht eingetreten ist, nicht notwendig.

Schlussfolgerung

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