Originalarbeiten - OUP 11/2013

Perioperatives Schmerzmanagement bei der Implantation von Knietotalprothesen

R. Hube1 , P. von Roth2

Zusammenfassung: Für die postoperative Mobilisation nach endoprothetischer Versorgung des Kniegelenks ist eine adäquate Schmerztherapie essenziell. In den letzten Jahren wurden diverse Regime für die perioperative Schmerztherapie entwickelt und optimiert. Die Therapieoptionen umfassen regionale Anästhesieverfahren, die intraoperative periartikuläre Infiltration und transdermale bzw. orale Analgetika. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick der neuesten Entwicklungen zu diesem Thema und informiert über aktuelle Behandlungsvorschläge.

Schlüsselwörter: Schmerztherapie, Knietotalendoprothese, periartikuläre Infiltration

 

Zitierweise

Hube R, von Roth P: Perioperatives Schmerzmanagement bei der Implantation von Knietotalprothesen.
OUP 2013; 11: 532–535. DOI 10.3238/oup.2013.0532–0535

Abstract: An adequate pain management is essential for early mobilisation after total knee replacement. During the last decade various regimes for perioperative pain management have been developed and optimized. Treatment options include regional blocks, intraoperative periarticular infiltration and transdermal and oral analgesics. This article gives an overview of the latest developments on this issue and provides information on current treatment suggestions.

Keywords: pain management, total knee replacement, total knee arthroplasty, local infiltration analgesia

 

Citation

Hube R, von Roth P: Perioperative pain management following total knee replacement.
OUP 2013; 11: 532–535. DOI 10.3238/oup.2013.0532–0535

Einleitung

Trotz der stetigen Weiterentwicklung schmerztherapeutischer Regime geben Patienten nach chirurgischen Interventionen ein inadäquates Schmerzlevel an [1, 2]. Besonders nach orthopädischen Eingriffen scheint der postoperative Schmerz nach wie vor nur schwer zu bekämpfen zu sein. Bis zu 50 % der Patienten klagen über „extreme Schmerzen“ [3, 4, 5, 6]. Postoperativer Schmerz ist eines der Top-Themen bei Patienten und kann zur Verschiebung des Zeitpunkts bis hin zum Verzicht der Knieprothesen-Implantation führen [7, 8].

Das ausgeprägte Weichteiltrauma nach Knieprothesenimplantation hat eine massive Dysregulation der katabolischen Hormone wie Kortison, Glukagon und Katecholamine zur Folge und kann so zur Schwächung des Immunsystems und über einen erhöhten Sauerstoffverbrauch zu einer Belastung des kardiovaskularen Systems führen [6]. Nach Mangano et al. birgt der postoperative Schmerz die Gefahr von pect-anginösen Beschwerden bis hin zur myokardialen Insuffizienz [9]. Weiter erhöht die durch den Schmerz verursachte Immobilisation das Risiko für eine herabgesetzte Lungenfunktion, gastrointestinale Komplikationen (z.B. Ileus), eine erhöhte Thromboseneigung und zentralnervöse Störungen (z.B. Delir) [10, 11, 12]. Darüber hinaus führt die verzögerte Rehabilitation zu einer Verlängerung des Krankenhausaufenthalts und zur Erhöhung der Behandlungskosten [3, 4, 5, 6, 10, 13].

Obwohl mehrere Behandlungsmöglichkeiten mit Kombinationen verschiedener systemischer Analgetika und/oder regionaler Anästhesieverfahren mit oder ohne Opiate zur postoperativen Schmerztherapie vorhanden sind, existiert nach wie vor kein Goldstandard. Betrachtet man die aktuelle Literatur, zeichnet sich klar eine Verschiebung hin zu multimodalen Ansätzen ab. Der vorliegende Artikel stellt die zur Verfügung stehenden Behandlungsregime der perioperativen Schmerztherapie bei der Implantation einer Knietotalprothese dar.

Patientenschulung

Mehrere Studien weisen auf die präoperativ unrealistisch hohen Erwartungen der Patienten bezüglich Rehabilitation, Schmerzreduktion und Funktion nach der Implantation einer Totalendoprothese hin [14, 15]. Maheshwari et al. gehen so weit, eine generelle Empfehlung zur Durchführung einer standardisierten präoperativen Patientenschulung zu etablieren [4]. Hierdurch erwarten die Autoren eine Reduktion der Schmerzerfahrung, da die Patienten besser auf deren Verarbeitung vorbereitet sind und die Angst vor dem Schmerz gemildert wird. Daraus soll ein Rückgang der Sensitivität des Patienten auf Schmerz resultieren [4].

Inhalations- vs.
Epiduralanästhesie

Die Regionalanästhesie ist mit deutlich weniger Komplikationen verbunden als die Inhalationsnarkose [4]. Neben dem niedrigeren Blutverlust und der verringerten Inzidenz von Thrombosen zeigt die Regionalanästhesie Vorteile in der reduzierten Depression des zentralnervösen und kardiovaskulären Systems, führt zu einer sehr guten Schmerzbekämpfung und erlaubt die frühe postoperative Mobilisation [16, 17, 18]. Von der postoperativen kontinuierlichen epiduralen Infusion sollte aufgrund von multiplen Komplikationen wie Ileus, Harnverhalt und spinalen Hämatomen wegen der postoperativ notwendigen Antikoagulation Abstand genommen werden [19, 20, 21].

Regionale Nervenblockade

Zur perioperativen Schmerztherapie kommt bei der Implantation von Knietotalendoprothesen die Blockade des N. femoralis und des N. ischiadicus in Betracht. Die Therapie kann als Single-Shot und als kontinuierliches Verfahren angewendet werden. Wiennie et al. beschrieben 1973 erstmals die 3-in-1-Technik zur Blockade des N. femoralis [22]. Der N. ischiadicus muss zur Implantation einer Knietotalprothese möglichst proximal angelegt werden, um den N. cutaneus femoris posterior zu blockieren. Dieser Nervenast ist verantwortlich für die Innervation der Fossa poplitea und führt bei Nichterfassung zur Schmerzpersistenz. Die Blockade kann anterior und posterior durchgeführt werden [23, 24, 25]. Das Auffinden des N. ischiadicus gilt als schwierig und ist eine der am seltensten angewendeten Nervenblockaden [26, 27, 28].

Die Autorenkliniken verwenden die von Pham-Dang und Naux beschriebene Technik mit geringen Modifikationen, wobei zwischen M. vastus lateralis und M. biceps femoris punktiert wird [29, 30]. Die aktuelle Studienlage zeigt, dass die Regionalkatheteranalgesie der Epiduralanästhesie und der systemischen Therapie mit Opioiden deutlich überlegen ist [31, 32, 33].

Periartikuläre
Injektionsbehandlung

Eine Weiterentwicklung der Regionalanästhesie von Seiten der Orthopädie stellt die Anwendung der intraoperativen intra- und periartikulären Injektionsbehandlung dar. Wegweisende Entwicklungen wurden hierzu von den Mitarbeitern des Ranawat Orthopaedic Center geleistet [4, 5]. Die Tabelle 1 zeigt die Zusammensetzung der in der Fachwelt als „Ranawat-Cocktail“ bekannten Mixtur. Sie enthält neben Steroiden zur Bekämpfung der lokalen Inflammations-Reaktion auch Opiate. Epinephrin verlängert durch die Vasokonstriktion die lokale Persistenz der Medikamente.

Die Gruppe um Parvataneni et al. applizierte die genannte Mixtur an multiplen Regionen im operierten Gelenk (posteriore Kapsel, postero-mediale und postero-laterale Strukturen, M. Quadrizeps, Synovium, Pes anserinus, antero-mediale Kapsel und dazugehöriges Periost, Traktus iliotibialis, Kollateralbänder mit deren Ursprüngen und Ansätzen) und konnte so eine signifikante Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung erzielen [5, 34]. Die Autoren verwenden nach Vendittoli et al. eine Lösung aus 275 mg Ropivacain, 30 mg Ketorolac und 0,5 ml Adrenalin (1:1000) [35]. Das Gesamtvolumen beträgt mit 0,9 %igem NaCl als Trägerlösung 150 ml. Dies wird auf 3 50-ml-Spritzen verteilt. Die periartikuläre Infiltration erfolgt mit je einer 50-ml-Spritze vor Implantation der Prothesenkomponenten, vor Wundverschluss und als oberflächliche Injektion nach Wundverschluss. Die lokale Therapie wird bei Vendittoli et al. um einen intraartikulären Katheter erweitert, der am ersten postoperativen Tag nach Abklemmen der Vakuumdrainage mit 150 mg Ropivacain bestückt und dann entfernt wird. Die Autoren empfehlen das lang wirksame Ropivacain, da es weniger kardio- und neurotoxisch ist als Bupivacain [35].

Postoperative
Schmerztherapie

Zu den Zielen der postoperativen Schmerztherapie gehört die Anwendung einer Vielzahl von Medikamenten mit unterschiedlichen Wirkmechanismen unter stetiger Berücksichtigung von patientenspezifischen Allergien und Medikamentenunverträglichkeiten. Es sollten Medikamente zum Einsatz kommen, die über ein kombiniertes entzündungshemmendes und schmerzlinderndes Wirkspektrum verfügen. Frühzeitig sollte die Konversion von der intravenösen (Patient-Controlled Analgesia, PCA) zur oralen Therapie mit Kombination von Depot- und kurzwirksamen Präparaten angestrebt werden. Die Anwendung von „Pfaden“ hilft bei der Standardisierung einer solchen Therapie. Neben einem Nicht-Steroidalen-Antirheumatikum (NSAR) wie Ibuprofen empfiehlt sich ein niedrigpotentes Opiat wie Tramal, Valoron oder Targin. Am Patientenbett kann die Therapie nach Bedarf durch den Patienten selbst um Novaminsulfon-Tropfen erweitert werden. Parvataneni et al. berichten über eine hervorragende Schmerzreduktion durch die Anlage eines Clonidin-Pflasters (100 µg/24 h) noch im OP-Saal [5, 34].

Diskussion

Das Outcome der Knieendoprothesen ist nach wie vor mit einem hohen Prozentsatz an unzufriedenen Patienten deutlich schlechter als nach vergleichbaren orthopädischen Eingriffen wie der Hüfttotalendoprothese. Viele Patienten geben an, dass ihre Erwartungen durch die Operation nicht erfüllt worden sind [36]. Im Vordergrund der Probleme steht neben der Funktionalität die Schmerzhaftigkeit. Demnach sollte der Fokus des perioperativen Patientenmanagements neben der exakten Prothesenimplantation und Mobilisation auf der Schmerztherapie liegen. Ein nahezu schmerzfreier Patient nach Knieprothesenimplantation ist unter der Verwendung eines multimodalen Schmerzregimes in greifbare Nähe gerückt. Die Säulen dieses Regimes stellen nach Ansicht der Autoren die präoperative Patientenschulung und die regionale Nervenblockade (N. femoralis und N. ischiadicus) dar, in Kombination mit einer intraoperativen periartikulären Infiltrationstherapie, der postoperativen Anwendung eines Schmerzpflasters und die konventionelle orale Medikation. Trotz alledem existiert die perfekte Therapie nicht. Opiate mit ihren Nebenwirkungen sind nach wie vor unverzichtbar.

 

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors bestehen.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Robert Hube

OCM München

Steinerstraße 6, 81369 München

robert.hube@ocm-muenchen.de

Literatur

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Fussnoten

1 Orthopädische Chirurgie München, OCM-Klinik

2 Charité-Universitätsmedizin Berlin, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie – Klinik für Orthopädie

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