Übersichtsarbeiten - OUP 02/2017

Prävention und Therapie von Muskelverletzungen
Stand der EvidenzCurrent state of evidence

Florian Pfab1, Christian Haser2, James O’Brien3

Zusammenfassung: Muskelverletzungen sind der häufigste Grund für eine Vorstellung beim Sportmediziner und für einen Ausfall im Profisport. Die Anzahl hochwertiger wissenschaftlicher Studien zu Prävention bzw.
Therapie von Muskelverletzungen ist zwar immer noch
gering, hat in den letzten Jahren jedoch stetig zugenommen. Diese Übersicht stellt gängige präventive und therapeutische Verfahren und deren Evidenz kurz dar. Hinsichtlich Prävention von Muskelverletzungen sind spezielle präventive Trainingsprogramme und im Speziellen das exzentrische Krafttraining evidenzbasierte Methoden. Durch Beeinflussung entsprechender Risikofaktoren für Muskelverletzungen stellen Eisbäder, Dry Needling und Kompressionstherapie potenzielle Optionen als Ergänzung dar.

Zur Evaluation der derzeit empfohlenen Sofortmaßnahmen Schonung, Entlastung, Kühlung, Kompressionsverband und Hochlagerung gibt es keine hochwertigen klinischen Studien. Bezüglich des therapeutischen Effekts gibt es moderate Hinweise für einen Effekt von häufigerem Dehnen und
exzentrischem Krafttraining.

Schlüsselwörter: Muskelverletzungen, Prävention, Behandlung

Zitierweise
Pfab F, Haser C, O’Brien J: Prävention und Therapie von Muskelverletzungen. Stand der Evidenz.
OUP 2017; 2: 087–090 DOI 10.3238/oup.2017.0087–0090

Summary: Although muscle injuries are the most common reason for presentation to a sports medical specialist and the most common time-loss injury in professional sports, scientific evidence for prevention or treatment of muscle injuries is still scarce. This short review summarizes common treatment and preventive methods, along with the corresponding scientific evidence. Evidence-based strategies for preventing muscle injuries include injury prevention exercise programs, and in particular the nordic hamstring exercise. Further options aimed at addressing injury risk factors
include ice baths, dry needling and wearing compression garments.

There are currently no high-quality clinical trials to support the commonly employed PRICE (Protection, Rest, Ice, Compression, Elevation) approach to managing acute muscle
injuries. A moderate treatment effect has been observed for frequent stretching as well as eccentric training.

Keywords: muscle injuries, prevention, treatment

Citation
Pfab F, Haser C, O’Brien J: Prevention and treatment of muscle
injuries. Current state of evidence.
OUP 2017; 2: 087–090 DOI 10.3238/oup.2017.0087–0090

Einleitung

Muskelverletzungen sind die häufigsten Verletzungen im Breiten- sowie Profisport und sind in einem Drittel der Fälle der Grund für eine Vorstellung beim Sportmediziner [1, 6, 33]. Im europäischen Profifußball sind Muskelverletzungen für ein Drittel aller verletzungsbedingten Ausfallstage verantwortlich und zudem der häufigste Grund, am Training bzw. Spielbetrieb nicht teilnehmen zu können [14, 15]. Sie verursachen dort ein Drittel der gesamten verletzungsbedingten Ausfälle. Im gesamten professionellen wie auch Breitensport stellen Muskelverletzungen somit ein substanzielles Problem für Sportler und Vereine dar [15].

Am häufigsten ist die ischiokrurale Muskulatur betroffen[1, 19]. Muskelverletzungen sind assoziiert mit Sportarten, die schnelle Be- und Entschleunigung, Sprünge, Dreh- und Kickbewegungen enthalten und bedingen sowohl eine entsprechende Verletzungspause, sowie eine reduzierte Leistungsfähigkeit bei Rückkehr ins Training [15]. Präventionsprogramme gewinnen deshalb im Hochleistungssport immer mehr an Bedeutung [35–37].

Intrinsische Risikofaktoren für Muskelverletzungen sind vorhergehende Muskelverletzung, höheres Alter, erhöhte muskuläre Spannung, muskuläre Dysbalancen, reduzierte Beweglichkeit bzw. Dehnbarkeit, Müdigkeit, erhöhter Body-Mass-Index und vorhergehende Osteitis pubis bzw. Knieverletzungen [34, 38, 48]. Durch Reduzierung der muskulären Dehnfähigkeit und Flexibilität indirekt mit Muskelverletzungen assoziiert ist das Vorhandensein myofaszialer Triggerpunkte [21]. Diese stellen hyperreagible Zonen innerhalb eines „taut band” des Skelettmuskels oder der Faszie dar und verursachen auf Druck typischerweise Schmerzausstrahlung, lokale Spannung und autonome Veränderungen [8, 45]. Risikofaktoren für die Entwicklung myofaszialer Triggerpunkte stellen Trauma und muskuläre Überbeanspruchung dar [8]. Extrinsische Risikofaktoren stellen z.B. ein erhöhtes Ausmaß an Belastung und verkürzte Regeneration dar; im Profisport scheinen Muskelverletzungen auch mit der Anzahl bzw. der Intensität von Wettkämpfen zu korrelieren [6, 19].

In dieser Übersicht werden gängige Optionen zu Prävention und Therapie von Muskelverletzungen evidenzbasiert kurz dargestellt:

Präventive Methoden

Akupunktur

Eine zunehmend interessante therapeutische Möglichkeit innerhalb der Sportmedizin stellt die Akupunktur dar. Während z.B. zum chronischen Schmerz oder zu Sprunggelenkdistorsionen bereits eine Vielzahl von Studien vorliegen und systematische Übersichtsarbeiten eine punktspezifische Wirksamkeit der Akupunktur zeigen [49], gibt es bisher noch keine größeren placebokontrollierten Studien zur Prävention oder Therapie von muskulären Verletzungen durch Akupunktur. Kleinere experimentelle Studien liefern lediglich Hinweise für einen möglicherweise präventiven Effekt von Akupunktur bzgl. Muskelverletzungen: So zeigten Studien an Sportstudenten eine Reduzierung der Boden-Kontaktzeit beim Sprung, Verkürzung der Dauer eines experimentell induzierten Muskelkaters, sowie Erhöhung der Maximalkraft in der isokinetischen Kraftmessung durch Akupunktur im Vergleich zu Placebo [23, 22, 4].

Aufwärmprogramme

Einige größere randomisierte kontrollierte Studien untersuchten die Effekte von verletzungspräventiven Übungsprogrammen. Das Präventionsprogramm FIFA 11+ ist ein ca. 20-minütiges Aufwärmprogramm zur Verletzungsprophylaxe mit Fokus auf Rumpfstabilisation, exzentrisches, pylometrisches und propriozeptives Training sowie Laufübungen. Es sollte mindestens 2-mal pro Woche absolviert werden; vor einem Spiel jeweils nur die Laufübungen.

In einer systematischen Übersichtsarbeit, die u.a. 7 randomisierte kontrollierte Studien (n = 3733) und 4 Kohorten (n = 1106) inkludierte, zeigten Barnego et al. [5] einen signifikanten Rückgang von Verletzungen (zwischen 30 und 70 %) bei Durchführung des Aufwärmprogramms FIFA 11+ (www.FIFA.com). Spieler mit hoher Compliance (1,5x pro Woche) zeigten eine Verletzungsrisikoreduktion um 35 % sowie signifikant verbesserte neuromuskuläre und motorische Fähigkeiten. Entsprechende Compliance scheint ein Schlüsselfaktor zur erfolgreichen Reduzierung von Verletzungen durch entsprechende athletische Präventionsprogramme zu sein: Mannschaften mit guter Compliance zeigten weniger Verletzungen [44].

Manipulative Therapie

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