Übersichtsarbeiten - OUP 12/2013

Primär- und Verlaufsdiagnostik bei Frakturen im Wachstumsalter

R. Kraus1, 2

Zusammenfassung: Die klinische und bildgebende Diagnostik in der Kindertraumatologie dient dem Nachweis von Frakturen und anderen Verletzungen. Sie darf keine zusätzlichen Schmerzen bereiten. Der Strahlenschutz ist besonders zu berücksichtigen, dennoch ist das konventionelle Röntgenbild unverzichtbar. Der Ultraschall wird in Zukunft einen größeren Stellenwert erlangen. CT und MRT sind wenigen, bestimmten Fragestellungen vorbehalten. Die Verlaufs- und Kontrolldiagnostik sollte vorwiegend in der klinischen Befunderhebung und -dokumentation bestehen.

Schlüsselwörter: Frakturen, Wachstumsalter, Röntgen, Ultraschall

 

Zitierweise

Kraus R: Primär- und Verlaufsdiagnostik bei Frakturen im Wachstumsalter.

OUP 2013; 12: 572–576, DOI 10.3238/oup.2013.0572–0576

Abstract: Clinical and imaging diagnostics in pediatric traumatology are dedicated to the detection of fractures and other injuries. They must not cause any additional pain. Radiation protection requires special consideration, however, the conventional radiograph still is essential. Ultrasound will gain more importance in the future. CT and MRI are reserved for a few specific issues. Follow-up diagnosis and controls should mainly consist of clinical investigation and its documentation.

Keywords: fractures, growth age, X-ray, ultrasound

 

Zitierweise

Kraus R: Primary and follow-up diagnostics in growth age fractures.

OUP 2013; 12: 572–576, DOI 10.3238/oup.2013.0572–0576

Einleitung

Ziel der bildgebenden Diagnostik am Bewegungsapparat bei Kindern und Jugendlichen nach einem akuten Trauma ist primär der Ausschluss aktiv behandlungsbedürftiger Verletzungen [1]. Liegen solche nicht vor, so muss die vollständige Diagnostik einer Verletzung nicht im Rahmen der ersten Untersuchung und Behandlung erzwungen werden. Patient, Eltern und Arzt können sich vielmehr zunächst mit der Schmerzbehandlung zufriedengeben und die detailliertere Diagnostik, wenn dann überhaupt noch notwendig, im Verlauf durchführen. Grundsätzlich stehen sämtliche Verfahren der modernen bildgebenden Diagnostik auch bei Kindern und Jugendlichen zur Verfügung. Das Spektrum reicht vom konventionellen Röntgenbild und der Sonografie über CT und MRT bis hin zu seltenen Indikationen der Angiografie und Szintigrafie.

Grundsätzlich andere Anwendungsgebiete erschließen sich im Rahmen der Verlaufsdiagnostik und -dokumentation, sowie im Grenzgebiet zwischen Kindertraumatologie und Kinderorthopädie. Hier geht es dann nicht darum, eine knöcherne Verletzung und ihre Fehlstellung zu identifizieren und zu quantifizieren, sondern vielmehr darum, Krankheitsbilder und ihr Stadium zu erkennen, Traumafolgezustände zu erfassen und korrigierende Eingriffe zu planen.

Akute Verletzungsdiagnostik

Die Vorstellung von Kindern und Jugendlichen nach einem Trauma des Bewegungsapparats zur Diagnostik und Behandlung erfolgt aus 2 wesentlichen Gründen. Der erste ist der Schmerz, dessen Behandlung immer im Vordergrund stehen muss, und der schon im Rahmen der Verletzungsdiagnostik berücksichtigt und gemildert werden muss [2]. Dies geschieht in aller Regel zuerst in Form einer Ruhigstellung, insbesondere bei Verletzungen der Extremitäten, gegebenenfalls unterstützt durch eine alters- und schmerzgerecht adaptierte Analgetikagabe. Der 2. Grund ist eine sichtbare Deformierung des Bewegungsapparats, sei es in Form einer Schwellung oder einer augenfälligen Fehlstellung.

Klinische Primärdiagnostik

Zur klinischen Diagnostik gehört natürlich eine Anamneseerhebung, die sich – oft gestützt auf fremdanamnestische Angaben – zunächst nicht mit Details eines Verletzungshergangs wie z.B. des Distorsionsmechanismus des Sprunggelenks aufhalten muss. Sie sollte sich vielmehr auf einige wenige Angaben wie Sturzhöhe, Unfallzeitpunkt und ggf. auch schon den Zeitpunkt der letzten Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme beschränken. Es sollte insbesondere im Falle offensichtlich dislozierter Verletzungen nie versäumt werden, die Begleitpersonen darauf aufmerksam zu machen, dass die verletzten Kinder in der anstehenden Wartezeit nicht durch die Gabe von süßen Getränken oder Schokoriegeln getröstet werden dürfen. Damit können Diskussionen über den Zeitpunkt schon zu diesem Zeitpunkt offensichtlich notwendiger Maßnahmen in Narkose vermieden werden.

Die eigentliche klinische Untersuchung beschränkt sich dann auf die Inspektion und die vorsichtige Palpation der verletzten Region, Letzteres nach Ankündigung dieser Maßnahme. Schmerzhafte Funktionsprüfungen oder gar das Auslösen sicherer Frakturzeichen wie der Krepitation oder pathologischen Beweglichkeit verbieten sich. Die Kontrolle der Peripherie in Hinblick auf Durchblutung und Nervenfunktion darf jedoch nicht vernachlässigt werden, genauso wie die Dokumentation der Ergebnisse [3, 4].

Bildgebende Primärdiagnostik

Das Arbeitspferd der Bildgebung in der Kindertraumatologie ist das konventionelle Röntgenbild der verletzten Körperregion in 2 Ebenen. Es dient der Darstellung von Frakturen und Gelenkluxationen. Bei klinisch offensichtlich dislozierten Verletzungen kann dabei im Einzelfall auf die 2. Ebene verzichtet werden, wenn das erste Röntgenbild zum einen die Verletzung eindeutig identifizieren lässt und zum Zweiten damit die Notwendigkeit einer weiteren Intervention in Narkose zweifelsfrei indiziert werden kann (Abb. 1). Keinesfalls verzichtet werden kann auf die 2. Ebene der konventionellen Röntgendiagnostik, wenn das erste Röntgenbild keine oder eine nicht oder nur gering dislozierte Fraktur zeigt. Die 2. Ebene kann dann eine Fraktur oder einen höheren Dislokationsgrad erst zutage fördern [4] (Abb. 2).

Obsolet ist das Röntgen der Gegenseite im Rahmen der primären Verletzungsdiagnostik. Für die strikte Ablehnung des Gegenseite-Röntgens gibt es verschiedene, schwerwiegende Argumente, die leider auch heute noch oft mit fadenscheinigen Begründungen unterlaufen werden [1]. Letztendlich ist es immer die Unkenntnis der altersadaptiert normalen Röntgenanatomie, die den Untersucher das gegenseitige Röntgen notwendig erscheinen lässt.

  • Die Röntgenuntersuchung einer unverletzten Körperregion ist unter Gesichtspunkten des Strahlenschutzes äußerst fragwürdig. Eine rechtfertigende Indikation ist hier nicht zu stellen.
  • Das Röntgen der unverletzten Gegenseite garantiert keinesfalls, dass die Pathologie auf der verletzten Seite korrekt diagnostiziert wird.
  • Es ist zu spät und unangemessen, sich erst angesichts des verletzten Kindes oder Jugendlichen über die normale Anatomie zu informieren. Diese Kenntnis gehört zum unabdingbaren Rüstzeug des kindertraumatologisch Tätigen [5].
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