Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022

Primäre oder sekundäre Schultersteife
Wie kommen wir dennoch zu guten Ergebnissen?

Marc Schnetzke, Sven Lichtenberg, Markus Loew

Zusammenfassung:
Die primäre und sekundäre Schultersteife stellt eines der häufigsten Krankheitsbilder am Schultergelenk dar. Die primäre Schultersteife entwickelt sich im Rahmen der sog. adhäsiven Kapsulitis und ist meist selbstlimitierend. Dahingegen tritt die sekundäre Schultersteife posttraumatisch oder postoperativ auf. Die Herausforderung der Behandlung der Schultersteife besteht darin, zu erkennen, wann die Steife noch „normal“ ist und wann „pathologisch“. Die Anamnese, eine korrekte klinische Untersuchung und das Verständnis der zugrundeliegenden Krankheitsbilder der Schultersteife sind für deren erfolgreiche Behandlung essenziell. Im vorliegenden Übersichtsartikel werden die beiden Formen der Schultersteife sowie die Behandlung vorgestellt.

Schlüsselwörter:
Schultersteife, Kapsulitis, Narkosemobilisation, Arthrolyse, Kapsulotomie, frozen shoulder

Zitierweise:
Schnetzke M, Lichtenberg S, Loew M: Primäre oder sekundäre Schultersteife.
Wie kommen wir dennoch zu guten Ergebnissen?
OUP 2022; 11: 052–056
DOI 10.53180/oup.2022.0052-0056

Summary: Primary and secondary shoulder stiffness is one of the most common clinical presentations of the shoulder joint. Primary shoulder stiffness occurs because of so-called adhesive capsulitis and is usually self-limiting. In contrast, secondary shoulder stiffness occurs post-traumatically or postoperatively. The challenge in the treatment of frozen shoulder is to recognize when the stiffness is still „normal“ and when it is „pathological“. Medical history, proper clinical examination, and understanding the underlying pathology of the shoulder stiffness are essential for its successful treatment. In this review article, the two forms of frozen shoulder and its treatment are presented.

Keywords: Shoulder stiffness; capsulitis; manipulation under anesthesia; release; capsulotomy; frozen shoulder.

Citation: Schnetzke M, Lichtenberg S, Loew M: Primary or secondary frozen shoulder. How do we still achieve good results?
OUP 2022; 11: 052–056. DOI 10.53180/oup.2022.0052-0056

Deutsches Gelenkzentrum Heidelberg in der ATOS Klinik Heidelberg

Differenzierung primäre vs. sekundäre Schultersteife

Liegt bei einem Patienten eine Schultersteife vor, ist zunächst anhand der Anamnese zu eruieren, ob es sich hierbei um eine primäre oder sekundäre Schultersteife handelt. Der primären Schultersteife liegt meist kein eindeutiges Trauma zugrunde, gelegentlich erinnern sich die Patienten auf gezieltes Nachfragen an ein Bagatelltrauma oder eine „Überlastung“ der Schulter (z.B. intensive Gartenarbeiten, Renovierungsarbeit) im Vorfeld des Symptombeginns. Charakteristisch für die primäre Schultersteife (Synonyme: adhäsive Kapsulitis, idiopathische „frozen shoulder“) ist der stadienhafte Verlauf (Abb. 1a): Die idiopathische „frozen shoulder“, die durch eine chronisch entzündliche, fibroblastische Proliferation charakterisiert ist [1], zeigt einen grundsätzlich günstigen Spontanverlauf, bei dem im 2–3 Monate anhaltenden Initialstadium die Schmerzen im Vordergrund stehen; nach Abklingen der schmerzhaften Entzu?ndungsphase bildet sich die Bewegungseinschränkung in der Regel allmählich zurück [2], wenn auch die Rehabilitation oft bis zu 2 Jahre dauern kann und manchmal (ca. 5–10 % der Patienten) eine dauernde Reststeife verbleibt [3]. Typischerweise berichten Patienten mit einer adhäsiven Kapsulitis daher, dass zu Beginn „nur“ starke Schmerzen (v.a. Nachtschmerzen) vorlagen, und sich die Bewegungseinschränkung im Verlauf schleichend entwickelte. Diskutiert wird ein Zusammenhang von Stoffwechselstörung (Diabetes mellitus, Hyper-und Hypothyreose) und der adhäsiven Kapsulitis [4]. Weiterhin scheinen das weibliche Geschlecht und ein Alter zwischen 40 und 50 Jahren ein Risikofaktor darzustellen.

Im Gegensatz dazu liegt bei Patienten mit einer sekundären Schultersteife ein Trauma und/oder ein operativer Eingriff am Schultergelenk zugrunde (Abb. 1b). In der Frühphase nach einer Operation (bis 3 Monate postoperativ) ist eine Schultersteife „normal“ und kann sogar einen protektiven Effekt bei Rotatorenmanschetten- oder Labrumrekonstruktionen haben [5, 6]. Persistiert die Schultersteife nach einem operativen Eingriff über ein halbes Jahr, spricht man von einer therapierefraktären Schultersteife. Im Gegensatz zur primären Schultersteife kommt es bei posttraumatischer oder postoperativer Schultersteife seltener zu einer vollständigen Rückbildung der Bewegungseinschränkung mit „restitutio ad integrum“ [7, 8].

Klinische Untersuchung und Diagnostik

Eine eingehende klinische Untersuchung ist essenziell in der Behandlung der Schultersteife. Zur Beurteilung und Erfassung der Einschränkung der Beweglichkeit ist einer Differenzierung zwischen der Gesamtbeweglichkeit im Schultergürtel sowie der isolierten Beweglichkeit im Schultergelenk, die sog. glenohumerale Beweglichkeit, vonnöten. Typischerweise lässt sich bei Patienten mit einer Schultersteife insbesondere eine Einschränkung der glenohumeralen Beweglichkeit finden (Abb. 2a/b). Die Beweglichkeit des Schultergelenkes ist exakt zu dokumentieren, um den Heilungsverlauf beurteilen zu können. Alternative Ursachen für eine eingeschränkte Beweglichkeit des Schultergelenkes, z.B. eine Scapula alata, müssen ebenfalls ausgeschlossen werden.

Die apparative Diagnostik beinhaltet eine Ultraschalluntersuchung des Schultergelenkes, eine Röntgendiagnostik sowie eine Kernspintomographie. Die Untersuchung mittels Ultraschall stellt ein hervorragendes Diagnostikum dar, um mögliche Ursachen einer primären oder sekundären Schultersteife zu finden. Beispielsweise können Kalzifikationen der Rotatorenmanschette (gelegentlich assoziiert mit einer adhäsiven Kapsulitis) oder Verletzungen der Rotatorenmanschette in geübten Händen sicher mit dem Ultraschall beurteilt werden. Röntgenaufnahmen des Schultergelenkes in „true“-anterior-posterior (a.p.) und axialer Projektion zum Erkennen einer Gelenkinkongruenz und paraartikulärer Verkalkungen sind ein Bestandteil der Diagnostik der Schultersteife. Die Kernspintomographie dient insbesondere dazu, bei der primären Schultersteife andere Ursachen wie bspw. Defekte der Rotatorenmanschette, Läsionen der langen Bizepssehne oder chondrale Läsionen auszuschließen. Zusätzlich liefert uns das MRT wertvolle Hinweise zur Bestätigung einer primären Schultersteife im Rahmen einer adhäsiven Kapsulitis: Eine Verdickung der ventralen Kapselanteile sowie ein Aufbrauch („Verklebung“) des inferioren Recessus sind pathognomonisch für das Vorliegen einer adhäsiven Kapsulitis [9].

Therapie der primären und sekundären Schultersteife

Unabhängig von der Ätiologie wird die Schultersteife grundsätzlich konservativ mit Krankengymnastik, Eigenu?bungen, Antiphlogistika und ggf. mit einer systemischen oder intraartikulären Steroidapplikation behandelt [10]. Eine Indikation zur operativen Therapie besteht sowohl bei der adhäsiven Kapsulitis als auch bei der posttraumatischen Schultersteife bei ausgeprägter Bewegungseinschränkung und persistierenden Schmerzen trotz konservativer Behandlung u?ber mindestens 6 Monate.

Eine Operationsindikation besteht bei der idiopathischen „frozen shoulder“ bei maximal 5 % der Patienten. Es ist zu berücksichtigen, dass der natürliche Krankheitsverlauf der adhäsiven Kapsulitis bis zu 2 Jahre andauern kann. In diesem Zeitraum kommt es in aller Regel zu einer restitutio ad integrum ohne operative Intervention. Eine relative Kontraindikation stellt die adhäsive Kapsulitis im entzu?ndlichen Initialstadium bei u?berwiegendem Nacht- und Ruheschmerz dar. In dieser Phase der Erkrankung ist die Rezidivneigung hoch und es droht eine Verschlechterung des Spontanverlaufes.

Operative Behandlung der Schultersteife

Das Prinzip der operativen Behandlung der Schultersteife besteht unabhängig von der Genese in einer vollständigen Wiederherstellung der glenohumeralen Beweglichkeit durch eine Durchtrennung der verkürzten/vernarbten Gelenkkapsel, sog. Kapsulotomie (Abb. 3).

Abhängig von der Ausprägung der Schultersteife kann bei der Arthrolyse differenziert vorgegangen werden: eine Verkürzung/Vernarbung des vorderen Anteils der Gelenkkapsel führt zu einer Einschränkung der Außenrotation (sog. anteriores Kapselmuster), der inferioren Gelenkkapsel zu einer Einschränkung der glenohumeralen Abduktion (sog. inferiores Kapselmuster) und der dorsalen Gelenkkapsel zu einer Einschränkung der Innenrotation. Einer Schultersteife in allen Bewegungsrichtungen liegt ein sog. generalisiertes Kapselmuster zugrunde. Entsprechend erfolgt bei einer Einschränkung der Außenrotation eine anteriore Kapsulotomie (Abb. 2c–d) und bei einer Einschränkung der Abduktion Durchtrennung der inferioren Kapselanteile (Abb. 2e–f). Bei Vorliegen eines generalisierten Kapselmusters sollte daher ein Release der vorderen, unteren und dorsalen Kapselanteile erfolgen (270°-Release) [11].

Zum Abschluss der Operation erfolgt eine vorsichtige Manipulation der Schulter im Sinne eines „brisement moderé“ am kurzen Hebel. Häufig lösen sich dabei weitere Weichteilverwachsungen mit spu?rbarer Krepitation. Das passive Bewegungsausmaß muss zum Abschluss der Operation bei der idiopathischen „frozen shoulder“ völlig frei sein (Abduktion und Elevation, Außenrotation seitengleich 50–70°), da sonst auch das abschließende Behandlungsergebnis unvollständig bleibt (Abb. 2 g–h).

Postoperative Behandlung

Für die Nachbehandlung sind eine suffiziente Schmerztherapie (am besten mittels Schmerzkatheter) über mindestens 3 Tage unter stationären Bedingungen und eine kompetente Physiotherapie Voraussetzung. Noch am Operationstag kann mit aktiven und passiven Bewegungsübungen begonnen werden; dabei sind außer der Schmerzgrenze keine Bewegungslimits zu beachten. Am ersten postoperativen Tag wird zusätzlich die passive Mobilisation mit einer motorisierten Bewegungsschiene („continuous passive motion“, CPM-Schiene) dreimal täglich über 20 Minuten begonnen. Eine Ruhigstellung ist nicht erforderlich, im Gegenteil – der Arm soll frühzeitig bewusst bewegt und im täglichen Leben eingesetzt werden. Die CPM-Schiene kann im ambulanten Setting für weitere 4–6 Wochen eingesetzt werden.

Risiken der Arthrolyse

Aufklärungspflichtige Komplikationen sind ausgeprägte intra- und postoperative (Nach-) Blutungen, die Verletzung artikulärer (Knorpelschäden, Labrum-Kapsel-Band-Komplex) und paraartikulärer Strukturen. N. axillaris-Läsion durch Überhitzen bei der Elektroinzision oder durch mechanische Verletzung. Im Rahmen der abschließenden Mobilisierung sind knöcherne Verletzungen wie Glenoidrand- und subkapitale Frakturen beschrieben [12].

Ergebnisse der Arthrolyse

Mittelfristig kommt es laut Literatur zu einem statistisch signifikanten Anstieg des Constant-Murley-Scores auf das Doppelte des Ausgangswertes [7]. Die aktive Elevation verbessert sich im Schnitt von 90° auf 128°, die Außenrotation von 13° auf 31°. Diese Resultate stimmen mit den übrigen Literaturergebnissen überein [13, 14].

Besonderheiten in der Behandlung der Schultersteife

Es gibt einige Aspekte, die in der Behandlung der Schultersteife unbedingt beachtet werden müssen. Bei der adhäsiven Kapsulitis besteht in den ersten beiden entzündlichen Phasen ein hohes Rezidivrisiko. Eine schmerzhafte Beübung sollte daher genauso unterlassen werden wie eine operative Intervention. Im eigenen Vorgehen empfehlen wir in dieser Phase ein Pausieren der Physiotherapie und eine entzündungshemmende Behandlung mit Cortison. Erst mit Abklingen der Schmerzen (insbesondere auch der Nachtschmerzen) kann mit einer schmerzfreien Mobilisierung der Schulter begonnen werden.

Die alleinige Narkosemobilisation zur Behandlung der Schultersteife ist aus Sicht der Autoren ebenfalls obsolet und sollte aufgrund der Gefahr der iatrogenen Verletzung des Gelenkknorpels nicht durchgeführt werden [12].

Zusammenfassung

Eine korrekte Diagnosestellung und Behandlung führt bei der primären Schultersteife in aller Regel zu einer „restitutio ad integrum“. Das Ergebnis der sekundären Schultersteife hängt dagegen maßgeblich von der initialen Traumatisierung des Schultergelenkes ab. In vielen Fällen kann jedoch auch bei der sekundären Schultersteife mit einer arthroskopischen Arthrolyse ein zufriedenstellendes Bewegungsausmaß erzielt werden (Tab. 1). Beispielsweise kann nach Plattenosteosynthese des proximalen Humerus eine Metallentfernung mit einer arthroskopischen Arthrolyse kombiniert werden.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Marc Schnetzke

Deutsches Gelenkzentrum Heidelberg

in der ATOS Klinik Heidelberg

Bismarckstraße 9–15

69115 Heidelberg

marc.schnetzke@atos.de

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