Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022

Primäre oder sekundäre Schultersteife
Wie kommen wir dennoch zu guten Ergebnissen?

Unabhängig von der Ätiologie wird die Schultersteife grundsätzlich konservativ mit Krankengymnastik, Eigenu?bungen, Antiphlogistika und ggf. mit einer systemischen oder intraartikulären Steroidapplikation behandelt [10]. Eine Indikation zur operativen Therapie besteht sowohl bei der adhäsiven Kapsulitis als auch bei der posttraumatischen Schultersteife bei ausgeprägter Bewegungseinschränkung und persistierenden Schmerzen trotz konservativer Behandlung u?ber mindestens 6 Monate.

Eine Operationsindikation besteht bei der idiopathischen „frozen shoulder“ bei maximal 5 % der Patienten. Es ist zu berücksichtigen, dass der natürliche Krankheitsverlauf der adhäsiven Kapsulitis bis zu 2 Jahre andauern kann. In diesem Zeitraum kommt es in aller Regel zu einer restitutio ad integrum ohne operative Intervention. Eine relative Kontraindikation stellt die adhäsive Kapsulitis im entzu?ndlichen Initialstadium bei u?berwiegendem Nacht- und Ruheschmerz dar. In dieser Phase der Erkrankung ist die Rezidivneigung hoch und es droht eine Verschlechterung des Spontanverlaufes.

Operative Behandlung der Schultersteife

Das Prinzip der operativen Behandlung der Schultersteife besteht unabhängig von der Genese in einer vollständigen Wiederherstellung der glenohumeralen Beweglichkeit durch eine Durchtrennung der verkürzten/vernarbten Gelenkkapsel, sog. Kapsulotomie (Abb. 3).

Abhängig von der Ausprägung der Schultersteife kann bei der Arthrolyse differenziert vorgegangen werden: eine Verkürzung/Vernarbung des vorderen Anteils der Gelenkkapsel führt zu einer Einschränkung der Außenrotation (sog. anteriores Kapselmuster), der inferioren Gelenkkapsel zu einer Einschränkung der glenohumeralen Abduktion (sog. inferiores Kapselmuster) und der dorsalen Gelenkkapsel zu einer Einschränkung der Innenrotation. Einer Schultersteife in allen Bewegungsrichtungen liegt ein sog. generalisiertes Kapselmuster zugrunde. Entsprechend erfolgt bei einer Einschränkung der Außenrotation eine anteriore Kapsulotomie (Abb. 2c–d) und bei einer Einschränkung der Abduktion Durchtrennung der inferioren Kapselanteile (Abb. 2e–f). Bei Vorliegen eines generalisierten Kapselmusters sollte daher ein Release der vorderen, unteren und dorsalen Kapselanteile erfolgen (270°-Release) [11].

Zum Abschluss der Operation erfolgt eine vorsichtige Manipulation der Schulter im Sinne eines „brisement moderé“ am kurzen Hebel. Häufig lösen sich dabei weitere Weichteilverwachsungen mit spu?rbarer Krepitation. Das passive Bewegungsausmaß muss zum Abschluss der Operation bei der idiopathischen „frozen shoulder“ völlig frei sein (Abduktion und Elevation, Außenrotation seitengleich 50–70°), da sonst auch das abschließende Behandlungsergebnis unvollständig bleibt (Abb. 2 g–h).

Postoperative Behandlung

Für die Nachbehandlung sind eine suffiziente Schmerztherapie (am besten mittels Schmerzkatheter) über mindestens 3 Tage unter stationären Bedingungen und eine kompetente Physiotherapie Voraussetzung. Noch am Operationstag kann mit aktiven und passiven Bewegungsübungen begonnen werden; dabei sind außer der Schmerzgrenze keine Bewegungslimits zu beachten. Am ersten postoperativen Tag wird zusätzlich die passive Mobilisation mit einer motorisierten Bewegungsschiene („continuous passive motion“, CPM-Schiene) dreimal täglich über 20 Minuten begonnen. Eine Ruhigstellung ist nicht erforderlich, im Gegenteil – der Arm soll frühzeitig bewusst bewegt und im täglichen Leben eingesetzt werden. Die CPM-Schiene kann im ambulanten Setting für weitere 4–6 Wochen eingesetzt werden.

Risiken der Arthrolyse

Aufklärungspflichtige Komplikationen sind ausgeprägte intra- und postoperative (Nach-) Blutungen, die Verletzung artikulärer (Knorpelschäden, Labrum-Kapsel-Band-Komplex) und paraartikulärer Strukturen. N. axillaris-Läsion durch Überhitzen bei der Elektroinzision oder durch mechanische Verletzung. Im Rahmen der abschließenden Mobilisierung sind knöcherne Verletzungen wie Glenoidrand- und subkapitale Frakturen beschrieben [12].

Ergebnisse der Arthrolyse

Mittelfristig kommt es laut Literatur zu einem statistisch signifikanten Anstieg des Constant-Murley-Scores auf das Doppelte des Ausgangswertes [7]. Die aktive Elevation verbessert sich im Schnitt von 90° auf 128°, die Außenrotation von 13° auf 31°. Diese Resultate stimmen mit den übrigen Literaturergebnissen überein [13, 14].

Besonderheiten in der Behandlung der Schultersteife

Es gibt einige Aspekte, die in der Behandlung der Schultersteife unbedingt beachtet werden müssen. Bei der adhäsiven Kapsulitis besteht in den ersten beiden entzündlichen Phasen ein hohes Rezidivrisiko. Eine schmerzhafte Beübung sollte daher genauso unterlassen werden wie eine operative Intervention. Im eigenen Vorgehen empfehlen wir in dieser Phase ein Pausieren der Physiotherapie und eine entzündungshemmende Behandlung mit Cortison. Erst mit Abklingen der Schmerzen (insbesondere auch der Nachtschmerzen) kann mit einer schmerzfreien Mobilisierung der Schulter begonnen werden.

Die alleinige Narkosemobilisation zur Behandlung der Schultersteife ist aus Sicht der Autoren ebenfalls obsolet und sollte aufgrund der Gefahr der iatrogenen Verletzung des Gelenkknorpels nicht durchgeführt werden [12].

Zusammenfassung

Eine korrekte Diagnosestellung und Behandlung führt bei der primären Schultersteife in aller Regel zu einer „restitutio ad integrum“. Das Ergebnis der sekundären Schultersteife hängt dagegen maßgeblich von der initialen Traumatisierung des Schultergelenkes ab. In vielen Fällen kann jedoch auch bei der sekundären Schultersteife mit einer arthroskopischen Arthrolyse ein zufriedenstellendes Bewegungsausmaß erzielt werden (Tab. 1). Beispielsweise kann nach Plattenosteosynthese des proximalen Humerus eine Metallentfernung mit einer arthroskopischen Arthrolyse kombiniert werden.

Das Literaturverzeichnis zu
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www.online-oup.de

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Marc Schnetzke

Deutsches Gelenkzentrum Heidelberg

in der ATOS Klinik Heidelberg

Bismarckstraße 9–15

69115 Heidelberg

marc.schnetzke@atos.de

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