Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020

Radiologische Diagnostik und Klassifikationen femuropatellarer Dysplasien

Daniel Paech, Erhan Basad, Laurent Kintzelé

Zusammenfassung:
Die femoropatellare Instabilität gilt als prädisponierender Faktor einer femuropatellaren Arthrose und ist multifaktoriell bedingt. Die entsprechenden Elemente umfassen die Muskulatur,
kapsulo-ligamentäre und knöcherne Strukturen. Dieser Artikel behandelt insbesondere die knöchernen Faktoren, genauer genommen die Dysplasie der Patella und der Trochlea. Radiologische Klassifikationen dienen hierbei primär der Bewertung der einzelnen Risikofaktoren der femuropatellaren Instabilität. Darüber hinaus trägt die radiologische Bildgebung zur Charakterisierung von zugrunde liegenden anatomischen Anomalien, Patellafehlstellungen und möglichen
Weichteilverletzungen bei. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen können orthopädischen
Chirurgen bei der Therapieentscheidung und dem post-operativen Monitoring unterstützen.

Schlüsselwörter:
Femoropatellare Instabilität, Trochleadysplasie, Patelladysplasie, Muskuloskelettale Bildgebung

Zitierweise:

Paech D, Basad E, Kintzelé L: Radiologische Diagnostik und Klassifikationen femuropatellarer
Dysplasien. OUP 2020; 9: 132–137 DOI 10.3238/oup.2019.0132–0137

Summary: Patellofemoral instability is multifactorial and considered to be a predisposing factor for patellofemoral arthrosis. The corresponding elements include the musculature, capsulo-ligamentous and bony structures. This article deals in particular with the bony factors, more precisely with dysplasia of the patella and trochlea. Radiological classifications are primarily used to assess the individual risk factors of femuropatellar instability. Furthermore, radiologic imaging contributes to the characterization of underlying anatomic abnormalities, patellar malalignment, and possible soft-tissue injuries. The results of these examinations can aid orthopedic surgeons in decision making when to operate and to monitor patients postoperatively.

Keywords: patellofemoral instability, trochlear dysplasia, patellar dysplasia, musculoskeletal imaging

Citation: Paech D, Basad E, Kintzelé L: Radiologic diagnosis and classification of patellofemoral dysplasia.
OUP 2020; 9: OUP 2020; 9: 132–137 DOI 10.3238/oup.2019.0132–0137

Daniel Paech: Abteilung für Radiologie, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg

Erhan Basad: Zentrum für Hüft- und Knie-Endoprothetik, Arthroskopische und Regenerative Gelenkchirurgie, ATOS Klinik Heidelberg

Laurent Kintzelé: Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Heidelberg

Die femoropatellare Instabilität gilt als prädisponierender Faktor einer femuropatellaren Arthrose und ist aufgrund mehrerer, in Wechselwirkung agierender Elemente, multifaktoriell bedingt [1, 2]. Die entsprechenden Elemente umfassen die Muskulatur, kapsulo-ligamentäre und knöcherne Strukturen [3]. Die beiden erstgenannten in Form der Quadrizepsmuskulatur und des femuropatellaren Bandkomplexes sollen in diesem Artikel nicht behandelt werden. Stattdessen soll der Fokus auf den knöchernen Strukturen liegen, genauer genommen, den Dysplasien der Patella und der Trochlea.

Radiologische Klassifikationen dienen primär der Bewertung der einzelnen Risikofaktoren der femuropatellaren Instabilität. In absteigender Häufigkeit wie sie bei Patienten mit femuropatellarer Instabilität angetroffen werden, können diese in 3 verschiedene „knöcherne“ Faktoren unterteilt werden:

  • 1. die Trochleadysplasie,
  • 2. die abnorme Patellalage und Patellaform und
  • 3. der erhöhte TT-TG-Abstand [4].

Die konventionelle Röntgenaufnahme des Kniegelenks stellt aus Zeit- und Kostengründen sowie der flächendeckenden Verfügbarkeit, die primäre Methode zur Bildgebung dar. In dem Rahmen kommt bei der femuropatellaren Dysplasie vorrangig der seitlichen Aufnahme eine wichtige Rolle zu, da hiermit sowohl eine Graduierung der Trochleadysplasie erfolgen kann als auch eine Beurteilung der vertikalen Patellaposition. Grundlage einer exakten Graduierung der Trochleadysplasie ist, dass die Aufnahme in 30° Beugung und in streng seitlichem Strahlengang erfolgt, sodass sich die Femurkondylen exakt übereinander projizieren [1, 5]. Die Bedeutung der Röntgenaufnahme im anterior-posterioren Strahlengang spielt für die Klassifikation keine entscheidende Rolle, weswegen gerade bei jungen Patienten ein Verzicht durchaus in Betracht gezogen werden kann. Auch die axiale Röntgenaufnahme des Femuropatellargelenkes in 30° oder 45° Flexion eignet sich nicht zur Einstufung der Trochleadysplasie, da sie primär den distalen Abschnitt der Trochlea zur Darstellung bringt, wo hingegen der Großteil der pathologischen Befunde bei der Trochleadysplasie im proximalen Anteil anzufinden sind [6].

Zur Beurteilung der femuropatellären Anatomie sollte die Computertomographie (CT) des Kniegelenks, der Magnetresonanztomographie (MRT) nur noch im Falle von bestehenden Kontraindikationen (nicht-MRT-fähige Implantate, Klaustrophobie etc.) vorgezogen werden. Der Vorteil der MRT ergibt sich hier primär aus dem höheren Weichteilkontrast, welcher auch eine zuverlässige Beurteilung des Knorpels, der Muskulatur und der kapsulo-ligamentären Strukturen zulässt sowie dem Verzicht auf ionisierende Strahlung bei dem oftmals jungen Patientenkollektiv [3]. Sowohl mittels MRT als auch mittels CT können alle 3 oben genannten Risikofaktoren der femuropatellären Instabilität zuverlässig klassifiziert werden. Bei bereits vorliegendem MRT oder CT sollte demnach die Indikation zur zusätzlichen Erstellung einer Röntgenaufnahme mit Bedacht erfolgen.

Lage der Patella und Formen der Patelladystopie

Anatomie

Die Patella ist eingebettet in die Sehne des Musculus quadriceps femoris und ist damit das größte Sesambein des menschlichen Körpers. Die Patella besitzt zwei Facies, die nach ventral gerichtete Facies anterior und die nach dorsal gerichtete, Gelenk bildende Facies posterior, respektive Facies articularis. Die Facies articularis ist physiologischer Weise mit einer hyalinen Knorpelschicht bedeckt. Am kranialen Rand der Patella (Margo superior) inseriert die Sehne des Musculus quadriceps femoris. Die seitlichen Ränder der Patella (Margines medialis et lateralis) verjüngen sich nach kaudal zum Apex patellae. Vom Apex patellae zieht das Ligamentum patellae zur Tuberositas tibiae an die Vorderseite des Schienbeins. Die Funktion der Patella besteht darin, die Sehne von der Oberfläche des Kniegelenks anzuheben und den Hebelarm der Sehne (und somit die ausgeübte Zugspannung) auf die Tibia zu erhöhen.

Vertikale Patellaposition

Die am häufigsten verwendete Methode zur Bestimmung der vertikalen Patellaposition ist der Insall-Salvati-Index [7]: Hierbei wird der Quotient aus der maximalen, diagonalen Länge der Patella und der Länge der Patellasehne gebildet (Abb. 1), die Norm beträgt 0,8 –1,2 [8]. Mit Hilfe des Insall-Salvati-Index kann folglich ein Patellahochstand (Patella Alta) und Patellatiefstand (Patella Baja) diagnostiziert werden. Die Messung wird dabei nicht wesentlich von der Gelenkstellung beeinflusst (Grenzen 20-70° Flexion); die geltenden Grenzwerte sind jedoch von der bildgebenden Modalität abhängig (Tab. 1).

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