Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020

Radiologische Diagnostik und Klassifikationen femuropatellarer Dysplasien

Eines der relevantesten und zuverlässigsten radiologischen Zeichen der Trochleadysplasie ist das sogenannte „Crossing-Sign“, welches in der streng lateralen Röntgenaufnahme beurteilt wird. In einer Studie von Dejour et al. war das „Crossing-Sign“ in einem Patientenkollektiv mit rezidivierenden Patellaluxationen bei 96 % der Patienten vorhanden, in der Kontrollgruppe hingegen nur bei 3 % der Patienten, welches seine Aussagekraft unterstreicht [1]. Zur Beurteilung zieht man zuerst eine Linie entlang der anterioren Kortikalis des distalen Femurschaftes (Abb. 5). In einem nächsten Schritt wird der Verlauf der Linie mit dem der ventralen Zirkumferenzen der beiden Femurkondylen und dem des Trochleabodens verglichen. Im Normalfall überragt der Verlauf des Trochleabodens nach ventral weder die Zirkumferenz der Femurkondylen noch den der anterioren Femurschaftlinie, ein Überkreuzen von einem der beiden letztgenannten stellt stattdessen ein positives „Crossing-Sign“ dar.

Die am weitesten verbreitete Einteilung der Trochleadysplasie ist jedoch die Klassifikation nach Dejour (Abb. 5) [18, 19]. Diese kann sowohl im lateralen Strahlengang der Röntgenaufnahme als auch in axialen Schichten in der MRT erfolgen. Für die MRT sollte hier jeweils die kranialste Schicht gewählt werden, in der der Knorpelbesatz der Trochlea in seiner gesamten Breite erfasst ist [6]. Die Klassifikation unterscheidet 4 Grade (A-D) der Trochleadysplasie, welche allesamt als pathologisch eingestuft werden. Die Grade B-D gelten dabei als schwerwiegendere Formen der Trochleadysplasie [19].

  • Grad A beschreibt die leichtere Form der Trochleadysplasie und wird definiert durch ein positives „Crossing-Sign“ in der lateralen Röntgenaufnahme sowie einen erhöhten Sulcus-Winkel (> 145°) in der MRT, welcher einer Abflachung der Trochlea entspricht. Der Sulcus-Winkel ergibt sich hierbei aus den beiden Geraden, welche den höchsten Punkt der medialen und lateralen Femurkondyle mit dem tiefsten Punkt der Trochlea verbinden.
  • Grad B ist neben dem positiven „Crossing-Sign“, durch einen supratrochleren Sporn in der lateralen Röntgenaufnahme charakterisiert. Dieser stellt in der MRT eine flache oder gar leicht konvexe Form der Trochlea dar.
  • Grad C wird definiert über eine deutliche Asymmetrie der beiden Trochleafacetten, bei Hypoplasie der medialen Facette und Hyperkonvexität der lateralen Facette in der MRT. In der lateralen Röntgenaufnahme zeigt sich neben dem „Crossing Sign“ eine Doppelkontur, welche die Asymmetrie der beiden Femurkondylen widerspiegelt.
  • Grad D entspricht der Kombination aus den Charakteristiken der Grade B und C in der lateralen Röntgenaufnahme, nämlich dem supratrochlearen Sporn und der Doppelkontur. In der MRT zeigt sich neben einer, wie in Grad C vorherrschenden Asymmetrie der Trochleafacetten, zusätzlich eine klippenartige Vertiefung am Übergang von medialer zu lateraler Facette. Diese Vertiefung stellt das Korrelat für den supratrochlearen Sporn in der Röntgenaufnahme dar.

TT-TG-Abstand

Der TT-TG-Abstand gibt das Maß der Lateralisation der Tuberositas tibiae im Vergleich zur Trochlea an. Hierzu wird in der MRT oder CT in axialer Schichtführung primär die Schicht gewählt, die den tiefsten Punkt der Trochlea femoris („TG = trochlea groove“) abbildet. Hier zeichnet man zunächst eine senkrechte Gerade vom tiefsten Punkt der Sulcusrinne (S) zur Interkondylenlinie (Abb. 6). In einem nächsten Schritt sucht man weiter kaudal die Schicht auf, in der der Patellarsehnenansatz an der Tuberositas tibiae („TT“) erfasst wird. In dieser Schicht zeichnet man nun eine Parallele (P) zur Projektion der oben genannten Geraden durch die Mitte des Patellarsehnenansatzes. Der TT-TG-Abstand entspricht der Distanz zwischen den beiden Linien [20].

Ein TT-TG-Abstand größer als 20 mm, ist als pathologisch einzustufen, wobei Abstände zwischen 13 und 15 mm physiologisch sind [1, 21].

Entscheidend für eine verlässliche TT-TG-Messung ist, dass die Untersuchung in vollständiger Streckstellung durchgeführt wird [22]. Eine entsprechende Notiz sollte auf der Überweisung zum MRT vermerkt sein, da die Untersuchung in Streckstellung einer besonderen Lagerung in der Kniespule bedarf.

Der Vorteil der TT-TG-Messung ist, dass sie das Zusammenwirken mehrerer Faktoren einbezieht, welche für die femuropatellare Instabilität relevant sind. Zum einen führen eine Trochleadysplasie durch eine Medialisierung des Sulcus sowie eine Lateralisation der Tuberositas tibiae zur Erhöhung der TT-TG-Distanz. Doch auch Rotationsfehlstellungen wie beispielsweise in Form einer erhöhten Antetorsion des Femurs sowie ein Genu valgum können über eine vermehrte Medialisierung der Trochlea zu einer Vergrößerung des TT-TG-Abstandes führen [3].

Interessenkonflikt:

Keine angegeben

Anmerkung: Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von PD. Dr. med. Erhan Basad und der Radiologischen Praxis, Atos-Klinik Heidelberg.

Das Literaturverzeichnis zu
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www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Dipl.-Phys. Daniel Paech

Deutsches Krebsforschungszentrum

Abteilung Radiologie

Im Neuenheimer Feld 280

69120 Heidelberg

d.paech@dkfz.de

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