Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017

Refresherkurs Sonografie der Bewegungsorgane*
Sonografie an Hand, Handgelenk und Ellbogen – Funktionsdiagnostik, Instabilitäten und degenerative AnpassungenUltrasound examination of the hand, wrist and elbow, instructional course – functional tests, instabilities and degenerative alterations.

Norbert M. Hien1

Zusammenfassung: Die Sonografie der oberen Extremität an Ellbogen, Handgelenk, Hand und Fingern hat sich in den letzten 30 Jahren im diagnostischen Spektrum fest etabliert. Sie ist im Gegensatz zum konventionellen Röntgen und den Schnittbildverfahren CT und MRT leichter verfügbar, strahlungsfrei und ermöglicht anschauliche Funktionsuntersuchungen in Echtzeit. Rheumatologen, Orthopäden/Handchirurgen und Radiologen haben aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive heraus Standardebenen und Untersuchungstechniken entwickelt, die Eingang in Lehrbücher gefunden haben [2, 3, 5, 6, 8]. Anhand der Daten aus 33 Jahren Ultraschalldiagnostik in Klinik und Praxis und mehr als 100 Fortbildungskursen werden die funktionellen Untersuchungstechniken bei Strukturveränderungen und nach Verletzungen dargestellt und Beurteilungskriterien für Veränderungen und Defekte der Knochen, Gelenke, Sehnen und Kapselbandstrukturen und deren Stabilität vorgestellt.

Schlüsselwörter: Sonografie, Ultraschall, Finger, Hand, Handgelenk, Ellbogen, Instabilität, Degeneration, Anpassungen

Zitierweise
Hien NM: Refresherkurs Sonografie der Bewegungsorgane. Sonografie an Hand, Handgelenk und Ellbogen – Funktionsdiagnostik, Instabilitäten und degenerative Anpassungen.
OUP 2017; 1: 037–044 DOI 10.3238/oup.2016.0037–0044

Abstract: Over the past 30 years ultrasound has developed to be an established tool in elbow, hand, wrist and finger diagnostics. Compared to conventional radiographs and the cross-sectional techniques CT and MRI ultrasound is more easily available, free of radiation and allows real-time observation of the joint and its structures during functional tests. Rheumatologists, orthopaedic and hand surgeons as well as radiologists have developped standard views and procedures of examination according to their specific needs. Current textbooks include some of these views and procedures [2, 3, 5, 6, 8]. In this review functional tests and the standard positions necessary to test joint and ligament stability after trauma and to examine structural alterations are demonstrated and criteria of assessment are presented, based upon the experience of 3 decades of clinical sonography and more than 100 instructional courses held.

Keywords: sonography, diagnostic ultrasound, elbow, hand, wrist, finger, functional tests, stability, degeneration, adaption

Citation
Hien NM: Refreshing class musculoskeletal ultrasound. Ultrasound examination of the hand, wrist and elbow, instructional course – functional tests, instabilities and degenerative alterations.
OUP 2017; 1: 037–044 DOI 10.3238/oup.2016.0037–0044

Einleitung

Für die Funktionsdiagnostik sind zunächst die erfassbaren Strukturen in der jeweiligen Standardebene darzustellen (Erguss, Schleimhaut, Bänder, Faszien, Sehnen, Muskulatur, Gelenkränder, Gelenklippen, Raumforderungen usw.). Dann folgen standardisierte manuelle Funktionstests und ggf. eine Messung von Stabilität, Sehnenquerschnitt und Schnellphänomen in der exakten Standardebene. Aus der Synopse der objektivierbaren Strukturveränderungen und der Ergebnisse der Funktionstests ergeben sich die Diagnose und die Therapieoptionen sowohl prä-, als auch postoperativ. Die Sonografie erlaubt das Monitoring der weiteren Entwicklungen und Anpassungen im Beschwerdeverlauf.

Material und Methoden

Benötigt wird ein modernes Ultraschallgerät mit hoch auflösender Linearsonde von 7,5–16 MHz, guter Ankoppelungsmöglichkeit auch für kleine und enge Bereiche durch geringe aktive Breite, andererseits aber für bestimmte Fragestellungen möglichst großer aktiver Breite, um einen ausreichenden Überblick sicherzustellen. Details der jeweils aktuellen technischen und formalen Vorgaben sind den Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM), der Ultraschall-Vereinbarung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Lehrbüchern zu entnehmen.

Abbildung 1 zeigt die typische Untersuchungssituation: Vor dem aufrecht auf einer höhenverstellbaren Liege sitzenden oder liegenden Patienten sitzt der Untersucher; beide betrachten ein seitenrichtiges Monitorbild (links proximal, rechts distal). Ein Fußtaster zum Einfrieren des Bilds ist obligat, da die Untersuchung bimanuell erfolgt.

Sehnenveränderungen

Tendovaginitis stenosans, Strecksehnenabriss, Abriss der kurzen Beugesehne, typische Handgelenkganglien und die Irritation durch Implantate als Beispiele: Bei der Tendovaginitis stenosans, hier dem schnellenden Daumen, sind die unterschiedlichen Sehnenquerschnitte (gelb) proximal, im mittleren Bereich und distal, sowie die strukturellen Sehnenveränderungen und die peritendinöse synoviale Reizung als hypoechogener Begleitsaum gut darzustellen (Abb. 2). Die Beobachtung des Schnellphänomens unterhalb des Ringbands (roter Stern) gelingt auch im Längsschnitt nicht immer. Unterhalb des Sesambeins (roter Kreis) ist mit einem Schallschatten zu rechnen.

Die Tendovaginitis stenosans de Quervain weist im Längs- und Querschnitt über dem ersten Strecksehnenfach als „yellow flag“ zunächst meist nur einen vergrößerten Sehnenquerschnitt mit geringer hypoechogener Begleitzone (HEZ) auf (Abb. 3). Bei Abduktion des Daumens kommt es anfangs noch nicht zu einem Schnellphänomen.

Bei erheblich vergrößertem Sehnenquerschnitt, anhaltendem oder wiederholtem Reizzustand und ggf. Schnellphänomen oder Extensionsstopp kann bei persistierenden Beschwerden eine operative Entlastung nötig werden. Bei stillenden Müttern empfiehlt es sich aber die Geduld zu bewahren und zunächst konservativ die Verhaltensweisen zu optimieren.

Die Stellung, Readaption und der Durchbau eines knöchernen Abrissfragments der Strecksehne vom Endglied kann funktionell bei Überstreckung und Beugung überprüft werden (Abb. 4).

PIP-Verletzungen der Langfinger sind eine Crux aller Ballsportarten. Kollateralbandverletzungen, Frakturen, volare und dorsale Sehnenabrisse sind sonografisch sicher darzustellen (Abb. 5). Bei Kindern im Wachstumsalter können sonografisch relevante Epiphysen- und Beugesehnenabrissfrakturen ausgeschlossen werden.

Im dorsalen Längsschnitt über dem extensor carpi radialis brevis können hypoechogene Zonen/Ganglien/Hygrome in ihrem Bezug zur Sehne und den Handwurzelgelenken untersucht und im Hinblick auf die möglichen Ursachen analysiert werden (Abb. 6). In gleicher Weise kann dies auch für die übrigen Sehnen und Gelenke des Handgelenks erfolgen, auch von volar, radial und ulnar, je nach Fragestellung.

Implantate führen nicht selten zu unerwünschten Irritationen der bewegten Weichteile und behindern oder verzögern damit die Rehabilitation. Selbst kleine Schrauben- oder Pin-Überstände können die darüber liegenden Sehnen oder die Gelenkfunktion behindern und eine Algodystrophie auslösen (Abb. 7).

Stabilitätsprüfung

Für die Stabilitätsprüfung von Kapsel-Band-Strukturen, Frakturen, Gelenken und Sehnen sind die eingangs genannten Voraussetzungen streng zu beachten: Definierte Schnittebenen, standardisierte manuelle Belastungs-Tests und ggf. Messung sowie anschließend die Synopse der gefundenen Strukturveränderungen mit den Ergebnissen der Funktionstests und Verlaufskontrollen nach Bedarf. Als Beispiele werden die Prüfung der Kollateralbänder an Fingern, Handgelenk und Ellbogen, skapholunär und radioulnar, die Instabilität des Radiusköpfchens sowie von Frakturen und Implantaten vorgestellt.

Im Längsschnitt frontal über dem jeweiligen Kollateralband wird in Streckstellung des Gelenks und in geringer Beugung das betreffende Band dargestellt und im manuell gehaltenen Valgus- bzw. Varusstress die Stabilität anhand korrespondierender Gelenkrandpunkte gemessen und die Qualität des Anschlags bestimmt. Nach Distorsion (Bandläsion 1°) zeigt sich eine vergrößerte, aber noch übergreifende hypoechogene Zone (HEZ) im Bandbereich bei Schmerzangabe, aber fehlender Aufklappbarkeit im Stresstest; nach Teilruptur (Bandläsion 2°) noch übergreifende HEZ, aber bei Stress vermehrte Aufklappbarkeit im Seitenvergleich und elastischer Anschlag. Nach Komplettruptur (Bandläsion 3°) deutliche HEZ am Bandursprung, nicht mehr übergreifend und fehlender Anschlag im Stresstest (Abb. 8). Dieselben Kriterien gelten für das ulnare und radiale Kollateralband am Handgelenk und die Kollateralbänder des Ellenbogens.

Auch die Stabilität anderer karpaler Gelenkverbindungen lässt sich sonografisch gut prüfen und messen, z.B. die skapholunäre und die radioulnare Stabilität (Abb. 9). Die Messgenauigkeit ist beim Geübten hoch (1 mm ± 1 mm), es bedarf einer Lernkurve, in Grenzfällen kann die Gegenseite zum Vergleich herangezogen werden.

Die Stellung des Radiusköpfchens zum capitulum humeri wird im Längsschnitt über dem proximalen Radius überprüft. Besonders hilfreich ist die Sonografie bei der Pronatio dolorosa von Kleinkindern, da bei nachgewiesener korrekter Stellung des Radiusköpfchens schmerzhafte Repositionsversuche unterbleiben können. Der Nachweis kaum dislozierter und im Übersichtsröntgen nicht erkennbarer Radiusköpfchenfrakturen gelingt oft nur bei Durchmusterung in Pro- und Supination (Abb. 10).

Frakturen und Implantate

Bei Frakturen kann die Stabilität durch vorsichtige manuelle Biegebelastung am besten im Längsschnitt beurteilt werden (Abb. 11). Um therapierelevante Frakturen mit ausreichender Sicherheit nachweisen zu können, sollte der betreffende Knochen am besten zirkulär, mindestens aber von 3 Seiten longitudinal sonografiert werden. Eine Kortikalisstufe, ein Bruchspalt mit pathologischer Beweglichkeit und ein subperiostales Hämatom sind sichere Frakturzeichen; nicht dislozierte, intraossäre Frakturen ohne Beteiligung von Kortikalis und Periost oder an der Sonografie nicht zugänglichen Knochen sind im Ultraschall nicht darzustellen. Die Kallusbildung, die Lage und Funktion von Metallimplantaten und die Frakturkonsolidierung sind sonografisch zu beobachten, ebenso Funktionsstörungen durch übermäßige Kallusbildung oder posttraumatische Deformitäten.

Degenerative und
funktionelle Anpassungen

Degenerative Anpassungen der Gelenke sind sonografisch frühzeitig an den Gelenkrändern und -konturen zu erkennen und in Funktion auf ihre Ursachen hin zu analysieren.

Eine hypoechogene Zone (HEZ) über einer Sehne, dem Gelenkrand, Kollateralband oder Kapselanteilen ist ein erster Hinweis für eine zeitnah stattgehabte Verletzung oder für längerfristige Umbauvorgänge bei habituell einseitigen Belastungen. Zuschärfungen oder Ausziehungen des Gelenkrands sind Zeichen langfristiger Strukturanpassungen der Gelenke bei andauerndem Ungleichgewicht der Gelenkflächendruckbelastung und formativem Reiz aufgrund von Achsenfehlern, Kapselbandinstabilitäten oder Gewohnheiten (Abb. 12). Gelenkinstabilitäten sind mit standardisierten Stresstests nachzuweisen und auszumessen (Abb. 8).

Die Ränder des Daumensattelgelenks weisen bei habituell einseitiger Belastung bereits frühzeitig Ausziehungen radial und volar auf mit begleitender HEZ als Ausdruck aktueller Anpassungsreaktionen der Gelenklippen und Kapselbänder bei Hyperpression ohne und mit Dezentrierungstendenz (Abb. 13).

Vergleichbares gilt auch für die anderen Gelenke, besonders für die häufig zu beobachtende radiale Karpalarthrose, etwa bei fleißigen Hausfrauen und bei Krückengängern (Abb.14). Ursache für diese Anpassung ist meist eine habituelle Fehlbelastung im Interkarpalgelenk und/oder Radiokarpalgelenk durch Tätigkeiten mit hoher Flächen-Druck-Belastung in Extension, Hyperextension oder radial Abduktion.

Schlussfolgerung

Es gibt 4 wichtige Gründe für die funktionelle Sonografie:

  • 1. Die bloße Darstellung einer Struktur oder eines Bands im MRT oder Sonogramm erlaubt keinen sicheren Rückschluss auf dessen Funktion oder Stabilität.
  • 2. Die Stabilität und Funktion ist nur durch einen dynamischen Belastungs- und Funktionstest zu prüfen.
  • 3. Es handelt sich im Allgemeinen um eine einfache, den Patienten nicht belastende Untersuchungstechnik. Eine muskuläre Anspannung, die das Ergebnis der dynamischen Untersuchung verfälschen könnte, wird vom Untersucher wahrgenommen.
  • 4. Der frühzeitige Nachweis von Instabilitäten und Anpassungen bei Fehlbelastung erlaubt eine frühestmögliche Korrektur und Optimierung der Verhaltensweisen als Voraussetzung für beste Behandlungsergebnisse bei gegebener Compliance.
  • 5. Die zusätzlich erforderlichen Röntgen- und MRT-Aufnahmen zur Befunddokumentation können durch exakte Lokalisation der „region of interest“ auf ein Minimum beschränkt werden. Dies ist besonders wichtig im Wachstumsalter bei Kindern.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Norbert M. Hien

Praxis für Orthopädie
und Unfallchirurgie

Friedrichshafener Straße 11

81243 München

PraxisDrHien@t-online.de

Weiterführende Literatur

1. European Society of Musculo Skeletal Radiology (ESSR): Musculoskeletal Ultrasound Technical Guidelines. II Elbow, III Wrist, www.essr.org, 2012

2. Gaulrapp H, Binder C: Grundkurs Sonographie der Bewegungsorgane. München: Elsevier Urban & Fischer, 2011

3. Gaulrapp H, Binder C (Hrsg): Aufbaukurskurs Sonographie der Bewegungsorgane. München: Elsevier Urban & Fischer, 2014

4. Harland U, Sattler H: Ultraschallfibel Orthopädie, Traumatologie, Rheumatologie. Berlin: Springer, 1991

5. Hinzmann J, Kupatz P: Standardebenen der Sonographie der Bewegungsorgane. Stuttgart: Thieme, 2012

6. Konermann W, Gruber G: Ultraschalldiagnostik der Bewegungsorgane. Stuttgart: Thieme, 2012

7. McNally EG: Ultrasound of the small joints of the hands and feet: current status. Skeletal Radiol 2008; 37: 99–113

8. Tamborrini G, Marx C: Muskuloskelettaler Ultraschall Lehrbuch und Atlas. 2. Ausgabe, 1. Auflage, copyright irtheuma®, 2013/2014

Fussnoten

1 Praxis für Orthopädie und Unfallchirurgie, München

* Vortrag anlässlich der 64. Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen, Baden-Baden,

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