Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017

Refresherkurs Sonografie der Bewegungsorgane*
Sonografie an Hand, Handgelenk und Ellbogen – Funktionsdiagnostik, Instabilitäten und degenerative AnpassungenUltrasound examination of the hand, wrist and elbow, instructional course – functional tests, instabilities and degenerative alterations.

Für die Stabilitätsprüfung von Kapsel-Band-Strukturen, Frakturen, Gelenken und Sehnen sind die eingangs genannten Voraussetzungen streng zu beachten: Definierte Schnittebenen, standardisierte manuelle Belastungs-Tests und ggf. Messung sowie anschließend die Synopse der gefundenen Strukturveränderungen mit den Ergebnissen der Funktionstests und Verlaufskontrollen nach Bedarf. Als Beispiele werden die Prüfung der Kollateralbänder an Fingern, Handgelenk und Ellbogen, skapholunär und radioulnar, die Instabilität des Radiusköpfchens sowie von Frakturen und Implantaten vorgestellt.

Im Längsschnitt frontal über dem jeweiligen Kollateralband wird in Streckstellung des Gelenks und in geringer Beugung das betreffende Band dargestellt und im manuell gehaltenen Valgus- bzw. Varusstress die Stabilität anhand korrespondierender Gelenkrandpunkte gemessen und die Qualität des Anschlags bestimmt. Nach Distorsion (Bandläsion 1°) zeigt sich eine vergrößerte, aber noch übergreifende hypoechogene Zone (HEZ) im Bandbereich bei Schmerzangabe, aber fehlender Aufklappbarkeit im Stresstest; nach Teilruptur (Bandläsion 2°) noch übergreifende HEZ, aber bei Stress vermehrte Aufklappbarkeit im Seitenvergleich und elastischer Anschlag. Nach Komplettruptur (Bandläsion 3°) deutliche HEZ am Bandursprung, nicht mehr übergreifend und fehlender Anschlag im Stresstest (Abb. 8). Dieselben Kriterien gelten für das ulnare und radiale Kollateralband am Handgelenk und die Kollateralbänder des Ellenbogens.

Auch die Stabilität anderer karpaler Gelenkverbindungen lässt sich sonografisch gut prüfen und messen, z.B. die skapholunäre und die radioulnare Stabilität (Abb. 9). Die Messgenauigkeit ist beim Geübten hoch (1 mm ± 1 mm), es bedarf einer Lernkurve, in Grenzfällen kann die Gegenseite zum Vergleich herangezogen werden.

Die Stellung des Radiusköpfchens zum capitulum humeri wird im Längsschnitt über dem proximalen Radius überprüft. Besonders hilfreich ist die Sonografie bei der Pronatio dolorosa von Kleinkindern, da bei nachgewiesener korrekter Stellung des Radiusköpfchens schmerzhafte Repositionsversuche unterbleiben können. Der Nachweis kaum dislozierter und im Übersichtsröntgen nicht erkennbarer Radiusköpfchenfrakturen gelingt oft nur bei Durchmusterung in Pro- und Supination (Abb. 10).

Frakturen und Implantate

Bei Frakturen kann die Stabilität durch vorsichtige manuelle Biegebelastung am besten im Längsschnitt beurteilt werden (Abb. 11). Um therapierelevante Frakturen mit ausreichender Sicherheit nachweisen zu können, sollte der betreffende Knochen am besten zirkulär, mindestens aber von 3 Seiten longitudinal sonografiert werden. Eine Kortikalisstufe, ein Bruchspalt mit pathologischer Beweglichkeit und ein subperiostales Hämatom sind sichere Frakturzeichen; nicht dislozierte, intraossäre Frakturen ohne Beteiligung von Kortikalis und Periost oder an der Sonografie nicht zugänglichen Knochen sind im Ultraschall nicht darzustellen. Die Kallusbildung, die Lage und Funktion von Metallimplantaten und die Frakturkonsolidierung sind sonografisch zu beobachten, ebenso Funktionsstörungen durch übermäßige Kallusbildung oder posttraumatische Deformitäten.

Degenerative und
funktionelle Anpassungen

Degenerative Anpassungen der Gelenke sind sonografisch frühzeitig an den Gelenkrändern und -konturen zu erkennen und in Funktion auf ihre Ursachen hin zu analysieren.

Eine hypoechogene Zone (HEZ) über einer Sehne, dem Gelenkrand, Kollateralband oder Kapselanteilen ist ein erster Hinweis für eine zeitnah stattgehabte Verletzung oder für längerfristige Umbauvorgänge bei habituell einseitigen Belastungen. Zuschärfungen oder Ausziehungen des Gelenkrands sind Zeichen langfristiger Strukturanpassungen der Gelenke bei andauerndem Ungleichgewicht der Gelenkflächendruckbelastung und formativem Reiz aufgrund von Achsenfehlern, Kapselbandinstabilitäten oder Gewohnheiten (Abb. 12). Gelenkinstabilitäten sind mit standardisierten Stresstests nachzuweisen und auszumessen (Abb. 8).

Die Ränder des Daumensattelgelenks weisen bei habituell einseitiger Belastung bereits frühzeitig Ausziehungen radial und volar auf mit begleitender HEZ als Ausdruck aktueller Anpassungsreaktionen der Gelenklippen und Kapselbänder bei Hyperpression ohne und mit Dezentrierungstendenz (Abb. 13).

Vergleichbares gilt auch für die anderen Gelenke, besonders für die häufig zu beobachtende radiale Karpalarthrose, etwa bei fleißigen Hausfrauen und bei Krückengängern (Abb.14). Ursache für diese Anpassung ist meist eine habituelle Fehlbelastung im Interkarpalgelenk und/oder Radiokarpalgelenk durch Tätigkeiten mit hoher Flächen-Druck-Belastung in Extension, Hyperextension oder radial Abduktion.

Schlussfolgerung

Es gibt 4 wichtige Gründe für die funktionelle Sonografie:

  • 1. Die bloße Darstellung einer Struktur oder eines Bands im MRT oder Sonogramm erlaubt keinen sicheren Rückschluss auf dessen Funktion oder Stabilität.
  • 2. Die Stabilität und Funktion ist nur durch einen dynamischen Belastungs- und Funktionstest zu prüfen.
  • 3. Es handelt sich im Allgemeinen um eine einfache, den Patienten nicht belastende Untersuchungstechnik. Eine muskuläre Anspannung, die das Ergebnis der dynamischen Untersuchung verfälschen könnte, wird vom Untersucher wahrgenommen.
  • 4. Der frühzeitige Nachweis von Instabilitäten und Anpassungen bei Fehlbelastung erlaubt eine frühestmögliche Korrektur und Optimierung der Verhaltensweisen als Voraussetzung für beste Behandlungsergebnisse bei gegebener Compliance.
  • 5. Die zusätzlich erforderlichen Röntgen- und MRT-Aufnahmen zur Befunddokumentation können durch exakte Lokalisation der „region of interest“ auf ein Minimum beschränkt werden. Dies ist besonders wichtig im Wachstumsalter bei Kindern.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Norbert M. Hien

Praxis für Orthopädie
und Unfallchirurgie

Friedrichshafener Straße 11

81243 München

PraxisDrHien@t-online.de

Weiterführende Literatur

1. European Society of Musculo Skeletal Radiology (ESSR): Musculoskeletal Ultrasound Technical Guidelines. II Elbow, III Wrist, www.essr.org, 2012

2. Gaulrapp H, Binder C: Grundkurs Sonographie der Bewegungsorgane. München: Elsevier Urban & Fischer, 2011

3. Gaulrapp H, Binder C (Hrsg): Aufbaukurskurs Sonographie der Bewegungsorgane. München: Elsevier Urban & Fischer, 2014

4. Harland U, Sattler H: Ultraschallfibel Orthopädie, Traumatologie, Rheumatologie. Berlin: Springer, 1991

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