Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

Rotatorenmanschettenrekonstruktion
Ob, wann und wie zu operieren?If, when and how to operate?

Im Rahmen der Sehnendegeneration kommt es über eine Unterbrechung von Sehnenfaszikeln durch mukoide Degeneration zu kapsulotendinös dissezierenden Mikrorupturen mit fettiger Infiltration, Mikrokalzifikationen und nachfolgenden Arealen von Granulationsgewebe und Vernarbung [14] und sekundärer mechanischer Schwäche der Sehne.

Ein Rotatorenmanschettendefekt beginnt makroskopisch am häufigsten ansatznah gelenkseitig (sog. Rim-rent- oder PASTA-Läsion = partial articular side tendon avulsion der englischsprachigen Literatur) oder intratendinös als inkompletter bzw. Partialdefekt fast immer der Supraspinatussehne.

Die Defekte können auch bursaseitig beginnen als sog. reverse PASTA-Läsion. Artikulärseitige Defekte sind mehr als doppelt so häufig wie bursaseitige. Die Häufigkeit intratendinöser Defekte ist wegen der Unsicherheit ihrer Diagnose spekulativ (Abb. 1–3). Partialdefekte erhöhen den Stress im angrenzenden Gewebe und erklären damit u.a., dass die Sehnenveränderungen fortschreiten können bis zum kompletten (transtendinösen) Defekt der Rotatorenmanschette, der spontan und zunächst unbemerkt oder aber bei traumatischen Ereignissen mit nur geringer Krafteinwirkung auftreten kann. Dabei können auch erhebliche Lamellierungen der tendinösen von der kapsulären Schicht auftreten, was für die Rekonstruktion bedeutsam ist.

Im Wechselspiel von Zug der Rotatorenmuskeln und den Verstärkungsbändern wie dem Lig. coracohumerale und dem kapsulotendinösen Band (rotator cable) entstehen typische Rissformen [15] mit Beteiligung der Intervallzone und Freilegung der langen Bizepssehne. Es entsteht so aus einer umgekehrt L-förmigen Unterbrechung der Sehnen-Kapsel-Kontinuität bei Ausdehnung nach dorsal die typische V- oder U-Form. Bei Beginn distal des kapsulotendinösen Bands liegen meist flache, C- bis halbmondförmige Defekte vor. Bei stärkerer Schwächung des Lig. coracohumerale und des oberen glenohumeralen Bands (sog. Intervallschlinge oder Pulley-Apparat) wird die Stabilität der langen Bizepssehne beeinträchtigt. Diese sog. Intervallzonenläsionen wurden unter dem Begriff Pulley-Läsionen von Habermeyer et al. [16] klassifiziert.

Die lange Bizepsehne kann sowohl einen intrinsischen Sehnenschaden haben wie aber auch durch subakromiale Kontaktprozesse oder durch die Schäden des Halteapparats sekundär einbezogen sein.

Grundsätzlich ist von einer zeitabhängigen Größenzunahme auszugehen: Keener et al. [17] fanden bei asymptomatischen Personen nach durchschnittlich 5,1 Jahren eine Größenprogression in 49 % und bei 46 % neu aufgetretene Schmerzen. Bei konservativer Behandlung kompletter Defekte fanden Nakamura et al. [18], dass unter konservativer Behandlung nach mehr als einem Jahr Defekte unter 1 cm und ? 4 cm anteroposteriorer Ausdehnung nur wenig oder keine Progression zeigten, während die Defekte von 1–4 cm Größe die stärkste Zunahme zeigten, also im Übergang vom noch gut biomechanisch kompensierbaren Ein-Sehnen-Defekt zum meist nicht mehr funktionell kompensierbaren Zwei-Sehnen-Defekt. Im Unterschied dazu konnten Fucentese et al. [19] bei vergleichbarem Kollektiv im Mittel keine Defektvergrößerung nach durchschnittlich 3,5 Jahren feststellen.

Aus der Tendenz zur Defektvergrößerung mit konsekutiver Schädigung der Muskeltrophik bis hin zur Irrekonstruktibilität der RM ergibt sich die Forderung, bei jüngeren und körperlich aktiven Patienten schon die Kontinuität nicht durchsetzende Partialdefekte mit Rekonstruktion zu behandeln. Inwieweit dies tatsächlich den natürlichen Verlauf oder den Verlauf gegenüber einer ausschließlichen Dekompressionsoperation positiv beeinflussen kann, ist allerdings wissenschaftlich strittig [20].

Bildgebende Diagnostik

Sonografie und MRT sind gleichermaßen geeignet, komplette Defekte der Rotatorenmanschette darzustellen [21], während die Angaben zur Überlegenheit einer Methode in der Diagnostik von Partialdefekten kontrovers sind [21, 22]. Die MRT stellt sehr zuverlässig auch die Rotatorenmanschettenmuskeln dar und lässt deren fettige Degeneration [23] und Atrophie [24] quantifizieren und klassifizieren. Sie ist auch indiziert, wenn man das Ausmaß einer sonografisch nicht mehr quantifizierbaren Sehnenretraktion unter dem Akromion erfassen will.

Konventionelle Röntgendiagnostik

Die Röntgenuntersuchung ist bei Diagnosestellung dieser Weichteilerkrankungen nur komplementär hilfreich. Neben der Darstellung der Akromionform und evtl. enthesopathischer Sporne ist der akromiohumerale Abstand interessant: Bei < 7 mm liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Defekt von mehr als einer Sehne mit Einbeziehung der Infraspinatussehne vor [25]. Die Röntgennativuntersuchung wird in a.p., Y- und transaxillärer Projektion durchgeführt. Letztere hilft bei der Diagnostik von offenen Akromionfugen.

Therapie

Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung einer balancierten Funktion der Rotatorenmanschette und damit einer unter allen Funktionszuständen freien, schmerzlosen und kraftvollen Beweglichkeit mit ungestörter Zentrierung des Glenohumeralgelenks. Einzelziele sind dabei:

Behebung des Schmerzes,

Wiederherstellung der ggf. eingeschränkten Beweglichkei,t

Wiederherstellung der ggf. reduzierten Kraft,

Schutz vor Progredienz des Schadens durch zunehmende Stumpfretraktion, Muskelatrophie und Ausdehnung in die Nachbarsehnen mit der evtl. Folge einer Defektarthropathie.

Die ersten 3 Ziele können bei kleineren Defekten durchaus auch konservativ erreicht werden, hinsichtlich der Kraft allerdings oft mit Einschränkungen, reine Schmerzreduktion oder sogar -befreiung sind auch bei größeren Defekten konservativ möglich [26]

Eine weitgehende Wiederherstellung der Kraft kann allerdings nur durch Rekonstruktion der Sehnen-Knochen-Kontinuität erzielt werden.

Konservative Therapie

Subakromialsyndrome mit Rotatorenmanschettendefekt sind einer konservativen Therapie zugänglich. Morrison und Frogameni [27] fanden – unabhängig vom bildgebend erfassten Status der Rotatorenmanschette – beim Akromiontyp I 91 % und beim Akromiontyp III noch 64 % erfolgreiche Ergebnisse. Selbst bei großen Rotatorenmanschetten-Massendefekten von 2 oder 3 Sehnen kann bei Patienten mit niedrigem Funktionsanspruch die konservative Behandlung erfolgreich sein mit Werten im relativen Constant-Score von über 80 [28]. Es sollten bei belassenem Defekt wegen möglicher Progredienz regelmäßige (jährliche bis 2-jährliche) Kontrollen hinsichtlich Defektgröße und Stumpfretraktion erfolgen.

Indikation zur
operativen Therapie

Zeitpunkt

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