Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

Rotatorenmanschettenrekonstruktion
Ob, wann und wie zu operieren?If, when and how to operate?

Es gibt weitere Einteilungen wie nach Ellmann-Matsen, die Größe und auch partielle Defekte berücksichtigen [37] hinsichtlich der Tiefe der Läsion bezogen auf die verbliebene Insertionszone, den sog. Footprint der angloamerikanischen Literatur [38]. Defekte von ? 7 mm umfassen 50 % oder mehr der Sehneninsertion und sind ggf. Indikationen zur RM-Rekonstruktion. Die Einteilung nach Snyder [39] berücksichtigt ebenfalls Größe, Lokalisation und auch partielle Defekte:

Bursaseitige Partialdefekte können ohne Eröffnung des Gelenks refixiert werden, indem die abgerissene Schicht in eine kleine knöcherne Anfrischungsfläche lateral der Kapselinsertion endoskopisch mit Nahtankern oder offen transossär bzw. auch mit an Nahtankern fixierten Fäden adaptiert wird.

Gelenkseitige Defekte, die zu dünn erscheinen, (< 50 % Restsubstanz), können entweder

  • 1. vor der Rekonstruktion durch Exzision in komplette Defekte umgewandelt werden oder aber
  • 2. mit sog. In-situ-Technik knöchern refixiert werden. Nach Metaanalysen ist keine der beiden Methoden überlegen [40, 41]. Für die transtendinöse In-situ-Technik wurden allerdings „medial row failure“ berichtet [42].

Plastische Inzision
und Exzision

Zug an retrahierten, an der Nachbarsehne festhängenden Sehnen führt zu Verwerfungen und Verziehungen. Um annähernd anatomische Beziehungen wiederherzustellen, muss daher gelegentlich inzidiert und verschoben werden.

Nahtverankerung in der Sehne

Physiologisch für die Rotatoren-Ansatzsehnen ist die schräge, flächige Insertion. Die Manschettenränder sollen mit beiden Schichten, also Kapsel und Sehne, so am Humerus fixiert werden, dass die noch vorhandene Muskulatur bei der Bewegung wirken kann. Beim Bemessen der Spannung sollte nach der Fixation der Arm ohne Spannung und Ausreißerscheinungen an den Rumpf angelegt werden. Der Verschluss der Manschette ist nutzlos, wenn der Arm nicht mehr rotiert werden kann. Einfache Nähte neigen in dem degenerierten Gewebe zum Ausreißen. Es wurde deshalb von Gerber und Mitarbeitern [43] nach experimentellen Untersuchungen die Mason-Allen-Naht als ausreißgesicherte, hinterstochene Sperrschlingennaht vorgeschlagen.

Die in der Frühphase der arthroskopischen RM-Rekonstruktion oft eingesetzten einfachen Vertikalnähte erreichen nur weniger als ein Drittel einer Mason-Allen-Naht [44]. Dies kann durch spezielle, der Mason-Allen-Naht nachempfundene Nahttechniken ausgeglichen werden [45]

Verankerung im Knochen

Die Nahtfestigkeit bei der Verwendung von Knochenankern ist wiederholt untersucht worden [46]. Die Festigkeit der Verankerung im Knochen ist der offenen transossären Verankerung durch gerade oder gebogene Knochenkanäle gleichwertig oder sogar überlegen.

Bei den endoskopischen Refixationstechniken gab es eine umfangreiche Entwicklung: Zunächst erfolgten punktförmige, sog. einreihige Fixationen mit Knochenankern (single-row). Die einfachere und kostengünstigere arthroskopische Einreihentechnik kann Nachteile haben: Sie führt zu einer nur halb so großen Kontaktzone wie die klassische transossäre Technik und zu erheblich größerer Spaltbildung unter Zug [47]. Um diese Nachteile zu überwinden, wurden zweireihige Ankerfixationen zur solideren und ausgedehnteren, flächigen Refixation entwickelt, die sich in der Mehrzahl der biomechanischen Studien als überlegen erwiesen [48], allerdings zu höheren Kosten und höherem operativen Aufwand führen. Eine weitere Verbesserung der flächigen Auflage kann experimentell mit der sog. Nahtbrückentechnik (suture bridge) erreicht werden [49], wobei der Nachweis der klinischen Überlegenheit noch aussteht. Alle zweireihigen Techniken führen potenziell zu einem höheren Anpressdruck, der hinsichtlich der Vaskularisierung nachteilig sein kann (Abb. 6, 8).

Wenn die Rotatorenmanschette wegen zu weiter Stumpfretraktion und/oder zu großer Ausdehnung des Defekts und/oder zu fortgeschrittener Muskelatrophie nicht mehr verschlossen werden kann, ist in ausgewählten Fällen eine balancierte, inkomplette Rekonstruktion nach Burkhart [50] sinnvoll. Wenn auch diese nicht möglich sein sollte, ist ggf. eine sog. inverse Dekompression mit peripherer Stumpfresektion, Glättung und Rundung des Tub. majus möglich, und in selektierten Fällen zumindest hinsichtlich des Schmerzes, auch erfolgversprechend, sofern keine gravierende statische Dezentrierung besteht.

Ansonsten besteht für irrekonstruktible RM mit anterosuperioren Defekten die Möglichkeit des Sehnentransfers mit dem M. pectoralis major und für die posterosuperioren Defekte mit dem M. latissimus dorsi.

Einheilungsmechanismen

Die Heilung der wiederhergestellten Kontaktzone zwischen dem Kapsel-Sehnen-Stumpf und dem Knochen hängt ab von

  • a) der Vaskularität, die im Sehnenstumpf meist gering bis fehlend ist. Insofern ist eine ausreichende Neovaskularisation über den angefrischten Knochen essenziell notwendig.
  • b) der Kontaktfläche zwischen Sehnen-Kapsel-Stumpf und Knochen,
  • c) der potenziell gefäßstrangulierenden Spannung auf den Nähten, die u.U. eine medialisiert-dystope Refixation bedingt, was zu einer verminderten Kontaktfläche führt.
  • d) Der intrinsischen Vitalität und Strukturqualität der Sehne und der Kapsel.

Chirurgisch sind nur die Faktoren b und c und teilweise a zu beeinflussen.

Hinsichtlich der Einheilung scheint bei zweireihiger oder transossär-äquivalenter Fixierung eine etwas höhere Rate dauerhaft in der Kontinuität intakter Rotatorenmanschetten zu resultieren (Abb. 7) [51, 52], wahrscheinlich als Ergebnis einer größeren Sehne-Knochen-Kontaktfläche. Dies hat sich jedoch bis heute nicht in klinisch überlegenen Ergebnissen niedergeschlagen: Fast alle Vergleichsstudien kamen zu dem Ergebnis, dass keine Methode der anderen im klinischen Ergebnis überlegen ist [34, 52].

Versagensmechanismen der Einheilung

Neben generalisierten Heilungsstörungen durch Rauchen, Diabetes und schwere Fettstoffwechselstörungen sind vor allem lokale Faktoren bedeutsam. Es sind mehrere Mechanismen des nicht-infektiösen Versagens bekannt:

  • a) Nahtversagen in der Sehnenverankerung, typisch z.B. für einfache, offene wie endoskopische Nahttechniken. Abhilfe schaffen die erwähnten offenen wie endoskopischen Nahttechniken mit Sperrschlingen, die so solide sein können, dass bei transossären Fixierungen der Versagensort in den Knochen verlegt wird, während bei endoskopischen Ankertechniken sowohl in Ein-Reihen- wie Zwei-Reihen-Technik der Versagensort regelhaft die Sehne ist [53], seltener die Fadenfixierung am Anker.
  • b) Nahtversagen im Knochen, z.B. durch Reißen des Nahtmaterials oder Durchschneiden bei osteopenischem Knochen. Dies ist ein klassischer Versagensmechanismus der konventionellen transossären Nähte.
  • c) Lockerung und Ausriss von Knochenankern in der Einheilungsphase
  • d) Der sog. Medial-row-Fehler, d.h. Versagen der Sehne nicht am Einheilungsort des Stumpfs, sondern in Höhe der Nähte der medialen Ankerreihe [54]. Biomechanische Analysen von Sano et al. [55] zeigten, dass bei der doppelreihigen Ankertechnik im Bereich der medialen Anker sehr hohe Spannungen in der Sehne auftreten, was das neuartige Phänomen des sog. Medial-row-Fehlers erklärt. Die Problematik besteht darin, dass der verbliebene periphere Stumpf biologisch wertlos ist und beim Versuch einer erneuten Rekonstruktion eine relativ große Strecke überbrückt werden muss, was oft nicht mehr gelingt.
  • e) Aseptische Sehnennekrose, deren Größenordnung nicht bekannt ist, die aber durch Druck und Strangulationseffekte der Nähte wahrscheinlich häufiger vorkommt, als angenommen. Sehnennekrosen kommen v.a. auch nach Infektionen mit Propionibakterien vor (s.u.).
  • f) Failure in/with continuity: Ein weiterer Versagensmechanismus ergibt sich durch die Elongation der Sehne im Rahmen der Heilung. Auch bei erfolgreich geheilten Sehnen zeigt sich regelmäßig eine Elongation der Sehne [56], oft gepaart mit Ausdünnung. Wenn der Muskel-Sehnen-Übergang sich im präoperativen MRT medial des Glenoids befindet, heilen nur ca. 50 % der Sehnen, während bei einer primär lateralen Position über 90 % einheilen [56]. Bei übermäßiger Elongation führt dies dann zu einer sekundären muskulären Insuffizienz der Rotatorenmanschette: Trotz erhaltener Sehnenkontinuität bestehen Schwäche und Schmerz. Da meist eine biologische Insuffizienz und mangelnde Vitalität der Sehne(n) die Ursachen sind, kann man sich von einer Reoperation nicht viel versprechen.

Einheilungsversagen
bei Infektionen

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