Arzt und Recht - OUP 09/2012

Schweigepflicht über den Tod hinaus

Das Oberlandesgericht München I hielt nach alledem in einem anderen Fall jüngst durch Urteil vom 19.09.2011 (Az. 1 W 1320/11) an seiner bisherigen Rechtsprechung fest:

Der Arzt, über dessen Beschwerde das Oberlandesgericht München entschieden hat, sollte im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsstreits als Zeuge vernommen werden. Er erklärte daraufhin Bedenken, Angaben zur Sache zu machen, da er nicht wirksam von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden worden sei. Aus seiner Sicht sei die Schweigepflicht ein besonders hoch einzuschätzendes Gut und könne nur dann gebrochen werden, wenn besondere Gründe vorliegen würden, die unmittelbar im Interesse des Patienten selbst liegen würden.

Das Oberlandesgericht München I kam zu der Entscheidung, dass der Arzt mutmaßlich von der Schweigepflicht entbunden worden wäre. Nur wenn ein mutmaßlicher Wille des Verstorbenen eindeutig dahingehe, dass er unter Berücksichtigung seines wohlverstandenen Interesses auf eine weitere Geheimhaltung verzichten würde, stehe dem Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Der Arzt müsse zumindest darlegen, unter welchen allgemeinen Gesichtspunkten er sich durch die Schweigepflicht gehindert sehe, d.h. seine Weigerung muss er auf konkrete oder mutmaßliche Belange des Verstorbenen stützen. Von dem Arzt könne jedoch gleichermaßen nicht verlangt werden, seine Gründe ausführlich und detailliert darzulegen, da dies die Preisgabe schutzbedürftiger Geheimnisse bedingen würde. Sofern die von dem Arzt in diesem Rahmen angeführten Gründe nicht nachvollzogen werden können und eine Weigerung nicht rechtfertigen können, ist daher von einer mutmaßlichen Einwilligung zur Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht auszugehen.

Das Oberlandesgericht hielt die von dem Arzt vorgebrachten Gründe für nicht hinreichend, da sie keinerlei konkrete Tatsachen und Erwägungen enthalten, die die Entscheidung des Beklagten nachvollziehbar erscheinen lassen. Insbesondere seien keinerlei einzelfallbezogene Erwägungen dargetan. Nach Versterben des Patienten könnten keine Vermögenszuwendungen und keine Realisierung von Schadensersatzansprüchen mehr im unmittelbaren Interesse des Patienten liegen.

Fazit

Auch die jüngste Rechtsprechung zeigt dem Arzt die Schwierigkeit der Gratwanderung auf, nach dem Tod des Patienten dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, ohne hierdurch selbst vermeidbare Nachteile zu erleiden. Insbesondere bleibt unklar, wie allgemein/konkret die Begründung für das Schweigen im Einzelfall sein darf/muss. Klar sind lediglich folgende Grundsätze:

1. Der Hinweis auf allgemein moralische Bedenken des Arztes reicht nicht aus (vgl. oben: „Die Schweigepflicht ist ein besonders hoch einzuschätzendes Gut und kann nur dann gebrochen werden, wenn besondere Gründe vorliegen würden, die unmittelbar im Interesse des Patienten selbst liegen würden.“).

2. Der Arzt muss zumindest darlegen, dass sein Schweigen überhaupt auf konkrete Belange des Verstorbenen gestützt ist. Keinesfalls ist er jedoch gezwungen, bei der Begründung seines Schweigens die Schweigepflicht zu verletzen. Gründe für den Verschwiegenheitswunsch des Patienten, die nicht in den zu verschweigenden Tatsachen selbst liegen (vgl. oben: Distanzierung von der Familie), sollten aber möglichst detailliert dargestellt und durch äußerlich sichtbare Tatsachen belegt werden.

Die Rechtsprechung hilft insbesondere mit ihrer Verwirrung der Begriffe „allgemein“ und „konkret“ dem Arzt nicht, die Rechte des Patienten auch nach dessen Tod pflichtgemäß zu bewahren. Insbesondere in den Fällen, in denen Ansprüche gegen den Arzt gelten gemacht werden, sind die Gerichte gleichwohl besonders kritisch. Im Zweifelsfall sollte die Hilfe eines Fachmannes in Anspruch genommen werden, um bei der Auflösung des Widerspruchs zwischen Schweigepflicht und prozessualen Pflichten die bestehenden Grenzen einzuhalten.

Korrespondenzadresse

RA Dr. Christoph Osmialowski

Kanzlei für ArztRecht

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