Übersichtsarbeiten - OUP 02/2018

Skelettmetastasen – was sollte der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie wissen?

Thomas Gösling1, Axel Hillmann2

Zusammenfassung: Das Skelettsystem ist die dritthäufigste Lokalisation für Metastasen eines Karzinoms. Aus diesem Grund werden Orthopäden und Unfallchirurgen außerhalb von spezialisierten muskuloskelettalen Tumorzentren viel häufiger mit einer Metastase als einem primären Knochentumor konfrontiert. Ein onkologisches Basiswissen ist daher essenziell. Die Metastasierung stellt eine Generalisierung eines Tumorleidens im Körper dar. Die Behandlung von Skelettmetastasen ist daher interdisziplinär vorzunehmen und erfordert ein stadien- und patientenadaptiertes Vorgehen. Bei unbekanntem Primarius oder langem Intervall zwischen Tumor und Auftreten einer Metastasierung muss auch an das Vorliegen eines primären Knochentumors bzw. eines Zweitkarzinoms gedacht werden. Bei Zweifel ist hier dringend eine Biopsie zu empfehlen. An chirurgischen Therapiemöglichkeiten stehen die alleinige Stabilisierung, die Stabilisierung mit Radiatio, die intraläsionale Resektion mit Radiatio sowie die weite bzw. marginale Resektion zur Verfügung. Die Therapieentscheidung muss der aktuellen und zu erwartenden Situation des Patienten Rechnung tragen.

Schlüsselwörter: Knochenmetastase, pathologische Fraktur,
Knochentumor

Zitierweise
Gösling T, Hillmann A: Skelettmetastasen – was sollte der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie wissen?
OUP 2018; 7: 114–120 DOI 10.3238/oup.2018.0114–0120

Summary: Metastases are an indicator for generalization of a tumor disease. The treatment of bony metastases requires an interdisciplinary approach and has to be adapted to patients’ tumor stage and to patients’ demands. A negative history of tumor or a long interval between primary tumor and secondary metastases should lead to the differential diagnosis of a primary bone tumor or a secondary carcinoma. A biopsy should be taken in doubt. Surgical therapy ranges from palliative stabilization to more aggressive wide resections.

Keywords: bone metastasis, pathologic fracture, bone tumor

Citation
Gösling T, Hillmann A: Bone metastasis – what orthopaedics and
orthopaedic surgeons should know.
OUP 2018; 7: 114–120 DOI 10.3238/oup.2018.0114–0120

1 Klinik für Unfallchirurgie und orthopädische Chirurgie, Klinikum Braunschweig gGmbH

Die heutige Weiterbildungsordnung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie fordert Kenntnisse in der muskuloskelettalen Tumorchirurgie sowie der operativen Behandlung pathologischer Frakturen. Ein Großteil der angehenden Orthopäden und Unfallchirurgen hat innerhalb seiner Facharztausbildung weder an einer speziell muskuloskelettalen noch an einer allgemeinen Tumorkonferenz teilgenommen. Die Versorgungsrealität zeigt jedoch, dass der Hauptteil der Patienten mit Knochenmetastasen außerhalb von zertifizierten Krebszentren behandelt wird. Der Großteil von Patienten mit Knochenmetastasen kann unter Einhaltung einiger minimaler Standards sicher und mit guter Qualität außerhalb dieser Zentren behandelt werden.

Der O&U-Facharzt tritt bei Patienten mit Knochenmetastasen sowohl als primärer als auch als sekundärer Behandler in Erscheinung. Patienten mit einer malignen Erkrankung können erstmalig durch Instabilitätsschmerz im Bereich eines Knochens auffällig werden. Dies beinhaltet auch die pathologische Fraktur. Basiskenntnisse bezüglich Diagnostik und Therapie sind daher unerlässlich. Eine unterlassene Diagnostik oder falsche Therapie kann für den Patienten fatale Folgen haben. Eine diagnostizierte Osteolyse bei negativer Tumoranamnese bedarf immer einer weiteren Abklärung. Dies gilt auch für pathologische Frakturen. Osteolytische Prozesse und pathologische Frakturen können auf einen primären Knochentumor hinweisen. Eine unreflektierte chirurgische Therapie kann hier einen erheblichen Schaden setzen.

Metastasen sind Absiedelungen eines bösartigen Tumors in einem entfernten Gewebe. Die Einteilung erfolgt nach dem TNM-System. N steht hierbei für regionäre Lymphknotenmetastasen und M für Fernmetastasen. In der Regel sind ossäre Metastasen mit M als Fernmetastasen zu bezeichnen. Sie zeigen somit eine Generalisierung der Erkrankung an. Daher kann die Behandlung von Skelettmetastasen nur im interdisziplinären Kontext erfolgen. Falls der Orthopäde/Unfallchirurg nicht über das notwendige onkologische Wissen verfügt, ist ein Austausch mit dem Onkologen ratsam. Metastasen können als synchron bzw. metachron bezeichnet werden. Synchron bedeutet ein Vorliegen bei der Erstdiagnose. Metachrone Metastasen werden im Verlauf einer Erkrankung diagnostiziert. Wichtige Eckdaten zum Überleben unter den bisherigen Therapiemöglichkeiten zeigte eine Untersuchung von Patienten mit Metastasen an der Wirbelsäule. Die häufigen Primarii Mamma, Prostata und Niere zeigen hier ein medianes Überleben zwischen 18,8 und 24,5 Monaten mit Überlebenszeiten von 6 Jahren und mehr [18]. Hingegen zeigte das ossär metastasierte Bronchialkarzinom eine mediane Überlebenszeit von lediglich 3,9 Monaten bei einer maximalen Überlebenszeit von 20,3 Monaten. Der Primarius ist ein wichtiger Faktor zu Abschätzung der Prognose.

Nach heutiger Theorie besitzt lediglich ein kleiner Anteil der Zellen, die in die Blutbahn eintreten, die Fähigkeit, periphere Metastasen zu bilden [3, 10]. Ob ossäre Metastasen letztlich weiter metastasieren können, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher geklärt [9]. Der Einfluss dieser fraglichen Sekundärmetastasen auf das Gesamtüberleben wird jedoch eher als gering eingeschätzt [2]. Bis auf wenige Ausnahmen führt die Reduktion der Tumorlast am Knochen nicht zu einer Verbesserung der Gesamtprognose. Für das Nierenzellkarzinom konnte jedoch gezeigt werden, dass die En-bloc-Resektion von solitären Metastasen am Knochen zu einer signifikanten Verbesserung der Überlebensrate führt [14] (Abb. 1).

Die chirurgischen Therapiemöglichkeiten liegen somit zwischen „skillfull neglect“ und einer chirurgisch oft anspruchsvollen und komplikationsträchtigeren, weiten Resektion. Dies betont noch einmal die notwendige, interdisziplinäre Entscheidungsfindung.

Trotz der sehr engen Indikationsstellung zur weiten Resektion von Skelettmetastasen besitzt die lokal-chirurgische Therapie einen sehr hohen Stellenwert im Rahmen des Gesamtkonzepts. Sieht man von Patienten mit einer sehr schlechten Prognose ab, führt in den anderen Fällen das Auftreten sogenannter SkeletalRelatedEvents (SRE) zu einer Verkürzung der Überlebenszeit [13, 16]. Eindeutige negative Faktoren sind eine pathologische Fraktur im Bereich der unteren Extremität/Becken sowie eine spinale Lähmung.

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