Übersichtsarbeiten - OUP 01/2018

Sonografiegesteuerte Injektionen an der Wirbelsäule*
Darstellung der Regionen und praktisches VorgehenAnatomical regions and practical procedures

Norbert M. Hien1

Zusammenfassung: Sonografisch gezielte Injektionen an der Wirbelsäule, Gelenkfacetten- und Wurzelblockaden, Kaudalanästhesien und Blockaden der Intercostalnerven haben sich in den letzten 30 Jahren im diagnostisch/therapeutischen Spektrum fest etabliert. Im Gegensatz zur Führungskontrolle mit konventionellem Röntgenbildwandler und den Schnittbildverfahren CT und MRT ist die Sonografie leichter verfügbar, strahlungsfrei und ermöglicht mit vergleichsweise geringem technischen und organisatorischen Aufwand eine anschauliche und zielsichere Steuerung der gewünschten Punktion und Injektion in Echtzeit. Orthopäden, Unfall- und Neurochirurgen und Anästhesisten haben aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive heraus Standardebenen und Untersuchungstechniken entwickelt und veröffentlicht, die Eingang in die tägliche Praxis gefunden haben [1, 2, 3, 5, 6]. Anhand der Daten aus über 30 Jahren
Ultraschalldiagnostik in Klinik und Praxis und zahlreichen Fortbildungskursen werden die wichtigsten Injektionstechniken je Wirbelsäulenabschnitt in Abhängigkeit von den
unterschiedlichen anatomischen Gegebenheiten dargestellt.

Schlüsselwörter: Sonografie, ultraschallgezielte Injektionen, Punktionen, Wirbelsäule, Spinalwurzel, Sakroiliakalgelenk, Schmerz

Zitierweise
Hien NM: Sonografiegesteuerte Injektionen an der Wirbelsäule.
Darstellung der Regionen und praktisches Vorgehen.
OUP 2018; 7: 019–023 DOI 10.3238/oup.2018.0019–0023

Summary: Over the last 30 years techniques of ultrasound-guided injections at the vertebral column, joints, facets and spinal nerve roots have developed to be an established tool to diagnose and treat acute and chronic vertebral pain. Compared to guidance by conventional x-ray image converters and the cross-sectional techniques CT and MRI, ultrasound is more easily available, free of radiation, and allows real-time observation of the process of puncture/injection and targeting the correct anatomical structures at the correct spot by rather simple means of technical equipment and organization. Orthopedic surgeons, radiologists and anesthesists have developed standard views and procedures of ultrasound-controlled injections according to their individual needs. Current textbooks include some of these views and procedures used in daily practice [1, 2, 3, 5, 6]. In this review the most important injection procedures, as far as the different vertebral segments and the sacroiliacal joint are concerned, are demonstrated with the specific anatomical landmarks as have been developed in 35 years of practical experience in ultrasound diagnostics and taught in numerous instructional courses.

Keywords: sonography, ultrasound-guided injections, vertebral column, spine, spinal nerve root, sacroiliacal joint, pain.

Citation
Hien NM: Ultrasound-guided injections of the vertebral spine.
Anatomical regions and practical procedures.
OUP 2018; 7: 019–023 DOI 10.3238/oup.2018.0019–0023

Einleitung

Injektionen an der Wirbelsäule dienen meist zur Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Schmerzen. Während der „Wundenmann“ 1517 in erster Linie an von außen beigebrachten Schmerzen litt, leidet der Mensch 2017 oft an inneren Schmerzen, die auf die Wirbelsäule zurückgeführt werden. Die Einteilung in HWS, BWS, LWS, Sakral- und Coccygeal-Beschwerden ist anatomisch vorgegeben und etabliert (Abb. 1). In Abhängigkeit von den unterschiedlichen anatomischen Gegebenheiten der einzelnen Regionen gibt es jeweils spezielle Injektionstechniken zu beachten.

Material und Methoden

Grundsätzliches

1. Die Sonografie orientiert sich in erster Linie in sagittalen Längsschnitten an charakteristischen knöchernen Knochenkonturen („landmarks“) in typischen, definierten Standardschnittebenen. Ausnahmen bei Spezialschnitten, z.B. für das Sakroiliakalgelenk (SIG), bestätigen diese Regel.

2. Bei der Schallkopfführung hält der Untersucher Fingerkontakt zum Patienten. Der Schallkopf wird ohne Druck, lediglich mit Kontakt-Flüssigkeitsfilm aufgesetzt, Kippfehler sind dringend zu vermeiden, um die Punktionsebene der Nadel nicht zu verlieren. Ein Fußtaster zum Einfrieren des Bilds und zur Dokumentation ist unabdingbar.

3. Sterilität durch exakte Hygiene der Hand, des OP-Felds und des Schallkopfs im Sinne einer chirurgischen Desinfektion ist sicherzustellen. Der Schallkopf wird entweder hygienisch desinfiziert oder in steriler Plastiktüte verpackt. Punktiert wird in der Schnittebene im schwimmenden Desinfektionsmittel mit 0,5 cm Abstand vom Schallkopf oder durch steriles Gel.

4. Die Lagerung erfolgt je nach Fragestellung kyphosiert in Bauchlage oder aufrecht sitzend. Auf Kreislaufstabilität ist zu achten, Notfallbereitschaft ist vorzuhalten.

5. Die Schallkopfauswahl (5–12 MHz) ist abhängig von Region und Tiefe der Injektion, dem erforderlichen Überblick und der erzielbaren Auflösung. Eine ausreichende aktive Breite des Schallkopfs verbessert die Übersicht, hochfrequente Schallköpfe sind nur im Nahbereich verwendbar. Durch die Gerätetechnik und verfügbare Software kann die Darstellung der Nadel verbessert werden („needle mate“), aber im ungünstigsten Fall auch durch Artefaktbereinigung verschlechtert sein.

6. Injektionsmittel und Medikation für paravertebrale Wurzel- und Sympathikusblockaden: a) ein Lokalanästhetikum von 5–10 ml und mehr, Lidocain 1 %ig oder Carbosthesin 0,25–0,5 %ig, je nach Indikation und beabsichtigter Wirkung, sowie zusätzlich b) ein Lokalcorticoid, z.B. Triamcinolon oder Lipotalon, in sehr geringer Dosierung bzw. ein niedrig dosiertes Opioid zur Blockade der Morphinrezeptoren. Bei Unverträglichkeit von Lokalanästhetika besteht auch die Möglichkeit, die Medikation in physiologischer Kochsalzlösung oder Ringerlösung zu applizieren.

Die Longitudinalschnittebenen liegen:

  • 1. über den Processus spinosi und
  • 2. über den Gelenkfacetten. Dazwischen liegt
  • 3. die Ebene der Wirbelbogen, die tunlichst gemieden wird, möchte man Spinalanästhesien sicher vermeiden und
  • 4. die Ebene über den Processus costarii („transversi“).

Die Ebene 1 läuft distal über dem Hiatus sacralis aus (Abb. 1b).

Ergebnisse

Die regionalen
Injektionstechniken

Über den Wirbelgelenkfacetten (Ebene 2) lassen sich zervikal und lumbosakral die dachziegelförmig übereinander greifenden Processus articulares sonografisch darstellen (Abb. 2). Bei der Injektion ist zu beachten, dass es in Abhängigkeit vom Wassergehalt der Gewebe durch Brechung zur optischen Verzerrung der Nadelrichtung kommen kann, was ggf. einer Nachkorrektur der Nadelrichtung bedarf.

Bei Injektion direkt auf die Interartikularportion hin erreicht man den Ramus dorsalis der betreffenden Nervenwurzel und eine Anästhesie der proximalen und distalen Gelenkfacette. Eine Injektion in das Wirbelgelenk selbst ist weder sinnvoll noch technisch sicher möglich aufgrund des geringen Gelenkbinnenraums.

Die Injektion einer lumbosakralen Spinalwurzel erfolgt in der Ebene 3 zwischen den Processus costarii des jeweiligen Segments. Im Vergleich mit dem ap Röntgenbild werden die Processus costarii von S1 nach proximal abgezählt und der gewünschte Raum zwischen den Querfortsätzen punktiert: für die Wurzel L5 zwischen Querfortsatz L5/S1, für die Wurzel L4 zwischen Querfortsatz L4/L5. Die Punktionsnadel wird jeweils maximal um 5 mm über den Konturabbruch des jeweiligen Querfortsatzes hinaus nach ventral vorgeschoben und der betreffende Raum mit etwa 5 ml Lokalanästhetikum aufgefüllt (Abb. 3).

Die Caudalanästhesie erfolgt, wie von Niesel [5] beschrieben, über den Hiatus sacralis. Am Ende der Dornfortsatzreihe ist im Sonogramm im Wasserbad und beim Patienten der Konturabbruch der Processus spinosi gut erkennbar. Beim Patienten stellt sich die nach distal auslaufende Faszie echogen und das Filum terminale hypoechogen dar (Abb. 4). Abhängig von der Menge des über den Hiatus injizierten Lokalanästhetikums wird die Segmenthöhe und Ausdehnung der Sakralanästhesie bis zur S1-Wurzel hin bestimmt.

Für das Sakroiliakalgelenk wählen wir eine schräg transversale Schnittebene von unterhalb des Dornfortsatzes (proc. spinosus) L5 bzw. vom proc. spinosus S1 auf die Spina iliaca posterior superior zu (Abb. 5). In dieser Schnittebene zielen wir mit der Nadel im Sonobild von rechts oben auf den Übergang zum distalen Drittel des Abstands Iilium – Os sacrum in den dort liegenden Gelenkspalt. Nach spürbarem Durchstechen der fibrösen Kapsel und Knochenkontakt 1–2 mm Rückzug der Nadel und druckfreie Injektion in das Gelenk. Die Injektion der Flüssigkeit in das Gelenk selbst bleibt verborgen mangels Einblick in den Gelenkspalt. Bei ungewollter extraartikulärer Injektion ist die Gewebeflutung im Ultraschallbild zu beobachten. Abhängig von den individuellen Verhältnissen und der Lagerung kann die Ebene etwas steiler von cranial der Spina iliaca posterior superior oder flacher von caudal der Spina gewählt werden.

Die Injektion an der BWS intercostal erfolgt wie von Niesel [5] angegeben (Abb. 6). Hierbei gilt besondere Vorsicht, um sowohl die Verletzung der am Unterrand der Rippe liegenden Gefäße als auch eine akzidentelle Verletzung der Pleura zu vermeiden. Wir gehen vorzugsweise in der Ebene 3 lateral der Proc. transversi bzw. des Wirbelrippengelenks intercostal ein, am Oberrand der jeweiligen Rippe je nach Handling und Lagerung von caudal oder cranial kommend. Eine Injektion mit langer Nadel ohne Abstützung der Hand gegen den Patienten empfiehlt sich nicht, da z.B. ein plötzlicher Hustenstoß zur Pleuraperforation und zum Pneumothorax führen kann.

An der HWS schützen die überlappenden Gelenkfacetten den Spinalbereich vor akzidenteller Verletzung mit Ausnahme suboccipital und zwischen C1/2. Die Facetten werden vom Mastoid aus nach caudal abgezählt und die Segmenthöhe bestimmt, wobei beispielsweise die Radix C6 lateral und ventral der Facette C5/6 verläuft.

Es können sowohl in Ebene 2 die Gelenkfacetten selbst als auch in Ebene 3 mit minimalem Vorschub am lateralen Rand der Facette die jeweilige Spinalwurzel infiltriert werden (Abb. 7).

Suboccipitale Injektionen sind nur vom Geübten durchzuführen, da hier kein vollständiger knöcherner Schutz des Spinalkanals vorhanden ist. Sowohl der Ramus dorsalis der A. vertebralis als auch der dorsale Ast der Wurzel C1 und C2 verlaufen in enger Beziehung zum Atlasbogen C1.

Die dorsalen Wurzeln C1 und 2 lassen sich ohne Verletzung der Strukturen erreichen, wenn die Nadel unter sonografischer Kontrolle sicher nur bis auf 5 mm an die Knochenkontur des Bogens C1 herangeführt wird. Die zusätzliche Darstellung mit Farbduplex bietet noch mehr Sicherheit, Gefäßverletzungen zu vermeiden.

Nur für geübte Spezialisten geeignete Injektionstechniken mit sonografischer Führungshilfe sind Sakralwurzelblockaden durch die dorsalen Foramina (Abb. 8) und die Blockade des Ganglion stellatum von ventral zwischen Schilddrüse und A. carotis mit Zielrichtung auf den Wirbelkörper C6 bzw. den Querfortsatz C6 [2, 3, 5]. Eine vorangehende Abklärung der Halsgefäße mit Farbduplex wird dringend empfohlen; Farbe sollte auch bei der Injektion zugeschaltet werden.

Diskussion und
Zusammenfassung

Indikationen für paravertebrale Wurzel- und Sympathikusblockaden stellen in erster Linie Wurzelreiz-/-kompressionssyndrome dar; weiter radikuläre Schmerzsyndrome, z.B. bei Herpes zoster, oder chronische Schmerzsyndrome mit V.a. sympathische Beteiligung „sympatic mediated pain“. In der täglichen Praxis hat sich die sonografisch kontrollierte gezielte Facetten- und Spinalwurzelinfiltration seit Jahrzehnten bewährt. Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit im Vergleich mit alternativen Führungshilfen (Röntgenbildwandler, CT, MRT) liegen bislang nicht vor. Es verwundert, dass in der jüngsten Auflage eines orthopädischen Standardwerks zu Injektionstechniken an der Wirbelsäule die sonografische Führungshilfe kaum erwähnt wird [4].

Vorteile sonografiegesteuerter Injektionen an der Wirbelsäule sind:

  • 1. die Reduktion des Kortikoid- und Opioid-Bedarfs auf einen Bruchteil der systemisch erforderlichen und üblichen Menge,
  • 2. eine höhere Treffsicherheit ohne Strahlenbelastung,
  • 3. eine bessere Segmentlokalisation sowie
  • 4. eine verminderte Komplikationsrate im Vergleich zu epiduralen oder spinalen Injektionen.

Risiken bestehen in der Gefahr der Gefäß- oder Nervenverletzung mit Auslösung von Blutungen, möglichen Infektionen, Kreislaufkomplikationen oder in der akzidenziellen Spinalanästhesie. Daher sind Notfallbereitschaft, Anästhesieprotokoll und Überwachung erforderlich. Die Auslösung einer Abhängigkeit im Sinne einer Schmerzchronifizierung bei gefährdeten Patienten ist nicht auszuschließen.

Besondere Gefahren sind zu beachten an der BWS durch Pneumothorax, an der HWS suboccipital sowie bei Stellatum-Blockaden. Relativ risikoarm sind Injektionen lumbosakral, distal zervikal und im Bereich des Sakroiliakalgelenks. Ausbildung, Übung und Erfahrung sind selbstverständlich erforderlich.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Norbert M. Hien

Friedrichshafener Str. 11

81243 München

PraxisDrHien@t-online.de

Weiterführende Literatur

1. Birnbaum A: Ultraschallgestützte Regionalanästhesie. Berlin: Springer Verlag, 2013

2. Hien NM: Ultraschallkontrollierte Spinalwurzel- und Sympathikusblockaden. Orthop Praxis 1999; 8: 491–99

3. Hillmann R, Döffert J: Praxis der anästhesiologischen Sonographie. München: Elsevier Urban & Fischer Verlag, 2016: 189–210

4. Theodoridis T, Krämer J: Injektionstherapie an der Wirbelsäule. Stuttgart: Georg Thieme Verlag 2017

5. Van Aken K, Hinnerk W (Hrsg): Lokalanästhesie, Regionalanästhesie, Regionale Schmerztherapie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2010

6. Weidle PA, Weidle J, Schultheis BC. Sonographie-gesteuerte Iliosakral- und Facettengelenkinjektionen. OUP 2016; 4: 210–5

Fussnoten

* Refresherkurs Sonografie der Bewegungsorgane zur 65. Jahrestagung der VSOU Baden-Baden 2017

1 München, Kursleiter Stufe III DEGUM, Bewegungsorgane

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