Übersichtsarbeiten - OUP 01/2019

Thermoablation der Facettengelenke
Behandlung von chronischen Schmerzen der Chronifizierungsstadien II und III

Die vorliegende Studie wurde als wissenschaftliche Begleitung eines neuen Behandlungsangebots einer gemischten Einrichtung prospektiv geplant und longitudinal beobachtend durchgeführt. Es wurden konsekutiv über einen Zeitraum von 14 Monaten alle Patienten in die Studie eingeschlossen, die in diesem Zeitraum aufgrund einseitiger pseudoradikulärer Rückenschmerzen spezifischer Ursache mit Thermoablation am Facettengelenk behandelt wurden. Eine wesentliche Limitation ist neben dem nur beobachtenden Studiendesign der monozentrische Ansatz der Studie. Die Stichprobe der vorliegenden Untersuchung kann nicht als repräsentativ erachtet werden. Eine weitere Einschränkung kann im Drop-out beim letzten Messzeitpunkt gesehen werden. In der Befragung nach 12 Monaten hat ca. ein Drittel der Befragten den Fragebogen nicht beantwortet. Die fehlenden Daten wurden nach der LOCF-Methode ersetzt. Diese nicht unumstrittene Methode schien im vorliegenden Fall geeignet zu sein, weil die vorhandenen Daten im Verlauf über die 3 Follow-up-Messzeitpunkte hinweg eine hohe Stabilität zeigten.

Über die Betrachtungsweise früherer Studien hinaus umfasst diese Beobachtungsstudie neben der Schmerzintensität Kriterien, welche die Multimodalität der modernen Schmerzdefinition berücksichtigt. Allein das Schmerzniveau zu beschreiben und hierdurch den Behandlungserfolg zu definieren würde dem chronischen Schmerzpatienten und seinen sekundären algogenen Einschränkungen nicht ausreichend gerecht werden.

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen deutliche Veränderungen im Verlauf der Behandlung von Patienten mit länger persistierenden spezifischen Rückenschmerzen für alle erhobenen Outcome-Variablen. Die beobachteten Veränderungen mit Effektstärken ab r = 0,56 zu allen Messzeitpunkten sprechen für klinisch bedeutsame Behandlungsergebnisse, die auch über einen längeren Zeitraum von einem Jahr nach der stationären Behandlung weitgehend stabil bleiben. Die Veränderungen hinsichtlich der Beeinträchtigung durch die Schmerzen und der körperlichen Funktionskapazität fallen etwas geringer aus als bei der Schmerzreduktion, sind aber nach gängiger Interpretation ebenfalls als starke Effekte zu klassifizieren (Tab. 2). Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass Schmerz und Beeinträchtigungen bis zum Messzeitpunkt nach 12 Monaten wieder geringfügig zunehmen (Abb. 1, 2), während die nach 3 Monaten erreichte körperliche Funktionsfähigkeit vollständig erhalten bleibt (Abb. 3). Es stabilisieren sich im Beobachtungszeitraum offenbar Beweglichkeit und Bewegungskompetenz, beides Funktionen der Gelenkstrukturen des Achsorgans. Diese Beobachtung könnte – sofern nicht Unterschiede in der Veränderungssensitivität der Instrumente ausschlaggebend sind – so interpretiert werden, dass durch regelmäßige Bewegung nun auch andere, durch chronisches Schmerzvermeidungsverhalten insuffiziente (Muskel-)Systeme aktiviert werden.

Die Effektivität der Radiofrequenztherapie hinsichtlich der Schmerzreduktion bei Patienten mit persistierenden Facettensyndromen [2–4, 17] konnte erneut bestätigt werden. Darüber hinaus zeigten sich in dieser Studie auch verringerte körperliche und psychosoziale Beeinträchtigungen, eine verbesserte körperliche Funktionsfähigkeit sowie hohe Anteile nicht operierter (90 %) und arbeitsfähiger Probanden (76 %) nach einem Jahr. Der Anteil an operierten Patienten ein Jahr nach interventioneller Schmerztherapie wird generell mit 13,8/100 und nach operativer Behandlung mit 10/100 angegeben [19]. Angaben zum Anteil der chronifizierten Schmerzpatienten, die nach Behandlung wieder einer bezahlten Arbeit nachgehen können, schwanken zwischen ca. 50 und 65 % [8, 12, 21].

Die Empfehlung der S2k-Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz, dass die perkutane Neurotomie bei Patienten mit einem persistierenden Facettensyndrom erwogen werden kann [4], wird somit durch die hier beschriebenen Daten gestützt. In der stationären, nicht operativen Therapie von Wirbelsäulenerkrankungen und -verletzungen sind heute – nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung des ANOA-Konzepts [22] – gute Rahmenbedingungen gegeben, die dem Patienten in Notfallsituationen oder nach frustrierender ambulanter Therapie [15] als Therapieeskalation angeboten werden können.

Interessenkonflikt:

Keine angegeben.

Danksagung: Die Autoren möchten Sabrina Gessel und Daniela Fälschle für die röntgentechnische Unterstützung
der Studie danken.

Literatur

1. Cohen J: Statistical Power Analysis for the Behavioral Sciences. 2nd ed. Hillsdale, NJ 1988

2. Cohen SP, Huang JH, Brummet C: Facet joint pain – advances in patient selection and treatment. Nat Rev Rheumatol 2013; 9: 101–16

3. Datta S, Lee M, Falco FJ et al.: Systematic assessment of diagnostic accuracy and therapeutic utility of lumbar facet joint interventions. Pain Physician 2009; 12: 437–60

4. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) et al.: S2k-Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz. AWMF Registernummer: 033–051, Stand Dezember 2017. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/033–051l_S2k_Spezifi scher_Kreuzschmerz_2018–02.pdf; Stand: 22.03.2018 [2]

5. Dworkin RH, Turk DC, Farrar JT et al.: Core outcome measures for chronic pain clinical trials: IMMPACT recommendations. Pain 2005; 113: 9–19

6. Farrar JT, Young JP, LaMoreaux L et al.: Clinical importance of changes in chronic pain intensity measured on an 11-point numerical pain rating scale. Pain 2001; 94: 1498

7. Gerbershagen HU: Das Mainzer Stadienkonzept des Schmerzes: Eine Standortbestimmung. In: Klingler D, Morawetz R, Thoden U et al. (Hrsg): Antidepressiva als Analgetika. Aktueller Wissensstand und Therapeutische Praxis. Wien: Aarachne; 1996: 71–95

8. Göbel H, Buschmann P, Heinze A, Heinze-Kuhn K: Nutzen spezialisierter Schmerzbehandlung. Versicherungsmedizin 2000; 52: 57–65

9. Hancock MJ, Maher CG, Latimer J et al.: Sysematic review of tests as the source of low back pain. Eur Spine J 2007; 16: 1539–50

10. Jensen Hjermstad M, Fayers PM, Haugen DF et al.: Studies comparing numerical rating scales, and visual analogue scales for assessment of pain intensity in adults: A systematic literature review. Journal of Pain and Symptom Management 2011; 41: 1073–93

11. Kalichmann L, Li L, Kim DH et al.: Facet joint osteoarthritis and low back pain in the community-based population. Spine 2008; 33: 2560–65

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