Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Typische Probleme der diaphysären Verankerung bei der Hüftendoprothetik mit Standardschäften

Peter Savov, Henning Windhagen, Max Ettinger

Zusammenfassung:
Die reine diaphysäre Verankerung einer Hüftendoprothese ist trotz sehr guter Standzeiten nicht komplikationsfrei. Gerade anhaltende Schaftschmerzen sowie der proximale Knochenabbau können die Qualität der Versorgung negativ beeinflussen. Der Grund für einen Schaftschmerz ist die große Differenz zwischen dem Elastizitätsmodul des Implantats und der Kortikalis des Femurs. Gerade Patienten mit einem geringen kortikalen Index, Osteoporose und einer hohen Aktivität haben ein deutlich erhöhtes Risiko einen chronischen Schaftschmerz nach einer zementfreien Versorgung zu entwickeln. Auch modernere kürzere anatomische Schäfte können diese Art der Beschwerden bei einer ungünstigen Kombination aus Anatomie und Implantatdesign hervorrufen. Ähnlich verhält es sich mit dem Knochenabbau im proximalen Anteil des Femurs aufgrund des Stress-shieldings. Je distaler die Krafteinleitung in den Knochen, desto ausgeprägter verhält sich der proximale Knochenabbau. Jedoch spielen hierbei gerade das Design sowie die dazugehörige Femuranatomie eine entscheidende Rolle. Anatomische Schäfte konnten signifikant weniger Stress-shielding hervorrufen. Alternative Versorgungen mittels Kurzschaftprothese zeigen Vorteile sowohl in der Prävalenz des Schaftschmerzes als auch des Stress-shieldings, insbesondere im Bereich der Trochanter Major Region gegenüber klassischen Schaftprothesen. Dennoch stoßen auch diese in einigen Fällen an anatomische Grenzen. Eine Morphotyp-spezifische Versorgung sollte das oberste Ziel des Chirurgen darstellen und dabei sollten alle vorhandenen Schaftdesigns in Erwägung gezogen werden. Auch eine zementierte Versorgung sollte unter bestimmen Gesichtspunkten nicht grundsätzlich außer Acht gelassen werden.

Schlüsselwörter:
Schaftschmerz, Stress-shielding, Hüftprothese, Elastizitätsmodul

Zitierweise:
Savov P, Windhagen H, Ettinger M: Typische Probleme der diaphysären Verankerung bei der Hüftendoprothetik mit Standardschäften.
OUP 2021; 10: 52–56
DOI 10.3238/oup.2021.0052–0056

Summary: Despite good revision rates, well fixed diaphyseal femoral stems are not free of complications. Persistent thigh pain as well as proximal bone resorption influence the quality of treatment negatively. One reason for thigh pain is the difference of the elasticity modulus of the implant and the cortical bone of the femur. Patients with a low cortical index, osteoporosis and a high activity level have a significantly increased risk of developing chronic thigh pain after cementless hip arthroplasty. Even modern tapered-wedge stems cause thigh pain if anatomy and implant design do not match. Bone loss in the proximal aspect of the femur due to stress shielding is well known. The design of the implant and the corresponding femoral anatomy both play key roles. Using tapered-wedge stems leads to significantly less stress shielding. However, short stems show clear advantages in both the prevalence of thigh pain and stress shielding, particularly in the region of the greater trochanter, compared to straight or tapered-wedge stems. Nevertheless, not every anatomic variance can be covered. A morphotype-specific approach should be the surgeon‘s primary goal. This includes consideration of all available stem designs. As a general rule, cemented hip arthroplasty also has to be included during the planning.

Keywords: thigh pain, stress shielding, hip arthroplasty, elasticity modulus

Citation: Savov P, Windhagen H, Ettinger M: Typical problems of diaphyseal fixation in hip arthroplasty with standard stems. OUP 2021; 10: 52–56. DOI 10.3238/oup.2021.0052–0058

Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) im Diakovere Annastift, Hannover

Einleitung

Die operative Behandlung der Koxarthrose zählt zu den am häufigsten in Deutschland geleisteten Operationen überhaupt. Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes des Statistischen Bundesamts belegt sie im Jahr 2019 Platz 6 und wurde ca. 243.000 mal durchgeführt. Davon wurden im selben Jahr ca. 175.000 Eingriffe im deutschen Endoprothesenregister (EPRD) erfasst. Die zementfreie Versorgung stellt nach wie vor das Standardverfahren mit einem Anteil von 78,4 % dar. Der derzeitige Anteil von Kurzschaftprothesen liegt bei 10,4 %. Bei Patienten unter 54 Jahren werden knapp 25 % mit einem Kurzschaft versorgt [10]. Verglichen mit dem Vorjahr 2018 stellt dies einen leichten Anstieg von 0,7 % dar [9]. Zementfreie Standardschäfte werden somit nach wie vor von der Mehrheit der Anwender favorisiert eingesetzt. Eine Unterscheidung zwischen klassischen diaphysär verankerten Geradschaftprothesen und kürzeren anatomischen Schäften ist im EPRD nicht möglich.

Bis zu 35 % der Patienten berichten nach einer Hüftendoprothese über persistierende Beschwerden [1, 23]. Einer der Gründe stellt der anhaltende Schaft- bzw. Oberschenkelschmerz dar, welcher in der älteren Literatur mit einer Prävalenz von ca. 27 % angegeben ist [3]. Aktuelle Literatur aus dem Jahr 2019 berichtet über einen Schaftschmerz in 14,9 % der Fälle, bei einer Versorgung mit einem klassischen Geradschaft. Bei Kurzschäften liegt die Häufigkeit hingegen bei 3,3 % [19]. In den meisten Fällen besteht durch den Oberschenkelschmerz kein Analgetikabedarf, dieser kann jedoch zu einer anhaltenden Unzufriedenheit führen. Gründe für einen Schaftschmerz sind vielfältig. Nicht nur Design, Material und Größe des Implantats spielen eine wichtige Rolle, auch die Anatomie sowie die Knochenqualität des Femurs und das Aktivitätsniveau des Patienten [4]. Erste Hinweise zeigen jedoch, dass auch kürzere anatomische Schäfte bei der falschen Kombination aus Implantatdesign und Femuranatomie Schaftschmerzen verursachen können [11].

Ein weiteres bekanntes Problem der diaphysären Verankerung von zementfreien Femurimplanten ist der Knochenverlust im Bereich des proximalen Femurs. Einer der Hauptgründe hierfür ist das „Stress-shielding“. Dieses Phänomen predisponiert für periprothetische Frakturen, Implantatinstabilität und erschwerte Revisionsoperationen im Bereich des Femurs [20]. Kurzschaftprothesen sollen dieses Problem durch eine proximale Krafteinleitung adressieren und somit den Knochenabbau reduzieren. Es zeigen sich jedoch bereits Hinweise, dass analog zur Schaftschmerzsymptomatik keine so strenge Kausalität zwischen vermindertem „Stress-shielding“ und Kurzschäften besteht. Sowohl die Knochenqualität als auch die Anatomie wirken sich auf das Ausmaß des Knochenabbaus aus [20]. Es zeigt sich, dass eine zunehmende Morphotyp spezifische Versorgung in den Vordergrund rückt.

Schaftschmerz

Pathophysiologie und Risiken

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