Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Typische Probleme der diaphysären Verankerung bei der Hüftendoprothetik mit Standardschäften

Der Genese des Schaftschmerzes können unterschiedliche Faktoren zu Grunde liegen. Zunächst müssen klassische Ursachen wie Lockerung oder Frakturen ausgeschlossen werden. Insbesondere eine fehlende Primärstabilität bei zementfreier Versorgung kann zu Mikrobewegungen zwischen Implantat und Knochenoberfläche führen, welche die sekundäre biologische Fixierung mittels Knochenintegration verhindert [7]. Bei gut fixierten Implantaten basiert die Pathophysiologie des Schaftschmerzes auf dem Prinzip der unterschiedlichen Elastizitätsmodule und Steifigkeit der Materialien. Knochen hat ein deutlich geringeres Elastizitätsmodul von ca. 25 GPa im Vergleich zu Titan (110 GPa) oder Chrom-Kobalt (220 GPa) (Abb. 1). Diese Differenz führt zu einem unterschiedlichen Schwingungsverhalten der Materialien unter Belastung und somit zu einer Reizung des Endosteums und Periosteums. Im Bereich des größten Kalibersprungs kommt es zu Mikrofrakturierungen mit einer darauffolgenden Remodellierung. In diesem Zusammenhang entstehen vermehrt unmyelinisierte Nervenfasern vom Typ C und bedingen einen unklar lokalisierten, tiefen, drückenden Schmerz (Abb. 2). Dieser wird durch im Knochen befindliche Neurotransmitter wie Neuropeptid P und „calcitonin gene-related peptide“ sensorisch vermittelt [2, 21]. Somit kann das verwendete Implantat das Risiko für einen anhaltenden Schaftschmerz signifikant beeinflussen.

Moderne Implantate bestehen aufgrund des niedrigeren Elastizitätsmoduls vorwiegend aus Titan (Ti-6Al-4V). In älteren Studien konnte eine signifikante Überlegenheit gegenüber Chrom-Kobalt-Schäften nachgewiesen werden [4]. Begleitend dazu existiert eine positive Korrelation zwischen Implantatgröße und Schaftschmerz. Durch eine erhöhte Steifigkeit aufgrund vermehrten Schaftvolumens wird eine größere Differenz im Elastizitätsmodul hervorgerufen [22]. Analog dazu besteht eine negative Korrelation zur präoperativen Dicke der Kortikalis sowie der Knochenqualität. Osteoporose Patienten stehen hier ganz besonders im Fokus [4]. Um die genannten Probleme zu reduzieren sind im Verlauf kürzere anatomische Schäfte mit verschiedenen Designs entwickelt worden. Durch eine Proximalisierung der Krafteinleitung sollten Komplikationen vermieden werden.

Alternative Versorgungen

Jedoch können auch modernere kürzere Schäfte in verschiedenen Situationen Beschwerden verursachen. Die Kombination eines solchen Schaftes mit einer Dorr Typ C Anatomie zeigt ein ca. 15-fach erhöhtes Risiko für Schaftschmerzen. Ursache hierfür ist das Missverhältnis zwischen Implantatdicke und Kortikalis. Weiterhin besteht ein Zusammenhang mit der Lokalisation sowie Größe der kortikalen Kontaktfläche der Prothese und der Genese von Schmerz. Zum einen erhöht sich das Beschwerderisiko bei einem isolierten Kontakt der Schaftspitze mit der Kortikalis. Dies tritt insbesondere bei einer varischen Position oder einem vermehrten anterioren Tilt des Implantats auf [11]. Zum anderen zeigen Patienten mit vorhandenen Schaftschmerzen eine deutlich geringe Kontaktfläche im Bereich der Gruen Zone 2 und einen vermehrten Kontakt in der Gruen Zone 5 [25]. Sowohl im Rahmen der präoperativen Planung als auch während der intraoperativen Umsetzungen sollten die anatomischen Begebenheiten beachtet werden.

Im Vergleich dazu konnten für Kurzschaftprothesen radiologisch auffällige Hypertrophien der Kortikalis nicht mit einem Schaftschmerz assoziiert werden. Zwar zeigten in einer aktuellen Studie aus 2020 drei Viertel aller Patienten eine kortikale Hypertrophie im Bereich der Gruen Zone 3 und die Hälfte der Patienten eine Hypertrophie in der Gruen Zone 5, dies führte jedoch nicht zu einer vermehrten Inzidenz von anhaltenden Beschwerden im Bereich des Oberschenkels [5]. Diese Ergebnisse bestätigten die Resultate einer Heidelberger Arbeitsgruppe aus 2019, welche ebenfalls keinen klinischen Zusammenhang zwischen den vermehrt auftretenden Hypertrophien der Kortikalis nach Kurzschaftversorgung und Schmerzen nachweisen konnten [15]. Verschiedene Quellen bestätigen das signifikant geringe Risiko für Schaftschmerzen im Falle einer Versorgung mittels Kurzschaftprothese bei vergleichbarem funktionellen Outcome [12, 14, 19].

Diagnose und Therapie

Wie bereits erwähnt, müssen zunächst klassische Ursachen für anhaltende Beschwerden wie bspw. Lockerungen, Frakturen, Weichteilirritationen, Bursitiden oder ausstrahlende Schmerzen aus der Lendenwirbelsäule überprüft werden. Die konservative Therapie sollte zunächst im Fokus stehen und über einen Zeitraum von bis zu 2 Jahren durchgeführt werden. Dazu gehören eine bedarfsgerechte medikamentöse Analgesie sowie eine Belastungsreduktion. Hayashi et al. konnten einen signifikanten Zusammenhang zwischen Schaftschmerz und einem erhöhten Aktivitätsniveau nachweisen [11]. Nach einem Zeitraum von 2 Jahren sind die Remodellierungen abgeschlossen [4]. Eine Reduktion des Schmerzes ist ab durchschnittlich 17 Monaten nicht mehr zu erwarten [16]. Befindet sich das Schmerzniveau des Patienten oberhalb seiner persönlichen Toleranzschwelle, ist über eine operative Therapie nachzudenken. Dazu stehen dem Chirurgen 2 unterschiedliche Verfahren zur Verfügung. Eine invasive Wechseloperation der festen Schaftkomponente stellt für jeden Chirurgen eine große Hemmschwelle dar. Eine Alternative ist die Implantation einer Platte (Bending Plate) oder eines allogenen Knochenstücks an die entsprechende Position des schmerzhaften Schaftes, um die vorhandenen Elastizitätsmodule anzugleichen. Das entsprechende Ungleichgewicht zwischen Implantat und Knochen wird dadurch verändert und kann zu einer sofortigen Linderung der Beschwerden führen [4, 6, 8].

Fallbeispiel 1

Der erste Fall präsentiert eine Patientin nach beidseitiger Hüftprothese (Abb. 3). Links erfolgte die Versorgung 2005. Die Patientin kam initial gut zurecht, berichtet jedoch seit jeher über intermittierende Schmerzen im Bereich des Oberschenkels im Sinne eines klassischen Schaftschmerzes. Die Beschwerden waren nach ungefähr 1 Jahr rückläufig, jedoch nie vollständig weg. Die Patientin beziffert den Schmerz auf der VAS mit 2 Punkten. Aufgrund einer fortgeschrittenen Koxarthrose der Gegenseite erfolgte im Jahr 2019 die Implantation einer Totalendoprothese rechts. Ein anatomischer Schaft ist dabei zum Einsatz gekommen. In der Nachsorgeuntersuchung, 1 Jahr postoperativ, beklagt die Patientin keine Schmerzen im rechten Hüftbereich oder im Oberschenkel. Nativradiologisch ist auf der linken Seite die kortikale Stressreaktion im Bereich des distalen Schaftanteils sowie eine begleitende Hypertrophie zu erkennen. Wird die Versorgung mit der Gegenseite verglichen, liegt die Diskrepanz zwischen Geradschaft und Femuranatomie der Patientin nahe. Diese konnte wesentlich besser mit einer anatomischen Schaftvariante behandelt werden.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4