Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Typische Probleme der diaphysären Verankerung bei der Hüftendoprothetik mit Standardschäften

Proximaler Knochenverlust

Ein bekanntes Problem der diaphysären Krafteinleitung durch Prothesenschäfte ist der proximale Knochenverlust durch das Stress-shielding. Dies führt zu einem erhöhten Risiko für aseptische Lockerungen und periprothetische Frakturen. Auch das Risiko für Komplikationen bei Revisionsoperationen steigt um 57–84 % [13]. Verschiedene Faktoren bei der Implantatswahl können dies beeinflussen. Neben Schaftmaterial und Verankerungstechnik spielen die Geometrie sowie das Design des Schaftes aktuell die wichtigste Rolle. Knutsen et al. berichten in einem Review hinsichtlich knöcherner Umbauprozesse und Knochendichte durch unterschiedliche Implantate, dass durch alle dokumentierten Designs insbesondere in den Gruen Zonen 1 und 7 der höchste Knochenverlust lokalisiert war. Press-fit verankerte gerade Schäfte zeigten dabei den größten Effekt, verglichen mit klassischen Geradschäften sowie konisch zulaufenden Schäften. Kürzere anatomische Schäfte haben für den geringsten Knochenabbau insbesondere in der Gruen Zone 1 gesorgt [18].

Da schon eine Verkürzung der Schaftlänge von konventionellen Designs eine Reduktion des Knochenabbaus bewirkt, wird von einer Überlegenheit der Kurzschaftprothesen im Zuge des proximalen Knochenverlusts gegenüber konventionellen Designs ausgegangen. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2017 von 7 randomisierten kontrollierten Studien mit 910 integrierten Patienten zeigte eine klare Tendenz für eine Reduktion des Knochenabbaus in der Gruen Zone 1, jedoch konnte keine Signifikanz nachgewiesen werden (P=0.09). Ein ähnliches Ergebnis stellte sich in der Analyse von Gruen Zone 7 dar (P=0.10). Eine Subgruppen Berechnung demonstrierte jedoch, dass Kurzschäfte vom Typ 3 nach Khanuja et al. [17] mit einer ausgeprägten lateralen Erweiterung eine deutlich höhere Knochendichte in der Gruen Zone 1 und 7 aufwiesen [24]. Gleichwohl muss darauf hingewiesen werden, dass die absolute Länge im Bereich des proximalen Femurs, in der ein Knochenabbau vonstattengeht, deutlich kleiner ist als bei konventionellen Schäften. Zusätzlich konnte in dieser Meta-Analyse nicht auf den individuellen Morphotyp des Patienten eingegangen werden. Die individuelle Anatomie des Patienten rückt mehr und mehr in den Vordergrund und beeinflusst die Schaftwahl des Chirurgen. Wie bereits im Abschnitt Schaftschmerz erwähnt, zählt dies auch für die Wahl von einer geeigneten Kurzschaftprothese hinsichtlich der Vermeidung von Knochenabbau und anderweitigen Komplikationen. Vor allem extreme Varus- und Valgusanatomien können limitierend wirken. Eine 2019 veröffentlichte FEM Analyse hat 90 verschiedene CT-basierte Femora hinsichtlich Stress-shielding nach Kurzschaftprothese untersucht [20]. Dabei wurden anatomische Parameter wie Halslänge und -dicke, femorales Offset, Anteversion und proximales Knochenvolumen sowie proximale Knochendichte analysiert. Als größter Risikofaktor konnte eine schlechte proximale Knochendichte nachgewiesen werden. Weiterhin konnte eine positive Korrelation zwischen der verwendeten Implantatgröße sowie einer vermehrt valgischen Orientierung des Schaftes detektiert werden. Dies führt indirekt zu einem Risikofaktor: Dorr Typ C Anatomien mit einem großen Markraum und kleinem kortikalem Index (Abb. 4). Die Hauptlokalisation des Stress-shielding befand sich im proximalen medialen sowie posterioren Bereich, analog zu Gruen Zonen 7 und 14. Im lateralen und anterioren Bereich des Femurs fiel das Stress-shielding deutlich geringer aus [20]. Wenngleich die präoperative Knochenqualität unabhängig der Anatomie des Patienten ist und sich so ein Stück weit aus der Kontrolle des Chirurgen entzieht, sollte es dennoch nicht außer Acht gelassen werden. Anatomische Parameter wie femorales Offset, Halsdicke und -länge sowie Anteversion scheinen in der Versorgung mit Kurzschaftprothesen keine wesentliche Rolle zu spielen.

Die Anamnese, präoperative Planung und Analyse des Morphotyps des Patienten stellen somit eine wichtige Grundlage zur bestmöglichen Vermeidung von proximalem Knochenabbau nach einer hüftendoprothetischen Versorgung dar. Kurzschaftprothesen zeigen Vorteile gegenüber klassischen Geradschäften, gleichwohl besitzt jedes einzelne Implantat individuelle Limitationen.

Fallbeispiel 2

Der zweite Fall handelt von einem 64-jährigen Patienten. Dieser erhielt 2008 eine Hüftprothesen Implantation auf der rechten Seite. Bereits intraoperativ zeigte sich laut OP Bericht eine weiche Knochensituation. Auf den Röntgenbildern zu den Kontrolluntersuchungen war bereits frühzeitig ein proximaler Knochenabbau mit einer deutlichen Zyste im Bereich des Trochanter major sowie eine Hypertrophie der Kortikalis im distalen Schaftbereich zu sehen (Abb. 5 und 6). Zunächst ist der Patient mit der Situation gut zurechtgekommen. Nach 6 Jahren stellte sich jedoch eine Lockerung des Schaftes ein und es folgte die Revisionsoperation. Aufgrund der schlechten Knochenqualität kam es intraoperativ zu einer Fraktur des Trochanter major, welcher mittels mit einer Hakenplatte refixiert wurde. In der Folge klagte der Patient über anhaltende Beschwerden im Bereich der Gesäßmuskulatur und dem Trochanter major. Der Patient ist bis zum aktuellen Zeitpunkt nicht beschwerdefrei. Eine initiale Versorgung mittels eines zementierten Schaftes oder auch einem anatomischen Implantat hätte das Ausmaß des Stress-shieldings reduziert.

Schlussfolgerung

Die reine diaphysäre Verankerung einer Hüftendoprothese ist trotz sehr guter Standzeiten nicht komplikationsfrei. Um Schaftschmerzen sowie Stress-shielding vorzubeugen, sollte insbesondere die individuelle Situation des Patienten beachtet werden. Anatomie, Vorerkrankungen wie Osteoporose und Aktivitätslevel spielen dabei eine wichtige Rolle. Eine gründliche präoperative Planung und Analyse der Kongruenz zwischen Femur und Implantat kann etwaige Komplikationen vorbeugen. Kurzschaftprothesen zeigen signifikante Vorteile gegenüber klassischen Schaftvarianten hinsichtlich Schaftschmerz und proximalen Knochenverlust. Jedoch kann nicht jede Anatomie mit aktuellen Schaftdesigns abgedeckt werden. Insbesondere Patienten mit einer geringeren präoperativen Knochendichte und einer Dorr C Femuranatomie können von einer zementierten Schaftversorgung merklich profitieren.

Interessenkonflikte:

keine angegeben

Das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie auf: www.online-oup.de.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4