Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Update – Verletzungen des Acromioclaviculargelenks

Sebastian Schmidt, Sascha Groß, Christian Fischer

Zusammenfassung:
Verletzungen des Acromioclaviculargelenks (ACG) zählen insbesondere bei jungen Männern zu den häufigsten Verletzungen der Schulter. Zahlreiche biomechanische und klinische Studien der letzten Jahre sorgten für eine weitgehende Standardisierung der Diagnostik und operativen Versorgung. Insbesondere die Bewertung der horizontalen Instabilität führte zu einer Ergänzung der Rockwood-Klassifikation. Die Standardbildgebung umfasst die bilaterale Zanca-Aufnahme mit Gewicht sowie die modifizierte Alexanderaufnahme beidseits. Ergänzend etabliert sich die Sonografie zunehmend zur dynamischen Beurteilung von horizontalen Instabilitäten. Während geringgradige ACG-Verletzungen konservativ ausreichend therapiert werden können, sollten höhergradige Verletzungen innerhalb der ersten 3 Wochen stabilisiert werden. Es werden unterschiedliche Techniken angewandt, die Versorgung sollte so anatomisch wie möglich erfolgen und sowohl die horizontale als auch vertikale Instabilität beheben, um eine Chronifizierung der Verletzung zu vermeiden. Bezüglich der verschiedenen Versorgungen scheinen minimal-invasive arthroskopisch-assistierte Techniken den offenen Verfahren überlegen zu sein. In der chronischen Situation kommen bevorzugt biologische Materialien (Allo- oder Autografts) zum Einsatz.

Schlüsselwörter:
AC-Gelenk, Instabilität, Rekonstruktion, arthroskopisch-assistiert, Stabilisierung

Zitierweise:
Schmidt S, Groß S, Fischer C: Update – Verletzungen des Acromioclaviculargelenks
OUP 2022; 11: 139–143
DOI 10.53180/oup.2022.0139-0143

Summary: Injuries of the acromioclavicular joint (ACG) are among the most common shoulder injuries, especially in young men. A large number of biomechanical and clinical studies have led to significant improvements in diagnostics and surgery in recent years. In particular, the assessment of horizontal instability came into focus, so that the existing classification according to Rockwood was supplemented. Standard imaging includes bilateral Zanca imaging with weights and a modified Alexander imaging of both sides. In addition, sonography is increasingly used for the dynamic assessment of horizontal instabilities. While low-grade ACG injuries are treated conservatively, higher-grade injuries should be stabilized within the first 3 weeks. Numerous techniques are available for treatment, but anatomy should always be restored with regard to horizontal and vertical stability to avoid persistent injury. In terms of the different types of treatment, minimally invasive arthroscopically-assisted techniques seem to be superior to open procedures. If chronic, biological augmentation with allo- and autografts is the gold standard.

Keywords: AC joint, instability, reconstruction, arthroscopically-assisted, stabilization

Citation: Schmidt S, Groß S, Fischer C: Injuries of the acromioclavicular joint
OUP 2022; 11: 139–143; DOI 10.53180/oup.2022.0139-0143

ARCUS Kliniken, Pforzheim

Anatomie und Biomechanik

Das Acromioclaviculargelenk (ACG) stellt gemeinsam mit dem Sternoclaviculargelenk (SCG) die Schlüsselverbindung zwischen der oberen Extremität und dem Rumpf dar. Die Unversehrtheit dieser Gelenke bestimmt die normale Koordination der skapulothorakalen und glenohumeralen Bewegungen. Das ACG ist ein diarthrodiales Gelenk zwischen der flachen medialen Oberfläche des Akromions und dem konvexen distalen Ende des Schlüsselbeins. Ein fibrokartilaginärer Diskus gleicht diese Inkongruenz aus. Dieser hyaline Knorpel wandelt sich bereits früh in Faserknorpel um und ist ab dem 40. Lebensjahr bereits signifikant degeneriert [1].

Ein gesundes ACG erlaubt eine Bewegung unter Belastung von bis zu 6 mm in anteriorer, posteriorer und superiorer Richtung [2], außerdem rotiert das ACG um 5–8° bei der skapulothorakalen Bewegung und um 40–50° bei der Abduktion und Elevation der Schulter [3], dynamische und statische Stabilisatoren sorgen dabei für eine ausreichende Führung. Bei den dynamischen Stabilisatoren handelt es sich anterior um den M. deltoideus und posterior um den M. trapezius [4]. Da die Gelenkkapsel sehr dünn ist, erfolgt die statische (ligamentäre) Stabilisierung vor allem über einen umspannenden akromioclaviculären (AC) Bandkomplex und die coracoclaviculären (CC)- Ligamente.

Der AC-Bandkomplex stabilisiert die anteroposteriore Translation [2, 5], bei einer vollständigen Durchtrennung der AC-Bänder übernehmen die CC-Bänder teilweise die anteroposteriore Stabilisierung [2, 5]. Die CC-Bänder sind primär für die vertikale Stabilität des AC-Gelenks verantwortlich. Dazu gehören das Ligamentum conoideum (anteromedial) und das Ligamentum trapezoideum (posterolateral) [6].

Epidemiologie

9 % aller Schulterverletzungen betreffen das ACG [7], wobei die Dunkelziffer vor allem niedriggradiger Verletzungen des ACG höher liegt. Typischerweise sind Männer (Verhältnis 8:1) in der zweiten bis dritten Lebensdekade betroffen [4]. Die Verletzungsprävalenz ist bei Kontaktsportarten wie Fußball, American Football, Hockey oder Alpinski deutlich erhöht [7–9]. Der Verletzungsmechanismus kann sowohl direkt als auch indirekt sein. Ein direktes Trauma wird durch einen senkrecht nach oben gerichteten Aufprall auf den seitlichen Teil der Schulter verursacht, der das AC-Gelenk in eine inferiore Richtung drückt [9]. Im Gegensatz dazu entsteht ein indirektes Trauma meist durch einen Sturz auf den adduzierten und ausgestreckten Arm, bei dem der Oberarmkopf in den unteren Teil des Schulterdaches und das Gelenk selbst gedrückt wird. Der Schweregrad dieses Traumas steht in direktem Zusammenhang mit der Kraft des Aufpralls [10]. Mit zunehmender Gewalteinwirkung kommt es zunächst zum Zerreißen der akromioclaviculären Strukturen und zur Lastübernahme durch die CC-Ligamente. Führt der Verletzungsmechanismus zu einer vollständigen Ruptur der Stabilisatoren ist eine Kaudalisierung der Scapula und der oberen Extremität in Relation zur Clavicula die Folge (scheinbarer Claviculahochstand) [11].

Klassifikation

Verletzungen der ACG-Stabilisatoren wurden ursprünglich von Tossy et al. [12] in I, II und III eingeteilt. Rockwood et al. erweiterten diese Klassifizierung um die Typen IV, V und VI [13], dies sollte die Verletzungsschwere der kapsulären und extrakapsulären Bänder sowie der Muskulatur besser abbilden. Die Rockwood-Klassifikation stellt heute den Standard akuter und chronischer AC-Gelenksverletzungen dar (Tab. 1). Beide Klassifikationen fokussieren sich jedoch hauptsächlich auf die vertikale Komponente der Verletzungen. Um gleichzeitig auftretende horizontale Instabilitäten, welche mit schlechterem funktionellen Ergebnis assoziiert sind, besser abzubilden, wurde die bestehende Klassifikation von der ISAKOS (International Society of Arthroscopy, Knee Surgery and Orthopaedic Sports Medicine) um eine Subklassifikation erweitert: Typ IIIa (horizontal stabil) und Typ IIIb (horizontal instabil) [14].

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