Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Update – Verletzungen des Acromioclaviculargelenks

Aufgrund der dynamischen posterioren Translationen (DPT) bei geringgradigen ACG-Verletzungen schlugen Kraus et al. 2018 eine Vereinfachung vor: Typ I beschreibt eine partielle vertikale Instabilität (CC-Abstand < 30 % im Seitvergleich) mit (a) oder ohne/partielle (b) Horizontalinstabilität, gemessen anhand der Überlappung von Clavicula und Akromion in der Alexander-Aufnahme. Typ II weist eine komplette vertikale Instabilität (CC-Abstand > 30 % im Seitvergleich) mit (a) und ohne/partielle (b) Horizontalinstabilität auf [15].

Diagnostik

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung beinhaltet die Untersuchung der Gegenseite, häufig kann inspektorisch neben Hämatomen bereits eine Stufenbildung vorliegen (Abb. 1). Diese bestätigt sich bei der Palpation der Clavicula mit vermehrter vertikaler Translation (Klaviertastenphänomen). Eine horizontale Instabilität kann im Seitenvergleich mittels Horizontal-Adduktions-Test (auch Cross-over-Test) festgestellt werden [11]. Klinisch kann sich eine Typ V- von einer Typ III-Verletzung durch eine fehlende Reposition beim Schulterzucken unterscheiden (shrug test). Bei intakter, deltotrapezoidaler Faszie ist die Reposition meist noch möglich. Umgekehrt kann die Durchspießung der Clavicula durch die Faszie wie durch ein „Knopfloch“ die Reposition verhindern. Typ IV-Verletzungen können mit SCG-Luxationen vergesellschaftet sein, daher empfiehlt sich außerdem die Untersuchung des angrenzenden Gelenks. In der chronischen Situation kann eine Skapuladyskinesie mit gestörtem skapulothorakalem Rhythmus (SICK-Scapula-Syndrom) bestehen.

Röntgen

Nativradiologische Aufnahmen sind der diagnostische Goldstandard bei Verletzungen des ACG [4, 6, 16, 17]. Routinemäßig werden bilaterale Zanca-Aufnahmen mit 5–10 kg Gewicht zur Beurteilung der vertikalen Instabilität (gemessener CC-Abstand im Seitenvergleich) durchgeführt (Abb. 2). Auf eine Panoramaaufnahme sollte aus Strahlenschutzgründen verzichtet werden. Ergänzend wird die modifizierte Alexanderaufnahme beidseits durchgeführt, der Patient umgreift die kontralaterale Schulter mit der Hand der verletzten Seite (Abb. 3, 4). Der resultierende Adduktionsstress führt zum Verschieben des lateralen Claviculaendes nach posterosuperior im Sinne einer dynamischen posterioren Translation. Unterschieden wird eine partielle Translation mit teilweiser Überlappung der lateralen Clavicula und des Akromions von einer instabilen vollständigen Translation mit fehlender Überlappung [18]. Die Ausprägung der horizontalen Instabilität in der Alexanderaufnahme ist assoziiert mit schlechterer Funktionalität nach akuten AC-Gelenksverletzungen.

Weitere Bildgebung

Die Magnetresonanztomografie (MRT) nimmt im Rahmen der akuten ACG-Verletzungen eher eine untergeordnete Rolle ein und wird routinemäßig nicht empfohlen. Bei Verdacht auf Begleitverletzungen und in chronischen Situationen ist eine ergänzende MRT jedoch häufig sinnvoll.

Die Computertomografie (CT) findet in der Primärsituation nur bei Verdacht auf Frakturen (z.B. des Coracoids oder Glenoids) Anwendung, häufiger in Revisionssituationen zur Beurteilung bereits vorhandener Bohrkanäle.

Die Sonografie des ACG ermöglicht eine schnelle, kostengünstige und dynamische Beurteilung der (peri)artikulären Strukturen. Der horizontale und vertikale Versatz des ACG kann direkt dargestellt und vermessen werden, zudem finden sich Gelenkergüsse sowie Kapsel- und Faszienzerreißungen. Die Sonografie ermöglicht eine genauere Unterscheidung zwischen Rockwood Typ III- und Typ V-Verletzungen und eine Einschätzung der dynamischen horizontalen Instabilität [15, 19, 20]. Zusätzlich kann die Untersuchung weiterer Strukturen erfolgen, während die klinische Untersuchung schmerzbedingt häufig nur eingeschränkt möglich ist.

Indikationsstellung

Verletzungen Typ I und Typ II nach Rockwood werden üblicherweise konservativ behandelt mit einer kurzen Phase der Ruhigstellung im Gilchrist (1–2 Wochen), um die Belastung auf die Bänder des ACG zu reduzieren. Begleitend kann eine bedarfsgerechte Analgesie und Kryotherapie erfolgen (3–7 Tage). Innerhalb der ersten Woche beginnen Patienten mit unbelasteten Bewegungsübungen, im weiteren Verlauf werden skapulastabilisierende Übungen in Kombination mit isometrischem Muskeltraining durchgeführt. Nach 6 Wochen kann mit Kraftübungen zum Auftrainieren der dynamischen ACG-Stabilisatoren begonnen werden [14, 17]. Meist ist mit einer Rehabilitationsdauer von 6–12 Wochen zu rechnen.

Im Gegensatz dazu existieren verschiedene Empfehlungen für Typ III-Verletzungen. Es sollte eine differenzierte Einschätzung von Funktionsanspruch, aktuellem Funktionsdefizit, Schmerzen, patientenindividueller Präferenz und Komorbiditäten erfolgen. Alter, Geschlecht und Handdominanz spielen dabei eher eine untergeordnete Rollte. Bei Typ IIIa-Verletzungen ohne horizontale Instabilität kann eine konservative Therapie versucht werden, wohingegen Patienten mit einer Typ IIIb-Verletzung mit horizontaler Komponente aufgrund des schlechten funktionellen Resultats eher von einer frühen operativen Versorgung profitieren [6, 14]. Generell empfiehlt sich bei konservativem Vorgehen nach 2 Wochen eine Reevaluation, um das ideale Zeitfenster einer operativen Versorgung nicht zu verpassen.

Für höhergradige Verletzungen ab Typ IV nach Rockwood besteht europaweit mehrheitlich Einigkeit über eine operative Versorgung aufgrund der erhöhten Morbidität bei anhaltender Luxation und Weichteilverletzungen. Im Vergleich dazu erfolgt in den USA häufig auch bei höhergradigen Verletzungen ein initial konservatives Vorgehen und nur bei Therapieversagen wird zur Stabilisierung ein biologisches Augmentationsverfahren angewandt. Hintergrund ist u.a. die deutlich bessere Verfügbarkeit von Allografts [6, 17].

Chronische ACG-Instabilitäten entstehen meist aus unterschätzten, unbehandelten oder übersehenen ACG-Verletzungen oder dem Scheitern von konservativen bzw. operativen Therapien. Die meisten dieser Patienten weisen eine Skapuladyskinesie bis hin zum „SICK-Scapula-Syndrom“ auf. Aus diesem Grund wird zunächst eine konservative Therapie mit gezieltem Skapulatraining über mindestens 3 Monate empfohlen. Bei ausbleibender Besserung der Beschwerden besteht eine OP-Indikation [17, 21].

Operative Behandlung
akuter Instabilitäten

Die operative Versorgung akuter ACG-Verletzungen sollte zeitnah innerhalb von max. 3 Wochen während der inflammatorischen Heilungsphase erfolgen [22], um eine anschließende Heilung der Bänder und ein besseres Ergebnis zu erreichen. Essentiell für den Therapieerfolg ist dabei die Stabilisierung in allen Ebenen. Aktuell sind in der Literatur mehr als 160 verschiedene Operationsmethoden beschrieben, bei denen offene und arthroskopisch-assistierte Verfahren unterschieden werden [17].

Offene Techniken

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