Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017
Vaskularisierte Hybrid-Patellarekonstruktion nach totaler Patellektomie*
In einer ersten Operation wurde der Gleitflächensockel des oben genannten Patellaersatzsystems in die posteriore Facette der linken Skapulaspitze eingesetzt. Hierzu mussten die Mm. infraspinatus und teres major teilweise von der Skapula abgelöst werden. Auf den Erhalt der Gefäßäste des die Skapulaspitze versorgenden R. angularis der A. thoracodorsalis wurde geachtet. Die Prothesenfixierung erfolgte nach sphärischer Fräsung der Sockelaufnahme (Abb. 1) mit 1,5 mm Titanschrauben (Medartis, Basel, Schweiz, Abb. 2). Die später zu zementierende Kontaktfläche für das eigentliche Gleitflächenonlay wurde zum Schutz mit einem Silikonsheet abgedeckt und die Muskeln refixiert.
Sechs Wochen später erhielt die Patientin eine Knietotalendoprothese über einen anterioren Standardzugang (Zimmer NexGen LPS-flex Legacy Stabilized Total Knee Prosthesis, Zimmer Biomet, Warsaw, IN). Eine klassische Rehabilitationsbehandlung, wie nach Knie-TEP üblich, schloss sich an.
Drei Monate später erfolgte der letzte Schritt der Patellarekonstruktion: Über den alten Zugang wurde die rechte Skapulaspitze in den Dimensionen des patellären STL-Modells mit dem darin solide osteointegrierten Prothesensockel als knöchern-prothetischer Hybridlappen am Ramus angularis der A. thoracodorsalis aus der Skapula osteotomiert (Abb. 3–4). Die Titanschrauben wurden entfernt (Abb. 5) und die Polyethylengleitfläche des Patellaprothesensystems wie vom Hersteller vorgegeben auf die Aufnahmefläche nach Entfernung des Silikonsheets mit handelsüblichem chirurgischem Methacrylatzement (PMMA) zementiert. Serratus, infraspinatus, subscapularis und Teres-major-Muskeln wurden über Bohrlöcher an der verbleibenden Skapula refixiert, wie auch nach Entnahme des klassischen Skapulatransplantats üblich. Der Kniestreckapparat wurde im alten Prothesenzugang paramedian geöffnet und der Hybridlappen korrekt orientiert und in der richtigen Höhe zum Tibiaplateau mit 0-er PDS-Marionettennähten im Gelenk unter der Sehne fixiert (Abb. 6). Der Kniestreckapparat (Qu adrizeps-/Patellasehne) wurde anschließend mit 0-er nichtresorbierbaren Nähten verschlossen. Hierbei wurde ein kleine, 1 cm große Lücke zur Durchführung des Gefäßstiels freigelassen. Die mikrochirurgische Revaskularisation erfolgte nach subkutaner Durchführung direkt an die zuvor freipräparierten Vasa genicularia descendens. Postoperatives Monitoring erfolgte mittels Dopplerkontrolle. Das linke Knie wurde für 6 Wochen in einem Kletttutor ruhiggestellt. Die Patientin durfte jedoch mit Fußsohlenkontakt und 20 kg Teilbelastung an Unterarmgehstützen mobilisiert werden.
Sechs Monate später lief die Patientin in Vollbelastung ohne Gehhilfen, konnte Treppen steigen und hatte ein freies aktives Bewegungsausmaß. Die klinische und radiologische Nachkontrolle zeigte eine stabile Einheilung des Transplantats an die Kniegelenkstrecksehne und vitalen Skapulaknochen um den Prothesensockel ohne Resorptionszeichen (Abb. 7–8).
Diskussion
Die Morbidität nach totaler Patellektomie ist häufig hoch. Das Integument und die ligamentären Strukturen sind aufgrund der initialen Ursache oder der vorangehenden Operationen erheblich kompromittiert, und gut durchblutetes Gewebe wäre für eine Patellarekonstruktion optimal. Jedoch ist die Lokalisation relativ weit von eventuellen mikrovaskulären Empfängergefäßen gelegen, was einen langen Gefäßstiel erforderlich macht. Zudem ist jede Art der Patellarekonstruktion einer erheblichen mechanischen Belastung ausgesetzt, was bei der Konstruktion eines delikaten mikrovaskulären Transplantats berücksichtigt werden muss. Dennoch überwiegen die Vorteile vaskularisierter Knochentransplantate gegenüber nicht-vaskularisierten Optionen auch hier: Sie sind weniger anfällig für Infektionen, können mitwachsen und sich in Form und Masse an die mechanische Belastung anpassen, werden nicht resorbiert und heilen primär und damit schnell ein.
Die Entscheidung, die Rekonstruktion der vaskularisierte Hybrid-Patella sequenziell durchzuführen, wurde aufgrund folgender Überlegungen getroffen:
- a) Das optimale Knochentransplantat wurde nach Länge des Gefäßstiels und Knochenvolumen ausgewählt. Die Skapulaspitze kann über den R. angularis an einem sehr langen Gefäßstiel gehoben werden [7, 11]. Für das ausgewählte patellare Prothesensystem wird mindestens 8 mm Knochendicke für eine solide Verankerung vom Hersteller empfohlen, was auch in der Skapulaspitze gegeben war. Das STL-Modell und die CT-Bildgebung von Knie und Skapula halfen in der Entscheidung, den richtigen Spenderort für das Knochentransplantat auszuwählen. Eine Alternative zur Skapula könnte das vaskularisierte Beckenkammtransplantat (DCIA Lappen) sein, aber dessen kürzerer Gefäßstiel und die sehr viel höhere Hebestellenmorbidität ließen die Schulterregion bevorzugt erscheinen.
- b) Eine mehrzeitige Operationsabfolge war insbesondere für eine solide Osteointegration des Prothesensockels vor dem mikrovaskulären Transfer notwendig: Die den Sockel fixierenden Schrauben mussten vor der Aufzementierung der Gleitfläche wieder entfernt werden – danach ist dies technisch nicht mehr möglich. Zudem sollte der Einbau der Kniegelenkprothese nicht durch eine simultane mikrovaskuläre Transplantation beeinträchtigt werden und umgekehrt. Weiters ist eine sofortige rehabilitative Physiotherapie nach einem prothetischen Kniegelenkersatz heute Standard, wäre aber nach einer gleichzeitigen mikrovaskulären intraartikulären Transplantatplatzierung viel zu risikoreich.
- c) Im Gegensatz zu anderen bisher beschriebenen Methoden wählten wir eine Platzierung des Hybridlappens unter die Patellarsehne, nicht in die Patellarsehne (in einem Schlitz). Die Überlegung war, dass somit jede aktive und passive Kniebewegung das Transplantat an die Sehne presst und dadurch optimale Heilungsvoraussetzungen schafft – ohne Gefahr der Transplantatdislokation durch den Schlitz. Möglicherweise ist die postoperative Ruhigstellungszeit von 6 Wochen im Kletttutor eher lange und kann zukünftig möglicherweise etwas verkürzt werden.
- d) Die Montage der Gleitfläche auf dem in die Skapula implantierten Sockel kann theoretisch bereits während der ersten Operation durchgeführt werden. Aufgrund der spitzen Geometrie der Polyäthylengleitfläche fürchteten wir jedoch die mechanische Irritation des Integuments, Pseudobursabildung und Schmerzen beim Patienten während der Einheilungszeit. Zudem stellt sich auch dann das Problem der Entfernung der fixierenden Mini-Schrauben. Eine spätere Dislokation eines Schräubchens aus dem Hybridlappen und damit die Möglichkeit einer intraartikulären Dislokation zum freien Fremdkörper war uns zu risikoreich.