Übersichtsarbeiten - OUP 05/2014

Vaskularisierte ossäre und osteokartilaginäre Transplantate am Handgelenk: Ein Update

G.A. Giessler1, H. Engel1

Zusammenfassung: Die hohe osteogene Potenz vaskularisierter Knochentransplantate ist der Hauptgrund für Ihren Einsatz in komplexen Fällen von Pseudarthrosen, fehlgeschlagenen Rekonstruktionsversuchen und avaskulären
Knochennekrosen am Handgelenk. Hierzu standen dem Handchirurgen bisher überwiegend gefäßgestielte Transplantate aus der Mittelhand, dem Os pisiforme sowie dem distalen Radius zur Verfügung. Mit der routinemäßigen Einführung mikrochirurgischer Techniken kamen vaskularisierte Beckenkammtransplantate hinzu. Diese führten zu einer
hohen Erfolgsrate in der Therapie oben genannter Pathologien. Aufgrund einer nicht unerheblich hohen Komplikationsrate der Hebestelle wurde in den letzten Jahren dieses Transplantat nahezu völlig aufgegeben und durch ausgefeilte Knochentransplantate aus der medialen Femurkondyle ersetzt. Diese Transplantate haben den Vorteil dass sie, in einer osteochondralen Variante entnommen, auch zur Wiederherstellung gelenktragender Skelettkomponenten dienen können. Hinzu kommt eine deutlich niedrigere Hebemorbidität. Die Indikationen, operative Technik, und Resultate der aktuell empfohlenen gestielten und der neuen freien vaskularisierten Knochentransplantate werden im Folgenden näher erläutert und zusammengefasst.

Schlüsselwörter: Handgelenk, Lunatumnekrose, Skaphoidpseudarthrose, mediale Femurkondyle, vaskularisierte Knochentransplantation

Zitierweise
Giessler GA, Engel H. Vaskularisierte ossäre und osteokartilaginäre Transplantate am Handgelenk: Ein Update.
OUP 2014; 5: 213–219. DOI 10.3238/oup.2014.0213–0219

Abstract: The use of vascularized bone transplants in recalcitrant pseudarthroses, unsuccessful reconstructive attempts and avascular bone necrosis at the wrist is mainly due to their high osteogenic potency. Up to now, the hand surgeon could rely on an armamentarium of elaborate pedicled bone grafts with various technical demands from the metacarpalia, the pisiform or the distal radius. As microsurgical techniques evolved rapidly, revascularized iliac crest transplants were integrated into hand surgery as well. If performed by an experienced surgeon, good results were achieved in the treatment of the abovementioned pathologies. Due to their high complication rate at their donor site, the iliac crest was now replaced by sophisticated medial femoral condyle transplants, which could be even harvested in an osteochondral subtype to reconstruct joint surfaces at the wrist. The medial femoral condyle offers a much lower donor site morbidity than the iliac crest. The indications, operative techniques and results of the pedicled and free microvascular bone transplants that are currently recommended at the wrist are discussed and summarized.

Keywords: wrist, avascular necrosis of the lunate, scaphoid pseudarthrosis, medial femoral condyle, vascularized bone transplantation

Citation
Giessler GA, Engel H. Vascularized osseous and osteocartilaginous transplants at the wrist: an update.
OUP 2014; 5: 213–219. DOI 10.3238/oup.2014.0213–0219

Einleitung

Die überlegene Heilungspotenz vaskularisierter Knochentransplantate gegenüber avaskulären Knochentransplantationen ist in allen skelettal-chirurgischen Fachdisziplinen seit Langem bekannt. Jedoch sollte gegenüber avaskulären Knochenblöckchen aus Radius, Tibia oder Beckenkamm immer der wesentlich höhere Dissektionsaufwand und die gelegentlich höhere Hebemorbidität von vaskulären Transplantaten abgewogen werden. Des Weiteren ist für eine freie Transplantation mikrochirurgische Expertise unentbehrlich. In der Handchirurgie mit ihren oft relativ kleinen Knochentransplantaten haben Rekonstruktionen mit vaskularisierten Transplantaten daher traditionell eine relativ enge Indikationsstellung:

  • a. fehlgeschlagene Rekonstruktionsversuche nach direkter Osteosynthese oder avaskulären Knochentransplantaten,
  • b. primär avaskuläre Knochenfragmente bei ungünstigem Frakturverlauf,
  • c. avaskuläre Knochennekrosen (z.B. Morbus Kienböck oder Morbus Preiser).

Aufgrund der im Regelfall hervorragenden Vaskularisation der Hand wurden dafür eine Vielzahl von gestielten vaskularisierten Knochentransplantaten beschrieben, welche von den Metakarpalia, vom Os pisiforme oder vom distalen Radius formgerecht an Muskeln oder Gefäßen gestielte Knochenblöcke in den entsprechenden Defekt eingepasst wurden. Meist waren die Knochen der proximalen Handwurzelreihe betroffen. Dieses Vorgehen war nun den früher beschriebenen reinen „Implantationen“ von singulären Arterien, Venen oder Gefäßstielen zur Vaskularisationssteigerung in die betroffenen Carpalia bereits deutlich überlegen.

Als problematisch stellte sich jedoch heraus, dass regelhaft die Gefäßstiele zu diesen Transplantaten von der Hand oder dem distalen Radius bereits durch Voroperationen mit anderen Indikationen (z.B. Spaltung des 1. Strecksehnenfachs bei einer Tenosynovitis de Quervain), durch vorausgegangene Rekonstruktionsversuche oder durch Begleitverletzungen nicht mehr zur Verfügung standen. Zudem wurde der Knochen der Hebestelle (Metacarpale 2 oder Radius) mit der Entnahme der Transplantate regelhaft empfindlich geschwächt. Die Entwicklung freier Transplantate für die oben genannten handchirurgischen Probleme brachte jedoch neues, gut durchblutetes Gewebe in den Defekt und erlaubte damit oft die erfolgreiche Rettung sonst aussichtsloser Fälle. Die Weiterentwicklung dieser Transplantate stellt heute einen faszinierenden Teil der modernen Handchirurgie dar, welche im Folgenden nach einer Zusammenfassung der heute noch üblichen gestielten Transplantate detailliert beschrieben wird. Mikrochirurgische Routine ist dabei für einen sicheren klinischen Einsatz unabdingbar, da die Gefäßstieldurchmesser oft sehr klein sind.

Gestielte vaskularisierte
Knochentransplantate

Da sich karpale Knochendefekte im Wesentlichen auf posttraumatische oder avaskuläre Knochendefekte des Skaphoids oder des Lunatums beschränken, wurden aus den umgebenden Regionen diverse gestielte Knochentransplantate beschrieben, deren Rotationsradius ausreicht, um ein vaskularisiertes Knochensegment in die proximale Handwurzelreihe einzusetzen.

Vornehmlich aus den Metakarpalia 1 und 2 können an den dorsalen intermetakarpalen Gefäßbündeln gestielte meta-diaphysäre Transplantate gewonnen werden, welche erfolgreich zur Kahnbeinrekonstruktion und Lunatumrevaskularisation verwendet wurden [1, 2, 3, 4, 5]. Meist wurden Sie ähnlich einem Matti-Russe-Span in das Kahnbein eingesetzt [2], jedoch ist auch eine Rekonstruktion des gesamten Querschnitts des Kahnbeins nach Pseudarthrose ähnlich einer Operation nach Fernandez-Fisk beschrieben [1]. Geometrische und strukturelle Unterschiede der Transplantate gegenüber den zu rekonstruierenden Defekten sind allerdings ein wesentlicher Nachteil dieser Methode. Regelmäßig ist zudem durch Voroperationen das für eine proximale Stielung der Knochentransplantate notwendige Rete carpale dorsale nicht mehr intakt. Der Hebedefekt schwächt zudem die Metakarpalia nach einer großen Transplantatentnahme nicht unwesentlich.

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