Übersichtsarbeiten - OUP 05/2014

Vaskularisierte ossäre und osteokartilaginäre Transplantate am Handgelenk: Ein Update

G.A. Giessler1, H. Engel1

Zusammenfassung: Die hohe osteogene Potenz vaskularisierter Knochentransplantate ist der Hauptgrund für Ihren Einsatz in komplexen Fällen von Pseudarthrosen, fehlgeschlagenen Rekonstruktionsversuchen und avaskulären
Knochennekrosen am Handgelenk. Hierzu standen dem Handchirurgen bisher überwiegend gefäßgestielte Transplantate aus der Mittelhand, dem Os pisiforme sowie dem distalen Radius zur Verfügung. Mit der routinemäßigen Einführung mikrochirurgischer Techniken kamen vaskularisierte Beckenkammtransplantate hinzu. Diese führten zu einer
hohen Erfolgsrate in der Therapie oben genannter Pathologien. Aufgrund einer nicht unerheblich hohen Komplikationsrate der Hebestelle wurde in den letzten Jahren dieses Transplantat nahezu völlig aufgegeben und durch ausgefeilte Knochentransplantate aus der medialen Femurkondyle ersetzt. Diese Transplantate haben den Vorteil dass sie, in einer osteochondralen Variante entnommen, auch zur Wiederherstellung gelenktragender Skelettkomponenten dienen können. Hinzu kommt eine deutlich niedrigere Hebemorbidität. Die Indikationen, operative Technik, und Resultate der aktuell empfohlenen gestielten und der neuen freien vaskularisierten Knochentransplantate werden im Folgenden näher erläutert und zusammengefasst.

Schlüsselwörter: Handgelenk, Lunatumnekrose, Skaphoidpseudarthrose, mediale Femurkondyle, vaskularisierte Knochentransplantation

Zitierweise
Giessler GA, Engel H. Vaskularisierte ossäre und osteokartilaginäre Transplantate am Handgelenk: Ein Update.
OUP 2014; 5: 213–219. DOI 10.3238/oup.2014.0213–0219

Abstract: The use of vascularized bone transplants in recalcitrant pseudarthroses, unsuccessful reconstructive attempts and avascular bone necrosis at the wrist is mainly due to their high osteogenic potency. Up to now, the hand surgeon could rely on an armamentarium of elaborate pedicled bone grafts with various technical demands from the metacarpalia, the pisiform or the distal radius. As microsurgical techniques evolved rapidly, revascularized iliac crest transplants were integrated into hand surgery as well. If performed by an experienced surgeon, good results were achieved in the treatment of the abovementioned pathologies. Due to their high complication rate at their donor site, the iliac crest was now replaced by sophisticated medial femoral condyle transplants, which could be even harvested in an osteochondral subtype to reconstruct joint surfaces at the wrist. The medial femoral condyle offers a much lower donor site morbidity than the iliac crest. The indications, operative techniques and results of the pedicled and free microvascular bone transplants that are currently recommended at the wrist are discussed and summarized.

Keywords: wrist, avascular necrosis of the lunate, scaphoid pseudarthrosis, medial femoral condyle, vascularized bone transplantation

Citation
Giessler GA, Engel H. Vascularized osseous and osteocartilaginous transplants at the wrist: an update.
OUP 2014; 5: 213–219. DOI 10.3238/oup.2014.0213–0219

Einleitung

Die überlegene Heilungspotenz vaskularisierter Knochentransplantate gegenüber avaskulären Knochentransplantationen ist in allen skelettal-chirurgischen Fachdisziplinen seit Langem bekannt. Jedoch sollte gegenüber avaskulären Knochenblöckchen aus Radius, Tibia oder Beckenkamm immer der wesentlich höhere Dissektionsaufwand und die gelegentlich höhere Hebemorbidität von vaskulären Transplantaten abgewogen werden. Des Weiteren ist für eine freie Transplantation mikrochirurgische Expertise unentbehrlich. In der Handchirurgie mit ihren oft relativ kleinen Knochentransplantaten haben Rekonstruktionen mit vaskularisierten Transplantaten daher traditionell eine relativ enge Indikationsstellung:

  • a. fehlgeschlagene Rekonstruktionsversuche nach direkter Osteosynthese oder avaskulären Knochentransplantaten,
  • b. primär avaskuläre Knochenfragmente bei ungünstigem Frakturverlauf,
  • c. avaskuläre Knochennekrosen (z.B. Morbus Kienböck oder Morbus Preiser).

Aufgrund der im Regelfall hervorragenden Vaskularisation der Hand wurden dafür eine Vielzahl von gestielten vaskularisierten Knochentransplantaten beschrieben, welche von den Metakarpalia, vom Os pisiforme oder vom distalen Radius formgerecht an Muskeln oder Gefäßen gestielte Knochenblöcke in den entsprechenden Defekt eingepasst wurden. Meist waren die Knochen der proximalen Handwurzelreihe betroffen. Dieses Vorgehen war nun den früher beschriebenen reinen „Implantationen“ von singulären Arterien, Venen oder Gefäßstielen zur Vaskularisationssteigerung in die betroffenen Carpalia bereits deutlich überlegen.

Als problematisch stellte sich jedoch heraus, dass regelhaft die Gefäßstiele zu diesen Transplantaten von der Hand oder dem distalen Radius bereits durch Voroperationen mit anderen Indikationen (z.B. Spaltung des 1. Strecksehnenfachs bei einer Tenosynovitis de Quervain), durch vorausgegangene Rekonstruktionsversuche oder durch Begleitverletzungen nicht mehr zur Verfügung standen. Zudem wurde der Knochen der Hebestelle (Metacarpale 2 oder Radius) mit der Entnahme der Transplantate regelhaft empfindlich geschwächt. Die Entwicklung freier Transplantate für die oben genannten handchirurgischen Probleme brachte jedoch neues, gut durchblutetes Gewebe in den Defekt und erlaubte damit oft die erfolgreiche Rettung sonst aussichtsloser Fälle. Die Weiterentwicklung dieser Transplantate stellt heute einen faszinierenden Teil der modernen Handchirurgie dar, welche im Folgenden nach einer Zusammenfassung der heute noch üblichen gestielten Transplantate detailliert beschrieben wird. Mikrochirurgische Routine ist dabei für einen sicheren klinischen Einsatz unabdingbar, da die Gefäßstieldurchmesser oft sehr klein sind.

Gestielte vaskularisierte
Knochentransplantate

Da sich karpale Knochendefekte im Wesentlichen auf posttraumatische oder avaskuläre Knochendefekte des Skaphoids oder des Lunatums beschränken, wurden aus den umgebenden Regionen diverse gestielte Knochentransplantate beschrieben, deren Rotationsradius ausreicht, um ein vaskularisiertes Knochensegment in die proximale Handwurzelreihe einzusetzen.

Vornehmlich aus den Metakarpalia 1 und 2 können an den dorsalen intermetakarpalen Gefäßbündeln gestielte meta-diaphysäre Transplantate gewonnen werden, welche erfolgreich zur Kahnbeinrekonstruktion und Lunatumrevaskularisation verwendet wurden [1, 2, 3, 4, 5]. Meist wurden Sie ähnlich einem Matti-Russe-Span in das Kahnbein eingesetzt [2], jedoch ist auch eine Rekonstruktion des gesamten Querschnitts des Kahnbeins nach Pseudarthrose ähnlich einer Operation nach Fernandez-Fisk beschrieben [1]. Geometrische und strukturelle Unterschiede der Transplantate gegenüber den zu rekonstruierenden Defekten sind allerdings ein wesentlicher Nachteil dieser Methode. Regelmäßig ist zudem durch Voroperationen das für eine proximale Stielung der Knochentransplantate notwendige Rete carpale dorsale nicht mehr intakt. Der Hebedefekt schwächt zudem die Metakarpalia nach einer großen Transplantatentnahme nicht unwesentlich.

Die Verwendung des Os pisiforme als vaskularisiertes Transplantat für die Revaskularisation oder gar den Ersatz des Lunatums beim M. Kienböck ist aufgrund der hohen Hebestellenmorbidität gegenüber anderen Transplantaten (siehe unten) und der hohen sekundären radiokarpalen Arthroserate heute nicht mehr zu empfehlen [6, 7, 8].

Demgegenüber sind gestielte Transplantate vornehmlich aus dem Radius nach wie vor eine etablierte Option für vaskularisierten Knochentransfer in den Karpus ohne mikrovaskuläre Anastomosen, wohl aber mithilfe mikrochirurgischer Präparationstechnik [9]. Der große Vorteil dieser Transplantate gegenüber den metakarpalen besteht im wesentlich besseren Größenverhältnis zwischen Transplantat und Spenderknochen: Für alle gängigen Knochendefekte im Rahmen der Rekonstruktion von Skaphoidpseudarthrosen oder Lunatummalazien, aber auch der seltenen Kapitatumpseudarthrose können Späne ausreichender Größe gewonnen werden, ohne den Radius wesentlich in seiner Stabilität zu beeinflussen.

Das klassische vaskularisierte Transplantat für die Kahnbeinpseudarthrose stellt hierbei der „Zaidemberg“-Span dar, ein Knochenblock aus dem dorsoradialen Radius, welcher an der zwischen dem 1. und 2. Extensorsehnen-Kompartiment verlaufenden Arterie (1,2-ICSRA) und deren Begleitvene distal gestielt ist (Abb. 1) [10, 11, 12]. Sofern diese auf dem Retinaculum extensorum laufende feine Arterie noch intakt ist und nicht im Rahmen z.B. einer Sehnenfachspaltung bei Tendosynovitis de Quervain zerstört wurde, stellt sie eine gute Möglichkeit dar, Kahnbeinpseudarthrosen zur Ausheilung zu bringen [10, 13, 11]. Als Alternative hierzu besitzt das an der 2,3-ICSRA gestielte Transplantat einen noch etwas größeren Aktionsradius [14].

Für den dorsalen Zugang zum Karpus im Rahmen der Rekonstruktion proximaler Kahnbeinpseudarthrosen, Lunatummalazien oder Kapitatumpseudarthrosen stellt der distal gestielte 4,5-ECA-Span eine gute Option dar. Der vom ulnaren distalen Radius vorsichtig mit feinen Meißeln herausgearbeitete Span ist an den extrakompartimentalen, auf dem Boden des 4. und 5. Strecksehnenfachs verlaufenden Arterien gestielt und besitzt einen langen Stiel (Abb. 2) [14, 9]. Der Span ist relativ leicht zu heben, dies ist nach Voroperationen allerdings oft nicht mehr möglich, da die distale Verbindung ins Rete carpale dorsale zerstört ist. Hier verbleiben dann nur freie mikrovaskuläre Transplantate als Alternativen.

In manchen Studien besitzen gestielte vaskularisierte Transplantate vom distalen Radius – wenn sie von Ihrer Gefäßversorgung überhaupt noch möglich sind – gerade für proximale Kahnbeinpseudarthrosen jedoch eine Erfolgsquote von nur 50 % [16], weshalb freie mikrovaskuläre Transplantate auch schon primär eine sinnvolle Option sein können.

Freie mikrovaskuläre
Knochentransplantate

Vaskularisiertes
Beckenkammtransplantat

Nach den Erfahrungen mit der klassischen Matti-Russe-Plastik und ihren entsprechenden Modifikationen zur Rekonstruktion des Kahnbeins wurde für Fälle mit avaskulärem (meist proximalen) Pol das mikrovaskuläre Beckenkammtransplantat (DCIA-Lappen; „Deep circumflex iliac artery bone flap“) erfolgreich eingeführt. Basierend an den Vasa iliaca circumflexa profunda ist dieses Transplantat eigentlich am besten für großvolumige knöcherne Rekonstruktionen, z.B. zur metaphysären Rekonstruktion von Röhrenknochen, für die Rückfußrekonstruktion und zur Rekonstruktion des Unterkiefers optimal geeignet. Vor allem die Innsbrucker Gruppe um Gabl und Hussl konnte den gefäßtragenden Knochenanteil jedoch so minimieren, dass er zur Rekonstruktion des mittleren Kahnbeindrittels verwendet werden konnte [17]. Die exzellente Knochenqualität und der großlumige Gefäßstiel erleichterten den chirurgischen Einbau an der Hand. Wenn das Transplantat für vaskularisierte Rekonstruktionen des mittleren Kahnbeindrittels verwendet wurde, erfolgte der Zugang meist von palmar, ansonsten von dorsal. Da für die Handchirurgie nahezu beliebige Größen gehoben werden konnten, war es gut geeignet, auch ausgedehnte zystische Läsionen am Kahnbein oder am Lunatum zu ersetzen [18, 19].

Gerade bei adipösen Patienten ist das Transplantat jedoch deutlich erschwert zu heben und von einer nicht unbeträchtlichen Komplikationsrate an der Hebestelle begleitet: In einer Nachuntersuchung von 60 Fällen beschrieben Harpf et al. [20] zwar eine knöcherne Durchbauungsrate von 92 % im Gesamtpool von 21 konservativ behandelten oder unbehandelten Skaphoidpseudarthrosen, 26 avaskulären Polfragmenten nach B3-Fraktur und 13 erfolglosen Osteosyntheseversuchen, jedoch kam es in über 40 % aller Patienten zu Narbenschmerzen und in rund 32 % zu Schmerzen durch die knöcherne Entnahme des Beckenkammknochens. Konturunregelmäßigkeiten am Becken wurden in über 63 % der Patienten beschrieben und ca. 32 % der Patienten beschrieben eine postoperative Kompromittierung des N. cutaneus femoris lateralis.

Deshalb hat der vaskularisierte Beckenknochen mit der Entwicklung des wesentlich schneller und einfacher zu hebenden medialen Femurkondylentransplantats in den letzten Jahren an Bedeutung verloren.

Vaskularisierte mediale
Femurkondyle

Erstmalig von Sakai beschrieben, hat sich dieses Transplantat zunächst für die mikrochirurgische Therapie von Pseudarthrosen an den langen Röhrenknochen etabliert [21]. Ursprünglich kam es als reines kortikoperiosteales Transplantat zum Einsatz, welches durch segmentale Osteotomie der kortikalen Schuppe am periostealen “Scharnier“ um die Pseudarthroseregion genäht oder gewickelt werden konnte. In der Literatur ist eine Reihe von Fallserien beschrieben, welche die enorm hohe osteogene Potenz dieses Transplantats untermauern [22, 23, 24, 25, 26, 27, 28]. Mit zunehmender Erfahrung wurden auch spongiöse Knochenanteile en-bloc mitgenommen, und durch Doi et al. erstmalig die Verwendung des Transplantats am Karpus beschrieben [29].

Die operative Technik der Transplantathebung wird detailliert von Jones et al. und Del Pinal et al. erläutert. Die Spanhebung ist problemlos alleine in 30–40 Minuten zu erzielen. Durch einen Schnitt am inferioren Rand des M. vastus medialis gelangt man zwischen Faszie und Muskelbauch direkt auf die mediale Facette der Femurkondyle und findet die zuführenden Gefäße. Die vaskuläre Versorgung wird sehr ausführlich von Ioria et al., van Dijck et al. und Yamamoto et al. beschrieben [30, 31, 32]. In ca. 80 % aller Fälle sind die periostealen Gefäße im Wesentlichen durch die A. genicularis descendens und deren Begleitvenen versorgt [21]. An diesen gestielt, erlangt man einen für die Handchirurgie immer ausreichend langen Pedikel von 7–12 cm Länge. Weitere Zuflüsse erlangt das sehr gefäßreiche Periost durch die A. genicularis superomedialis, welches in bis zu 20 % die dominante Versorgung darstellt. Sie ist wesentlich kürzer (3–4 cm). Beide Gefäße besitzen einen für einen unkomplizierten mikrochirurgischen Anschluss ausreichenden Durchmesser an ihrem Ursprung von der A. femoralis bzw. der A. poplitea.

Die Zentrierung eines Knochenblocks unter einem geeigneten axialen periostealen Gefäßverlauf zur Rekonstruktion an den Knochen der Hand fällt aufgrund des reichen Vaskularisationsnetzes relativ einfach. Nach Isolation des Pedikels unter Lupenbrillenvergrößerung erfolgt die monopolare elektrische Inzision des Periostes in der benötigten Größe und danach die Osteotomie des benötigten Blocks (Abb. 3). Es empfiehlt sich, die Kortikalis vorsichtig mit der oszillierenden Säge oder dem Piezo-Osteotom zu sägen, da es bei Herausarbeitung des Spans ausschließlich mit Meißeln zur vibrationsbedingten Abscherung des spongiösen Anteils vom kortikoperiostealen Transplantatanteil kommen kann. Der gehobene Span wird auf dem Beistelltisch entsprechend dem Defekt maßgefertigt. Falls dabei oszillierende oder reziprozierende Sägen zum Einsatz kommen, sollte unbedingt gekühlt werden. Die Hebestelle wird unter Verwendung eines unter Sicht eingelegten Schmerzkatheters mehrschichtig verschlossen.

Der Spaneinbau am Kahnbein erfolgt äquivalent zu einem avaskulären Span, jedoch muss auf eine unkompromittierte Ausleitung des Gefäßpedikels aus der Gelenkregion geachtet werden. Bei beugeseitigem Zugang kann der Anschluss an die A. radialis oder an den R. palmaris der A. radialis erfolgen. Bei streckseitigem Zugang empfiehlt sich der mikrochirurgische Anschluss in der Tabatière. Die Osteosynthese des Transplantats erfolgt situativ bevorzugt mit Herbert-Schrauben, in Einzelfällen mit Kirschner-Drähten.

Bei Einsatz an den Metacarpalia oder den Phalangen sind gelegentlich auch Einzelschrauben zur Osteosynthese sinnvoll. Da ein kutaner Lappen der Oberschenkelinnenseite, welcher mit dem Knochentransplantat gehoben werden kann, für die Finger meist zu dick ist, kann in selektierten Fällen das sehr gut durchblutete Transplantat auch direkt mit einem Vollhauttransplantat gedeckt werden [25].

In größeren Serien zur karpalen Rekonstruktion hat sich der höhere Aufwand der freien medialen Femurkondylentransplantation als außerordentlich effektiv erwiesen [33, 34, 35]. Jones et al. beschrieben in einer Serie von 22 Kahnbeinpseudarthrosen sogar eine signifikant höhere und schnellere Durchbauung als mit vaskulär gestielten Knochentransplantaten vom Radius (s. oben) [26].

Die Patienten dürfen nach der Entnahme eines Spans in der Größe wie für eine Kahnbeinrekonstruktion notwendig sofort beschwerdeorientiert mobilisiert werden. Die meisten Autoren halten eine Entlastung in diesen Fällen, wie auch in allen Fällen der rein kortikoperiostealen Entnahme, für nicht erforderlich [22, 23, 36, 24, 25, 37, 21]. Die Hebestellenmorbidität wird in der Literatur als sehr gering beschrieben, was sich mit den eigenen Erfahrungen deckt: Am häufigsten wird eine perigenikuläre Pelzigkeit beschrieben, ansonsten leichte passagere Schmerzen beim Gehen und die Entwicklung eines Hämatoms [22, 21].

In die S3-Leitlinie der Behandlung von Skaphoidfrakturen hat dieses sehr potente Transplantat noch keinen Einzug gefunden, zumal es vor allem für die Behandlung der Pseudarthrosen angewendet wird. Es wird jedoch Situationen geben, bei denen das mediale Femurkondylen-Transplantat bereits primär eine optimale Lösung für den Patienten darstellen kann, wenn Lokalisation und Fragmentanzahl der Fraktur eine konventionelle Versorgung unzuverlässig erscheinen lassen.

Freie mikrovaskuläre
osteochondrale Transplantate

Einige handchirurgische Probleme in der Gelenkrekonstruktion des Radiokarpal- und Midkarpalgelenks können allerdings auch freie vaskularisierte Knochentransplantate nicht lösen: Liegen beispielsweise große intraartikuläre Zysten im Lunatum oder im Kahnbein vor, welche nach entsprechender Ausräumung nur eine papierdünne Knorpel-Knochenkontur oder gar größere Knorpeldefekte hinterlassen, wäre ein autologer Knorpelflächenersatz oft wünschenswert. Die vaskuläre Versorgung der medialen Facette der Femurkondyle erlaubt hier die Entnahme eines ganz proximalen Segments der medialen dorsalen Femurrolle, welche nicht in der Belastungszone liegt. Versorgt vom transversalen osteokartilaginären Ast aus der A. genicularis descendens kann ein vaskularisiertes Composite-Transplantat einer Größe von ca. 1 x 1 x 2 cm mit einem Stiel bis zu 12 cm Länge gewonnen werden [30, 32]. Die Krümmung der Knorpeloberfläche eignet sich dann je nach Orientierung zur Rekonstruktion des gesamten proximalen Kahnbeinpols oder des Lunatums inklusive eines Teils der radiokarpalen Gelenkfläche (Abb. 4).

In beiden Fällen wird der Zugang zum Handgelenk von dorsal hergestellt. Hierzu wird nach Eröffnung des 4. Strecksehnenfachs mit einer begleitenden Denervation des Nervus interosseus posterior eine limitierte Kapseleröffnung durchgeführt.

Proximale Kahnbein-
polrekonstruktion

Nach dem Zugang wird eventuell vorhandenes altes Osteosynthesematerial entfernt und der zertrümmerte oder nekrotische proximale Kahnbeinpol reseziert. Das verbleibende Kahnbein wird mit oszillierender Säge oder Feinmeißeln vorbereitet, um das Transplantat stufenfrei anzusetzen. Zu berücksichtigen ist dabei die Tatsache, dass die Knorpelschicht der Femurkondyle um ein 2–4-faches dicker ist, als am Skaphoid. Dies ist auch bei der postoperativen Verlaufskontrolle in der Bildgebung zu beachten, um Knochenstufen im CT bzw. die Kontur im MRT richtig zu werten. Für die Rekonstruktion eines zerstörten Kahnbeinpols ist als Hebestelle das kontralaterale Knie zu verwenden, um die richtige Orientierung von Gefäßeinstrahlung und Knorpelkrümmung zu erhalten.

Der osteokartilaginäre Span wird nun – ggf. unter Verwendung eines Knochenwachsmodells – mit der oszillierenden Säge so zugerichtet, dass er exakt an den verbleibenden Kahnbeinkorpus angesetzt werden kann und die radiokarpale Gelenkfläche bündig erscheint (Abb. 5). Je nach anatomischer Konfiguration erfolgt die Stabilisierung mittels Mini-Herbert-Schraube oder K-Drähten (Abb. 6). Eine Reinsertion des skapholunären Bands – sofern es noch vorhanden ist – muss nicht durchgeführt werden, wenn das Kahnbein diskret länger rekonstruiert wird („scaphoid overstuffing“ [34]). Die Handgelenkkapsel wird mit wenigen 4-0-Polydioxanonnähten verschlossen, ohne den Stiel einzuengen und um ihn ohne abzuknicken nach dorsal zu leiten. Beim anschließenden Durchbewegen des Handgelenks darf keine Krepitation zu spüren sein. Das Transplantat wird im Anschluss End-zu-Seit an die A. radialis in der Tabatiere und End-zu-End an eine Begleit- oder subkutane Vene angeschlossen. Der lange Gefäßstiel muss dafür subkutan über den Strecksehnen locker zu liegen kommen. Wir führen nach einer erfolgten Skaphoidgipsruhigstellung von 6–8 Wochen in der 12. Woche eine CT- und eine Kontrastmittel-MRT Untersuchung durch.

Die bisher einzige publizierte Serie von 16 proximalen Polrekonstruktionen am Skaphoid mit diesem Transplantat erzielte hervorragende Bewegungsausmaße über dem „functional range of motion“ und eine knöcherne Heilung in 15 von 16 operierten Patienten [38].

Lunatumrekonstruktion

Sollte sich im Falle einer Lunatumnekrose, einer großen Zyste/intraossären Ganglion oder einer posttraumatischen Destruktion eine wesentliche Konturunregelmässigkeit des Lunatumhinterhorns ergeben, so ist nach Heinz Bürger, Klagenfurt, eine äquivalente Rekonstruktion desselben mit dem osteochondralen medialen Femurrollensegment möglich [39]. Aufgrund der mehrdimensionalen Krümmung der Transplantatoberfläche kann die Orientierung des Transplantats so angepasst werden, dass es der Form des Lunatumhinterhorns weitgehend entspricht. Dies impliziert somit eine gegenüber der Kahnbeinrekonstruktion um 90° rotierte Transplantatposition. Die Stabilisierung erfolgt mit 1,5 oder 2 mm starken Einzelschräubchen. In sonst aussichtslosen Fällen der Lunatumzerstörung kann dies eine Möglichkeit zur sehr anatomienahen Rekonstruktion sein und stellt daher möglicherweise eine sinnvolle Alternative zu den sonst notwendigen, die Biomechanik verändernden Rettungseingriffen dar.

Zusammenfassung

Eine Vielzahl vaskularisierter Knochentransplantate zur Rekonstruktion der proximalen karpalen Handwurzelreihe stellen seit langer Zeit ein erfolgreiches Instrument für den handchirurgischen Spezialisten dar. Mit ihnen können nicht nur avaskuläre Knochennekrosen wie beim Morbus Kienböck langfristig kausal behandelt werden, sondern sie eignen sich auch besonders zur Kahnbeinrekonstruktion nach fehlgeschlagenen Rekonstruktionsversuchen oder ungünstigem Frakturverlauf.

Mit der schnellen Weiterentwicklung mikrochirurgischer Techniken und dem zunehmenden Trend zur Senkung der Hebestellenmorbidität sind neue Transplantate mit enorm hoher regenerativer Potenz entwickelt worden, mit welchen bei entsprechender mikrochirurgischer Routine bessere Heilungsraten erzielt werden können als mit den gestielten Transplantaten. Muskulär gestielte Knochentransplantate (z.B. am M. pronator quadratus) haben damit in der modernen Handchirurgie ihre Indikation nahezu komplett verloren. Osteokartilaginäre Transplantate aus der medialen Femurkondyle scheinen ein vielversprechendes Instrument zu sein, um kombinierte Defekte am proximalen Kahnbeinpol oder am Lunatum zu rekonstruieren. Für eine standardmäßige Empfehlung liegen jedoch bisher noch keine ausreichenden Zahlen vor.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors bestehen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Goetz A. Giessler

Direktor der Klinik für Plastisch-rekonstruktive, Ästhetische und Handchirurgie

Klinikum Kassel

Moenchebergstrasse 41–43, 34125 Kassel

goetz.giessler@klinikum-kassel.de

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Fussnoten

1 Klinik für Plastisch-rekonstruktive, Ästhetische und Handchirurgie, Klinikum Kassel

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