Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Ventrale thorakoskopische Spondylodese zur Behandlung von Frakturen im thorakolumbalen Übergang

Oliver Gonschorek1, Stefan Hauck1, Jörg Neufang1, Thomas Weiß1, Volker Bühren1

Zusammenfassung: Die Morbidität der ventralen
Zugänge hat die Entwicklung therapeutischer Konzepte zur Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen im thorakolumbalen Bereich wesentlich beeinflusst. Durch die minimalinvasiven Verfahren in endoskopischer Technik hat die ventrale Rekonstruktion der Wirbelsäule nach Verletzungen im thorakolumbalen Übergangsbereich im Laufe der letzten beiden
Dekaden eine enorme Bedeutungszunahme erfahren. Neben den speziellen Zugangstechniken waren hier auch speziell für diese Verfahren konzipierte Implantate wesentlich, die den
Anforderungen der minimal-invasiven Techniken und der lokalen anatomischen Gegebenheiten entsprechen können. Seit der Erstbeschreibung im deutschen Sprachraum Mitte der 1990er Jahre haben sich die minimal-invasiven Verfahren
flächendeckend an deutschen Wirbelsäulenzentren etablieren können. Zwar ist noch immer nicht durch Level-1-Studien
eindeutig belegt, dass eine korrekte Reposition und Rekonstruktion der ventralen Säule unter Einsatz ventraler Operationstechniken auch zu einem klinisch besseren Ergebnis führt. Es mehren sich allerdings die Hinweise, dass zumindest die mittelfristigen radiologischen und langfristigen klinischen
Ergebnisse hierdurch gebessert werden können. Insofern
gewinnt der ventrale Zugang bei Versorgung von Wirbelsäulenverletzungen an Bedeutung, wobei durch die minimalinvasive thorakoskopischen Technik die Zusatzmorbidität für die betroffenen Patienten deutlich reduziert werden kann. Diese Technik soll im Artikel ausführlich dargestellt werden.

Schlüsselwörter: minimal-invasiver Zugang,·thorakoskopisch, thorakolumbale Wirbelsäule, ventrale Rekonstruktion, Wirbelsäulenverletzung

Zitierweise
Gonschorek O, Hauck S, Neufang J, Weiß T, Bühren V. Ventrale
thorakoskopische Spondylodese zur Behandlung von Frakturen im thorakolumbalen Übergang.
OUP 2015; 12: 594–599 DOI 10.3238/oup.2015.0594–0599

Abstract: The morbidity of anterior approaches has significantly influenced the development of therapeutic concepts for the treatment of thoracolumbar spine fractures. Minimal-invasive endoscopic techniques have enlarged the numbers of anterior reconstruction after spinal fractures in the thoracolumbar region over the last two decades. These minimalinvasive approaches have been facilitated by the development of special implants adapted to the new technique and to the local anatomical requirements. Since the first report on minimal invasive anterior procedures in Germany in the 1990s a growing number of spine centers established this method. There is still no evidence based high level literature to substantiate a significant benefit for the patients by anatomical reduction and reconstruction of the anterior spinal column. However, there are some reports on better radiological outcomes as well as better clinical long time results. At least the minimal invasive thoracoscopic technic for the anterior approach seems to reduce approach-related morbidity. It has become more and more important over the last two decades for anterior posttraumatic reconstruction of the thoracolumbar spine. This technique is presented more detailed in the paper.

Keywords: minimal invasive approach, thoracoscopic, thoracolumbar spine, anterior reconstruction, spinal injury

Citation
Gonschorek O, Hauck S, Neufang J, Weiß T, Bühren V. Anterior thoracoscopic spondylodesis for fracture treatment in the thoracolumbar region.
OUP 2015; 12: 594–599 DOI 10.3238/oup.2015.0594–0599

Einleitung

Frakturen der Brust- und Lendenwirbelsäule betreffen ganz überwiegend den Übergang von der Brustkyphose zur Lendenlordose. Bei instabilen Verletzungen steht zunächst die Reposition und Stabilisierung im Vordergrund. Dies kann regelhaft über einen dorsal eingebrachten Fixateur interne – heute für den Patienten vorteilhaft in minimalinvasiver Technik – erreicht werden. Je nach Destruktionsgrad der vorderen Säule muss diese zur Vermeidung eines sekundären Repositionsverlusts im Rahmen eines ventralen Eingriffs belastungsstabil rekonstruiert werden. In der thorakolumbalen Region kann dies in thorakoskopischer Technik vorgenommen werden, die im folgenden vorgestellt werden soll. Es handelt sich hierbei mittlerweile um ein routinemäßig eingesetztes, allerdings technisch wie auch logistisch anspruchsvolles Verfahren, das einen erfahrenen Wirbelsäulenchirurgen und eine leistungsfähige Anästhesie erfordert. Subtile Vorbereitung und präzises intraoperatives Vorgehen sind Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches und komplikationsfreies Ergebnis [1, 2, 6, 8].

Diagnostik

Im Rahmen der Anamnese und klinischen Untersuchung ist unbedingt auch ein neurologischer Befund zu erheben. Die konventionelle radiologische Bildgebung ist dann die grundlegende apparative Diagnostik, die akut im Liegen, im Rahmen der postoperativen Kontrollen aber unbedingt im Stehen durchzuführen ist. Die Computertomografie (CT) ist als Goldstandard zu betrachten und im Rahmen von Rasanztraumata meist auch die Primärdiagnostik. Sie dient als Grundlage zur Klassifikation und zur Bestimmung des Ausmaßes der Wirbelkörperdestruktion, der Einengung des Spinalkanals – und in gewissem Maße –auch der Destruktion der Bandscheibe.

Die Magnetresonanztomografie (MRT) spielt eine große Rolle zur Beurteilung der Bandscheibe, der dorsalen ligamentären Strukturen und des Myelons.

Klassifikation

Die AO-Klassifikation ist als Standard anzusehen, wobei die bislang zur Anwendung kommende alte Klassifikation komplex und wenig alltagstauglich war [15]. Die neue Klassifikation der AO Spine zeigt hier wesentliche Vorteile, ist allerdings noch nicht vollumfänglich in den klinischen Alltag integriert. Die inkompletten Berstungsbrüche (zuvor A3.1) heißen nun A3, die kompletten (A3.3) und Berstungsspaltbrüche (A3.2) A4 [21]. Dies ist wesentlich für die Indikationsstellung einer mono- oder bisegmentalen ventralen Spondylodese.

Die McCormack-Klassifikation kann als Hilfestellung für die Indikation zur ventralen Spondylodese dienen. Dies gilt insbesondere für die inkompletten Berstungsbrüche A3 zur weiteren Differenzierung des noch vorhandenen knöchernen Grundstocks im Grundplattenbereich [16].

Minimalinvasiver ventraler Zugang

Rein prinzipiell kann man im thorakalen Übergangsbereich offene von minimalinvasiven Zugängen unterscheiden, wobei ausgedehnt offene Vorgehensweisen mit Thorakophrenikolumbotomie heute in der alltäglichen Versorgung von Frakturen oder kurzstreckigen Rekonstruktionen als obsolet anzusehen sind. Mini-open mit oder ohne endoskopische Unterstützung und rein thorakoskopische Zugänge sind heute Routine, im folgenden soll über den letzteren berichtet werden. Neben dem geringen Blutverlust, der niedrigen additiven Zugangsmorbidität und den daraus resultierenden erheblichen Vorteilen für den Patienten ist andererseits die überragende Übersicht der endoskopisch gestützten Verfahren zu nennen [4, 6, 8, 10, 22]. Das rein thorakoskopische Vorgehen stellt allerdings von der Logistik her höchste Ansprüche an Operateur und Anästhesie und somit an das ganze Klinikum, und sollte daher an die Wirbelsäulenzentren gebunden werden.

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