Originalarbeiten - OUP 06/2012

Verletzungen des vorderen Kreuzbandes: Von der Prävention zur Therapie
Injuries of the anterior cruciate ligament: from prevention to therapy

Auch für den Skisport wurden Verletzungsmechanismen identifiziert. Hier entsteht der Großteil der VKB-Verletzungen in einer Situation in der das Kniegelenk stark flektiert ist, sich der Körperschwerpunkt hinter dem Knie befindet und der Unterschenkel innenrotiert ist. Dieser Mechanismus ist im Schrifttum auch als „Phantomfußmechanismus“ bekannt [8].

Präventionsstrategien

Auf Grundlage dieser Beobachtungen wurden Strategien zur Prävention von Kreuzbandrupturen entwickelt [4, 7, 11, 28].

Dabei verfolgen die einzelnen Präventionsprogramme unterschiedliche Ansätze:

1. Aufklärung und Modifikation von gefährdenden Bewegungen (z.B das Henning Programm, Vermont ACL Prevention Programm),

2. Propriozeptionstraining,

3. Gezieltes Sprungtraining,

4. Kräftigungsübungen für die schützenden Kniebeuger (Russian Hamstrings) und

5. Übungen zur Stärkung der Hüftrotatoren und Rumpfstabilisierung. Diese Elemente sollten in einem Präventionsprogramm kombiniert werden.

Mit Sprungtests (Drop vertical jump Test) und einbeinigen Kniebeugen können Risikoathleten identifiziert werden, bei denen gezielt an einer Bewegungsmodifikation gearbeitet werden kann (Abb. 2).

Leider wird der Prävention von VKB-Rupturen in Deutschland nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen. Präventionsmaßnahmen sind zeitaufwendig. Daher ist die Bereitschaft der Trainer und Spieler gering, kostbare Trainingszeit dafür zu opfern. Hinzu kommt, dass der überwiegende Teil der Präventionsstrategien erst in den letzten Jahren entwickelt wurde und vielen Trainern, Sportärzten und Physiotherapeuten nicht bekannt sind.

Diagnostik

Klinische Untersuchung

Die VKB-Ruptur ist eine klinische Diagnose. Häufig findet man keine äußeren Verletzungszeichen. Bei frischer VKB-Ruptur besteht oft ein intraartikulärer Erguss, der sich in den Recessus suprapatellaris ausdehnt. Eine Punktion ist zu therapeutischen Zwecken selten erforderlich. Wir führen Punktionen durch, wenn ein schmerzhaftes Spannungsgefühl besteht. Ein Hämarthros ist ein wichtiger Hinweis auf eine VKB-Ruptur [30].

Klinische Funktionstests sind in der akuten Situation meist nicht durchführbar. Schubladenphänomene sind die klassischen Tests in der Kreuzbanddiagnostik. Leider lässt sich die vordere Schublade in 90° Beugung in der klinischen Praxis oft nicht ganz einfach beurteilen. Als sensitiver gilt der Lachman-Test (vordere Schublade in 20–30° Beugung), da in dieser Position der Hebelarm der ischiokruralen Muskulatur minimiert wird. Für wissenschaftliche Auswertungen oder Gutachten kann der Lachman-Test mit spezielle, Messgeräten objektiviert werden (KT 1000, Rolimeter).

Instabilitätsgefühle treten meist in Positionen auf, in denen sich das Kniegelenk in leichter Beugung befindet und der Fuß innenrotiert steht. Dieser Pathomechanismus kann mit dem dynamischen Subluxations-Tests erfasst werden (z.B. Pivot shift Phänomen, Jerk Test, Losse Test). Es ist bekannt, dass positive dynamische Subluxations-Tests nach operativer Stabilisierung mit schlechten postoperativen Ergebnissen korrelieren. Gemeinsam ist allen Subluxations-Tests, dass das Knie valgisiert und innenrotiert wird. Bei dieser Bewegung kommt es zwischen 30° Beugung und voller Streckung zu einer vorderen Subluxation der Tibia, die ab 30° Beugung durch den Zug des Traktur iliotibialis reponiert wird Die Reposition imponiert als Schnappphänomen.

Für die funktionelle Diagnostik haben sich „Ein-Bein-Sprungtests“ etabliert. Diese Tests sollen ein Parameter für die funktionelle Stabilität des Kniegelenkes sein und die Fähigkeit zeigen, ob ein Patient die VKB-Ruptur funktionell kompensieren kann [6]. Abbildung 3 zeigt zwei typische Sprungtests. Aber auch der Drop vertical jump Test und einbeinige Kniebeugen als Risikotests für das Erleiden einer VKB-Ruptur gehören zu den diagnostischen Instrumenten.

Bildgebende Diagnostik

In der konventionellen Röntgendiagnostik gilt ein knöchernes anterolateraler Tibiafragment (Segond-Fragment) als pathognomonisch für eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Im seitlichen Bild kann auch eine anteriore Delle im lateralen Femurcondylus Hinweis auf eine VKB-Ruptur sein. Auch ossäre Ausrisse sind im konventionellen Bild gut zu erkennen.

Die Magnetresonanztomographie gilt als sehr sensitive Methode zur Diagnostik von Bandläsionen und deren Begleitverletzungen. Stressreaktionen am Knochen (Bone bruise) lassen ferner Rückschlüsse auf den Unfallmechanismus zu. Die Sensitivität der MRT-Diagnostik der VKB-Läsion beträgt zwischen 92 und 100 %, die Spezifität beträgt zwischen 85 und 100 %. In Abhängigkeit von der Verletzungsschwere und vom Abstand zum Unfallereignis lassen sich unterschiedliche Befunde erheben (Ödem, i.a. Erguss). Auch auf die Lokalisation der Ruptur (proximaler Ausriss, Abb. 4b, ossärer tibialer Ausriss, Partialruptur) erlaubt die MRT-Rückschlüsse. Damit ist die MRT für die Diagnostik und gutachterliche Fragen zum Unfallzusammenhang die Methode der Wahl. Nachteil der MRT ist, dass sie keine funktionelle Untersuchung ermöglicht. MRT-Befunde dürfen daher nur in Zusammenhang mit der Anamnese und den klinischen Tests gewertet werden.

Die Computertomographie ist das Verfahren der Wahl zur Darstellung und Beurteilung der Bohrkanäle nach VKB-Ersatzplastik. Dieses Verfahren kommt vor allem bei der Planung von Revisionseingriffen zum Einsatz. Dreidimensionale Rekonstruktionen erlauben eine präzise Bestimmung der Bohrkanalposition (Abb. 4a).

Abbildung 5 zeigt einen möglichen Algorhytmus für die Diagnostik und das Management nach VKB-Ruptur.

Partialrupturen

Das Vorkommen von Partialrupturen werden kontrovers diskutiert. Isolierte Rupturen des posterolateralen (PL) und des anteromedialen (AM) Bündels werden jedoch von verschiedenen Autoren beschrieben [29, 37]. PL-Rupturen entstehen entsprechend des Spannungsverhaltens extensionsnah; zu isolierten AM-Rupturen kommt es bei gebeugtem Kniegelenk.

Die Diagnose von Partialrupturen ist schwierig. Hier müssen klinische Befunde, bildgebende Verfahren und der arthroskopische Befund sorgfältig gewichtet werden. Klinisch können isolierte PL-Rupturen durch ein positives Pivot shift Phänomen auffallen. Bei AM-Rupturen fällt das Pivot shift Phänomen oft weniger deutlich aus. AM-Rupturen können jedoch zu einem Streckdefizit führen. Bandreste des VKB können am vorderen Rand der Fossa intercondylaris einklemmen. Im MRT lassen sich bei frischen Läsionen Ödeme oder Kontunuitätsunterbrechungen des entsprechenden Bündels nachweisen. Arthroskopisch deuten nur frische Verletzungszeichen oder der Kontiunitätsverlust auf eine isolierte PL-Ruptur hin, da dieses Bündel in Beugung entspannt ist.

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