Originalarbeiten - OUP 06/2012

Verletzungen des vorderen Kreuzbandes: Von der Prävention zur Therapie
Injuries of the anterior cruciate ligament: from prevention to therapy

Aufgrund der Beobachtung, dass auch isolierte Rupturen der einzelnen Bündel vorkommen, wurden Techniken entwickelt, diese auch separat zu rekonstruieren. Vorteile dieser Techniken sollen der Erhalt propriozeptiver Elemente sein. Außerdem reicht als Ersatz eines einzelnen Bündels oft die dünnere Gracilissehne. Die bisherigen klinischen Erfahrungen mit dem isolierten AM- oder PL-Ersatz sind positiv [29, 37]. Die OP Technik ist aber komplizierter, da die Übersicht durch die erhaltenen Bandfasern eingeschränkt ist.

Die „Remnant augmentation“ beruht auf dem Konzept, alte Bandfasern möglichst zu erhalten und das Sehnentransplantat in das alte Band hineinzuziehen. Vorteil soll auch hier der Erhalt der Propripzeptoren sein. Unsere bisherigen Erfahrungen mit diesem Konzept sind positiv.

Rehabilitation nach
VKB-Ersatzplastik

Die Rehabilitation nach VKB-Ersatzplastik ist aufwendig. Das sollte dem Patienten bei der präoperativen Aufklärung bereits vermittelt werden.

Postoperativ kommt es zu Veränderungen im Transplantat, die die mechanische Stabilität deutlich herabsetzen (Nekrose – Revaskularisation – ligamentärer Umbau) [38]. Diese Umbauvorgänge können bis zu einem Jahr andauern. Aus diesem Grunde muss das VKB-Transplantat in der ersten Zeit nach der VKB-Ersatzplastik geschützt werden.

Es gibt eine Vielzahl verschiedener Nachbehandlungsprotokolle, die sich zum Teil deutlich voneinander unterscheiden [2]. Kontrovers werden im Schrifttum die postoperative Belastung und die Verwendung von Orthesen diskutiert. Bisher gibt es keine Hinweise, dass eine postoperative Teilbelastung oder die Verwendung von Orthesen zu besseren Ergebnissen nach vorderer Kreuzbandplastik führen [2]. Erwiesen ist bisher nur die Effektivität von Übungen in geschlossener Kette im Vergleich zu Übungen in offener Kette [2].

Wichtig ist es unserer Ansicht nach, die Nachbehandlung individuell dem Patienten, dem Transplantat, den Begleitverletzungen und dem OP-Ergebnis anzupassen. So kann die gleichzeitige Therapie von Knorpel- und Meniskusverletzungen den Gebrauch beugelimitierender Orthesen oder eine längere Teilbelastung erforderlich machen. Ein Vorgehen nach „Kochrezept“ sollte vermieden werden. Die Rehabilitationsphase nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes kann in drei verschiedene Phasen unterteilt werden:

Ziel der Frühphase (1.–14. Tag postop.) ist ein reizloses Kniegelenk. Um dieses Ziel zu erreichen setzen wir physikalische Maßnahmen (Kühlung, Hochlagerung, isometrisches Quadrizepstraining, Lymphdrainage) ein. Auf NSAR verzichten wir, da diese Medikamente die Sehnen-Knochen-Heilung hemmen können. Zur Schonung soll der Patient in dieser Zeit mit 20 kg Teilkörperge-wicht belasten. Das Knie wird mit einer geraden Orthese geschützt.

Nach der zweiten Woche kann die Belastungsintensität langsam gesteigert werden (mittlere Phase). Die Orthese wird bis zum Ablauf der 6. postoperativen Woche getragen. In dieser Zeit soll die Beweglichkeit gesteigert werden und mit Übungen in geschlossener Kette begonnen werden. Bei persistierenden Streckdefiziten sollte frühzeitig die Indikation zur Rearthroskopie gestellt werden. Ursache kann eine Zyklopsläsion sein.

Die Spätphase der Rehabilitation dient der Steigerung der Kraft und Beweglichkeit und der Verbesserung der Propriozeption sowie neuromuskulärer Funktionen.

„Return to Sport“

Das Thema Wiederkehr zum Sport wird derzeit kontrovers diskutiert [3]. Wenig umstritten ist, dass das Transplantat während der Zeit seines Umbaus (Remodelling) vor einer zu hohen Beanspruchung geschützt werden muss. Tierexperimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass der Umbau des Transplantates bis zu

einem Jahr dauert [39]. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage der Instruktoren der deutschsprachigen Arbeitsge-meinschaft für Arthroskopie gab die Mehrzahl der Instruktoren an, dass sie eine Wiederkehr zum Sport nach bereits sechs Monaten als zu früh erachten. Die Mehrzahl der Befragten sah den optimalen Zeitpunkt zwischen acht und zwölf Monaten postoperativ. Aber nicht nur aufgrund des Transplantatumbaues sollte der Zeitpunkt zur Wiederkehr zum Sport sorgfältig gewählt werden. Auch die neuromuskulären und propriozeptiven Fähigkeiten sollten möglichst wieder hergestellt sein. Ein Problem im Rahmen der postoperativen Rehabilitation ist auch die Beseitigung von Bewegungsmustern, die zu einer VKB-Ruptur führen können (valgische innenrotierte Kniestellung, Landung nach Sprung mit wenig gebeugter Hüfte). All diese funktionellen Faktoren sollten mit einer Testbattarie sogenannten „Wiederkehr zum Sportkriterien“ überprüft werden. Als Basistests können klinische Tests zum Zustand des Kniegelenkes dienen: Kein intraartikulärer Erguss, Lachman-Test, Pivot shift-Phänomen, Beweglichkeit. So sind das Fehlen eines Ergusses, eine weitgehend freie Beweglichkeit und eine passive Stabilität Grundvoraussetzungen zur Rückkehr zum Sport. Umfangmaße des Oberschenkels geben Hinweise auf den muskulären Rehabilitationsstand. Einbeinsprungtests (> 90 % der Gegenseite) geben Hinweise auf die funktionelle Stabilität der unteren Extremität. Mit dem „Drop vertical jump“-Test und einbeinigen Kniebeugen können gefährdende Bewegungsmuster erfasst werden. Diese Basistests können direkt in der Sprechstunde durchgeführt werden und erlauben in den meisten Fällen eine Entscheidung. Diese Basisdiagnostik kann durch instrumentelle und apparative Untersuchungen ergänzt werden: KT 1000-Messung (objektive a-p-Stabilität), isokinetische Kraftmessungen.

Bildgebende Verfahren halten wir erst bei pathologischen Tests im Hinblick auf die Beweglichkeit oder die Stabilität des Gelenkes für indiziert. Sie sollen Aufschluss über die Intaktheit des Transplantates, die Tunnelposition und die Heilung von Begleitverletzungen geben. Bei pathologischen Befunden hinsichtlich der funktionellen Stabilität sollte die Rehaphase verlängert werden. Bei Einschränkungen der Beweglichkeit und anatomischer Tunnellage sollte nach sechs bis acht Monaten an eine Re-Arthroskopie mit Cyclopsresektion gedacht werden. Bei Instabilitätsproblemen oder nicht-anantomischer Tunnellage muss evtl. an eine frühzeitige Revisionsoperation gedacht werden. Abbildung 14 zeigt einen Überblick über die Kriterien, die die Entscheidung, ob ein Athlet zum Sport zurückkehren kann, unterstützen können.

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