Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Verletzungen ischiofemoral
Immer konservativ?

Verletzungen der Apophysen kommen grundsätzlich als akute oder chronische Avulsionsverletzungen vor. Man findet sie fast ausschließlich in der Adoleszenz, da in diesem Alter die generellen Reifungsvorgänge zu einem Muskelkraftzuwachs führen und gleichzeitig eine hormonell bedingte Schwächephase im Bereich der Wachstumsfugen des Skeletts eintritt. Die möglichen muskulären Zugkräfte können bei kraftvoller Muskelanspannung die lokalen Druckkräfte überschreiten und zum Versagen der Apophyse in der Wachstumsfuge, zur Avulsionsverletzung führen. Die Häufigkeit für Abrisse des Trochanter minors beträgt ca. 1–3 % [27, 44, 60, 65, 67].

Für die Abrissverletzung des Trochanter minors ist eine akute abrupte Anspannung des Musculus iliopsoas notwendig. Sie kommt typischerweise bei der Leichtathletik (Weitsprung, Sprint) und beim Fußball vor und führt über die plötzliche Kontraktur des Iliopsoas zu der Dissoziation des Trochanter minors vom Femur [27, 44, 67]. Abrisse des Trochanter minors sind auch als chronische Verletzungen beim Baletttanz bzw. als Avulsionen beim Krampfanfall beschrieben [33, 40].

Klinisch ist die Belastbarkeit des Beines stark beeinträchtigt, assoziiert mit einer Schonhaltung des Hüftgelenks in Beugung. Der mediale proximale Oberschenkel ist druckschmerzhaft, eine Beugung des Hüftgelenks gegen Widerstand wird in der Regel nicht toleriert. Die wichtigste bildgebende Untersuchungsmethode ist die konventionelle Röntgenaufnahme des Beckens oder der betroffenen Hüfte a.p. und der Hüfte axial [44, 67].

McKinney et al. [32] erstellten eine Klassifikation der Avulsionsfrakturen der Apophysen (Typ I: Undislozierte Frakturen, Typ II: Dislozierte Frakturen ? 2 cm, Typ III: Dislozierte Frakturen > 2 cm, Typ IV: Symptomatische Pseudoarthrose oder schmerzhafte Exostose). Bei den Typ-I- bis Typ-III-Verletzungen wird eine konservative Therapie vorgeschlagen. Die Therapie ist in der Regel konservativ aufgrund der sehr guten Ergebnisse [2, 16, 27, 33, 38, 40, 44, 60, 62, 67]. Anfangs empfiehlt sich eine Abrollbelastung für 2–4 Wochen, je nach Klinik. Über ein Sportverbot für 6 Wochen und eine vorsichtige sportliche Belastungssteigerung können die Patientinnen und Patienten in der Regel nach 8–12 Wochen zur gewohnten Leistungsfähigkeit zurückkehren. Operative Therapiemaßnahmen sind auch im Leistungssportbereich in der Regel nicht angeraten [67].

Es gibt 3 wesentliche Komplikationen der Avulsionsverletzungen der Hüftregion: überschießende heterotope Ossifikation, Pseudarthrose und die Entstehung eines ossifizierenden Pseudotumors. Alle 3 Komplikationen sind selten, können aber teilweise massive klinische Symptome hervorrufen, auch im Sinne eines IFI.

Khemka et al. [24] berichteten kürzlich über die arthroskopische Refixation einer Avulsionsfraktur des Trochanter minors bei 3 Patienten mit exzellenten Ergebnissen. Khemka et al. [24] sind davon ausgegangen, dass die konservative Therapie dieser Verletzung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Pseudarthrose führen wird mit Reduktion der Hüftbeugekraft und zu einem IFI.

Fasting führte eine offene Refixation mittels Cerclage 6 Wochen nach der Verletzung durch mit einem guten Ergebnis [20].

Stafford und Villar [55] versuchten zunächst eine Infiltrationsbehandlung des Trochanter minors nach Avulsionsfraktur des Trochanter minors mit sekundärem IFI. Bei ausbleibendem Therapieerfolg führten sie daraufhin eine Exzision des Fragmentes durch.

Fraktur des Trochanter minors beim Erwachsenen

Im Alter von 18 Jahren ist in der Regel die Apohysenfuge des Trochanter minors verschlossen [12]. Frakturen des Trochanter minors treten im Erwachsenenalter in der Regel bei pertrochanteren Femurfrakturen auf [46, 57]. Die Arbeit von Schenkel et al. [46] konnte zeigen, dass eine Dislokation des Trochanter minors von > 2 cm zu einer fettigen Infiltration des M. Iliacus und M. Psoas führt im Vergleich zur nichtverletzten Seite, jedoch zu keiner signifikanten Abschwächung der Hüftbeugung; eine Refixation des Trochanter minors ist bei der Osteosynthese pertrochanterer Femurfrakturen nicht erforderlich [46, 57].

In Einzelfällen kann die Reposition und Refixierung des Trochanter minors – bei einer Dehiszenz > 2 m bzw. wenn > 2 Fragmente des Trochanter minors vorliegen – jedoch hilfreich sein [68].

Isolierte Frakturen des Trochanter minors beim Erwachsenen stellen eine Rarität dar und treten häufig als pathologische Frakturen bei Tumorerkrankungen auf [12]. Die größte Serie von 38 Patientinnen und Patienten wurde 2020 von Cho et al. publiziert. 33/38 Fakturen (86,8 %) waren pathologische Frakturen, 6 (18,2 %) auf dem Boden einer primären Tumorerkrankung, 27 (81,8 %) auf dem Boden von Metastasen. Bei Frakturen des Trochanter minors im Erwachsenenalter sollte daher immer eine maligne Erkrankung ausgeschlossen werden. In Kasuistiken wurde von traumatologischen Frakturen [9, 50, 64] bzw. Ermüdungsfrakturen [34] des Trochanter minors im Erwachsenenalter berichtet [9, 50, 64]. Frakturen des Trochanter minors im Erwachsenenalter werden in der Regel konservativ behandelt, erst aber einer Dislokation von > 2 cm sollte die operative Refixierung in Betracht gezogen werden [4, 24].

Apophysenabriss bzw. Fraktur des Tuber ischiadicums

Der Abriss des Tuber ischiadicum ist die Folge einer akuten Anspannung der ischiocruralen Muskulatur, die eine Avulsion des Tubers erzwingt [67].

Das Tuber ischiadicum ist in ca. 33–50 % der Fälle von Avulsionsverletzungen des Beckens betroffen [45, 47]. Die Verletzung tritt gehäuft zwischen dem 14. und dem 25. Lebensjahr auf. Jungen sind 3- bis 5-fach häufiger betroffen als Mädchen [45, 47]. Ausgesprochen selten kann eine Avulsionsfraktur am Tuber ischiadicum auch im hohen Erwachsenenalter auftreten [53].

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