Übersichtsarbeiten - OUP 05/2020

Von der Funktionsstörung zur Funktionserkrankung
Ein Modell als Grundlage für die Diagnostik und Therapie von Rückenschmerzen

In der Behandlung von Rückenschmerzen hat sich inzwischen ein Flaggensystem etabliert. Von den gut verbreiteten red flags als Notfallsymptome über yellow flags als Hinweise für psychosoziale Chronifizierungsprozesse bis hin zu blue und black flags als besondere berufliche Problemlagen. Ohne diese Farbenlehre nun ins Absurde steigern zu wollen, empfehlen wir eine Ergänzung aus funktioneller Sicht: die „white flags“. Hiermit meinen wir die oben beschriebenen primären/grundlegenden funktionellen Störungen. Dies sind unseres Erachtens nicht nur white flags, sondern im Sinne eines Sprachspiels manchmal „weiße Flecken“ in der Differentialdiagnostik von orthopädischen Patienten mit chronischen Beschwerdebildern. Wenn wir an diese grundlegenden Funktionsstörungen nicht herangehen, werden wir langfristig bei vielen Patienten keine guten Erfolge erzielen können.

Die standardisierte Erfassung der genannten, auf den Krankheitsverlauf entscheidend Einfluss nehmenden Funktionsstörungen ist, wie beschrieben, in einigen Nationalen Versorgungsleitlinien bislang nur unzureichend berücksichtigt worden [4, 5]. Jedoch benötigen Funktionserkrankungen des Bewegungssystems eine komplexe funktionelle Diagnostik und Therapie, bei Chronifizierung im Rahmen eines multimodalen interdisziplinären Settings [4, 15]. Durch die Diagnose einer vorliegenden Funktionskrankheit des Bewegungssystems können danach optimierte konservative und funktionelle Behandlungsoptionen im Rahmen einer befundgerechten Therapie erfolgen.

Dennoch ist uns klar, dass auch diese funktionellen Veränderungen natürlich eingeordnet sind in das komplexe System aus Strukturpathologie, Funktionspathologie und Psychopathologie. Wir möchten aber mit diesen Ausführungen den funktionellen Aspekt mehr in den Blickwinkel rücken.

Fazit für die Praxis

Für unsere ärztliche Arbeit
brauchen wir Modelle.

Ein Ziel unseres ärztlichen Tuns ist die Erhaltung und Wiederherstellung einer möglichst normalen Funktion.

Dazu müssen wir die Neurophysiologie und Sensomotorik gut kennen.

Neben dem Schmerz verursachen Funktionsstörungen Probleme in Alltag und Beruf und führen die Patienten zum Arzt.

Suche gezielt nach Funktionsstörungen und behandle sie gezielt!

Bei längerem Bestehen und zusätzlichen ungünstigen Kontextfaktoren bekommen diese Störungen einen Krankheitswert.

Risikofaktoren für eine Chronifizierung sind die „white flags“: konditionelle Defizite, veränderte Bewegungsmuster und Bewegungswahrnehmung, insuffiziente Tiefenstabilisation und vegetative Störungen.

Interessenkonflikte

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag
finden Sie auf: www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

Dr. Volker Liefring

Rehabilitationsklinik
für Orthopädie und Pneumologie

Waldhausstraße 44

16766 Kremmen/Sommerfeld

v.liefring@sana-hu.de

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