Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Vordere Kreuzbandruptur
Konzepte, Diagnostik und therapeutische Überlegungen

Vor diesem Hintergrund diskutiert die vorliegende Übersichtsarbeit Konzepte, Diagnostik und therapeutische Überlegungen der vorderen Kreuzbandruptur.

Anamnese und Diagnostik

Die Diagnostik setzt sich vor allem aus Anamnese, klinischer Untersuchung und Magnetresonanztomografie (MRT) zum Erkennen von Begleitverletzungen zusammen. In der Anamnese wird nach Unfallhergang, Zeitpunkt und bereits erfolgten Maßnahmen gefragt. Ein Valgus-Innenrotationstrauma bei geringer Knieflexion und tibialer Außenrotationsstellung sind typisch für VKB-Verletzungen [52]. Symptome der akuten Kreuzbandverletzung sind Schmerzen und Bewegungs-/Funktionseinschränkung, ein initial entstehender blutiger Kniegelenkserguss sowie ggf. ein Instabilitätsgefühl [39]. Die klinische Untersuchung beinhaltet neben Inspektion und allgemeiner Knieuntersuchung die Durchführung klassischer Stabilitätstests. Der „Lachman-Test“ bei 20°?30° gebeugtem Kniegelenk besitzt eine hohe Treffsicherheit auch im akuten Stadium [18]. Neben der quantitativen Beurteilung der Tibiatranslation ist der Anschlagcharakter wegweisend – ein intaktes VKB hat einen festen Anschlag. Bei intaktem medialen Seitenband ist die Auslösbarkeit des „Pivot-shift-Test“ von zentraler Bedeutung für die Diagnostik der vorderen Kreuzbandruptur; der positive Ausfall gilt als pathognomonisch für die Ruptur [29]. Im Alltag entspricht dies einem unwillkürlichen Wegknicken, dem sog. „giving way“-Phänomen [47]. Auch die Verwendung von Kniearthrometern hat sich etabliert [18, 51]. Eine Kernspintomografie zur Darstellung der VKB-Ruptur ist sinnvoll, um die Ruptur selbst zu klassifizieren. Darüber hinaus werden versorgungspflichtige Begleitverletzungen dargestellt, wodurch die Dringlichkeit der OP-Indikation und auch der OP-Zeitpunkt maßgeblich beeinflusst wird (Abb. 1) [6, 13]. Die Sensitivität der VKB-Läsion im MRT liegt zwischen 92 und 100 %, die Spezifität zwischen 85 und 100 % [54, 65].

Differentialdiagnostische Überlegungen

Bei Verletzungen des vorderen Kreuzbandes werden folgende Entitäten unterschieden:

Femorale Ausrissläsionen imponieren kernspintomografisch meist als Partialrupturen. Die Diagnosesicherung erfolgt arthroskopisch, wobei Ausmaß und Morphologie der Verletzung unter visueller Testung exakt evaluiert werden können. Femorale Läsionen mit nur geringer Faserdislokation weisen eine hohe Primärstabilität auf. Der Patient empfindet nach einer initialen Schmerzphase selten eine Instabilität, die Beweglichkeit ist schnell wiederhergestellt und einfache aktive Bewegungsübungen sind vom Patienten nach kurzer Zeit wieder vorführbar. In solchen Fällen kann ein konservatives Vorgehen auch mit sportlich aktiven Menschen besprochen werden. Im Verlauf sollte jedoch eine klinische Kontrolle zur Beurteilung der Rotationsstabilität und eine MRT-Kontrolle erfolgen. Sofern eine objektivierbare Instabilität festgestellt werden kann, sollte ein operatives Vorgehen empfohlen werden [54, 65].

Intraligamentäre Verletzungen des VKB führen fast immer zu einer manifesten Instabilität und Giving way-Episoden. Im MRT imponiert das VKB vollständig zerrissen. Die Operationsindikation richtet sich nach der individuellen Symptomatik, dem Patientenalter, dem sportlichen Anspruch sowie dem Ausmaß der Begleitverletzungen. Eine klare Indikation zur VKB-Plastik ist unter folgenden Voraussetzungen gegeben:

hohes berufliches Aktivitätsniveau

hoher sportlicher Leistungsanspruch

Vorliegen assoziierter Meniskus- und Knorpelschäden (Abb. 2a–b)

höhergradige zusätzliche Bandinstabiliäten [8, 19, 22, 75] (Abb. 3)

Die distale knöcherne Eminentia-Ausrissfraktur beim jüngeren Menschen stellt eine Sonderform der VKB-Ruptur dar. Klinisch imponiert häufig eine Gelenkblockade. Es sollte zeitnah operiert werden, um das ausgerissene Fragment zu reponieren und stabil zu refixieren.

Bei Kreuzbandverletzungen im Kindes- und Jugendalter mit offenen Wachstumsfugen sollte wegen des ungünstigen natürlichen Verlaufs mit sekundären Meniskusläsionen und frühzeitigen Auftretens von Arthrosezeichen eine primäre operative Rekonstruktion erfolgen. Als Goldstandard bei offenen Wachstumsfugen hat sich die transepiphysäre Einkanaltechnik mittels autologer Sehnentransplantate und extrakortikaler Fixation etabliert, da das Risiko von Wachstumsstörungen nur sehr gering ist [2, 59, 64].

Konservative Therapie

Initial nach der Verletzung ist der Beginn der Therapie mit Eis, Kompression, Hochlagerung und je nach Reizzustand des Knies der Einsatz Nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) sinnvoll. Nach Abklingen der inflammatorischen Phase ist eine frühe Mobilisierung des Gelenkes zur Vermeidung einer Arthrofibrose wichtiger Bestandteil der konservativen Therapie. Physiotherapie und ggf. Lymphdrainage können begleitend früh begonnen werden, um vorsichtig die Kniefunktion zu verbessern. Neuromuskuläre passive Stimulation über selbst angewandte Geräte als auch intrinsisches Training der aktiven Koordination werden im Verlauf in die Therapie stadiengerecht unter Berücksichtigung der Rehabilitationsphasen miteinbezogen. Eine Orthesenbehandlung zur passiven Stabilisierung des Knies und ggf. nicht operationsbedürftiger Kapsel- und Kollateralbandinstabilitäten kann ergänzend eingesetzt werden. Bei konservativem Therapieansatz ist eine regelmäßige ärztliche/therapeutische Kontrolle notwendig, um die Therapiewahl kritisch zu überprüfen und einen möglicherweise notwendigen Therapiewechsel hin zur Operation bei ungünstigem klinischem Verlauf nicht zu verpassen [5].

Operative Therapie

Transplantatwahl

Der operative Gold-Standard der Versorgung einer vorderen Kreuzbandruptur ist der arthroskopisch assistierte Kreuzbandersatz mittels autologer Sehnentransplantate. Verwendet werden Patellasehnenstreifen mit anhängenden Knochenblöcken aus Patella und Tibia, Hamstringsehnentransplantate (Semitendinosus und/oder Gracilissehne) in Mehr-Bündeltechnik und Quadrizepssehnentransplantate mit/ohne Knochenblock [7, 21, 28, 50]. Gemeinsame Eigenschaften dieser Transplantate ist eine mit dem natürlichen vorderen Kreuzband vergleichbare Zerreißkraft und Elastizität. Unterscheidungsmerkmale hinsichtlich ihrer Verwendung sind die unterschiedlichen Entnahmemorbiditäten und Verankerungsmöglichkeiten (Tab. 1, Abb. 4).

Die Patellarsehne stellt als „Bone-Tendon-Bone-Tansplantat“ (BTB) aufgrund der Möglichkeit der primärstabilen Fixation sowie der raschen Einheilung der endständigen Knochenblöcke das bis heute am weitesten verbreitete Transplantatmedium für die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes dar [1, 80]. Nachteile sind Entnahmestellenmorbidiät und vermehrt auftretende femoropatellare Schmerzsymptomatik mit im Langzeitverlauf auftretenden patello-femoralen Knorpelschäden [26, 71].

Hamstringsehnen zeigen Vorteile in der geringeren Entnahmemorbidität und Schonung des Extensorenmechanismus. Relevante Störungen der Beugesehnenfunktion durch das Entfernen der Semitendinosus-/ Gracilis-Sehne entstehen in der Regel nicht [40]. Nachteil ist die Weichteilfixierung der freien Sehnenenden im Knochen. Diese ist gemäß biomechanischen Testungen anfangs in der Osteointegrationsphase weniger stabil als die Fixation endständiger Knochenblöcke analog der BTB-Plastik [12].

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5