Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Vordere Kreuzbandruptur
Konzepte, Diagnostik und therapeutische Überlegungen

Bei der VKB-Ruptur des Sportlers wird zur Therapieempfehlung eine differenzierte Anamnese benötigt, welche die sportliche und berufliche Aktivität sowie das subjektive Instabilitätsgefühl beinhaltet. Wittenberg et al. zeigten, dass Patienten mit geringem sportlichem Anspruch, wenig Alltagsbelastung und sitzender Tätigkeit bei isolierter VKB-Ruptur konservativ behandelt werden können [76]. Die konservative Therapie beinhaltet angepasste Aktivität, Orthesenbehandlung, Koordinations- und Muskelaufbautraining. Trotzdem konnten in Langzeitstudien von Aichroth et al. eher nur unbefriedigende Resultate erzielt werden [2]. Bei assoziierten Meniskusschäden gilt die Entstehung einer sekundären Gonarthrose als gesichert [18]. Deshalb erklärt sich auch, dass in der Studie von Frobell et al. 51 % der primär konservativen Patienten innerhalb der ersten 5 Jahre doch operiert wurden [27]. Monkses und Risberg zeigten in ihrer Untersuchung, dass sportlich ambitionierte Patienten oder schwer körperlich arbeitende Menschen ein funktionierendes vorderes Kreuzband benötigen und eher operativ versorgt werden sollten [44]. Begleitende Kollateralbandläsionen Grad I?II heilen konservativ aus und müssen operativ nicht versorgt werden. Grad III–II-Läsionen weisen hingegen eine ungünstige Prognose unter konservativer Behandlung auf und müssen bei objektivierbarer Instabilität im Rahmen einer VKB-Plastik-Operation zusätzlich versorgt werden, entweder mit einer Innenbandnaht oder optional mittels Innenbandplastik. Streich et al zeigen, dass einem positiven Pivot shift-Test Grad II–III eine zusätzliche rotatorische Instabilität zugrunde liegt und bessere Ergebnisse bei einer operativen Versorgung erzielt werden können [69]. Bei dieser höhergradigen Rotationsinstabilität kann neben der VKB-Plastik auch eine additive ALL-Plastik Sinn machen [79].

Die operative Versorgung des gerissenen vorderen Kreuzbandes stellt nach wie vor höchste technische und chirurgische Ansprüche an den erfahrenen Operateur dar. Unbefriedigende postoperative Ergebnisse können auch operationstechnisch bedingt sein. Lobenhoffer et al. und Woods et al. sehen die fehlerhafte Tunnelpositionierung als Hauptgrund für Revisionen nach VKB-Plastik [70, 78].

Weder Patellarsehnen- noch Hamstringssehnentransplantate konnten in den letzten Jahren gegenüber dem jeweils konkurrierenden Verfahren eindeutige und insbesondere konsistente Vorteile aufweisen [30]. Eine vergleichende Metaanalyse von Freedman et al. konnte nachweisen, dass die Patellarsehnenplastik generell der stabilere und mit einer geringeren Quote an Transplantatversagen behaftete Bandersatz ist [26]. Dem gegenüber stellt der vordere Knieschmerz, den im Mittel 17 % der Patienten als Entnahmemorbidität angaben, einen wesentlichen Nachteil gegenüber Hamstringsehnen dar. Zusätzlicher Vorteil der Hamstrings scheinen weniger patellofemorale Krepitation, seltener Streckdefizit und geringerer vorderer Knieschmerz zu sein [71]. Neuere Studien mit reinen Quadrizepssehnentransplantaten weisen geringere Entnahmemorbiditäten als die klassischen Transplantate auf bei vergleichbarer Stabilität. Damit ähneln diese mehr der Originalfunktion des vorderen Kreuzbandes [45]. Kommende Langzeitstudien werden zeigen, ob sich die Quadrizepssehne als Primärimplantat weiter durchsetzt. Bezüglich der subjektiven Parameter lässt sich unabhängig von der Transplantatwahl generell in bis zu 95 % eine hohe Patientenzufriedenheit nachweisen [20, 26, 42]. Klinische Studien zeigen, dass Patienten ohne begleitende Meniskus- und Knorpelschäden signifikant bessere Resultate nach Kreuzbandrekonstruktion sowohl in subjektiven als auch in objektiven Parametern erzielen [36]. Die erfolgreiche Rückkehr zum präoperativen Leistungsniveau ist in hohem Maße von begleitenden Meniskusläsionen und Knorpelschäden abhängig, die im Verlauf eine zunehmende Arthrose mit deren Folgebeschwerden verursachen können [24].

Die initial einsetzende inflammatorische Reaktion und die Begleitverletzungen sind prognostisch entscheidend [3]. Der Operationszeitpunkt während der inflammatorischen Phase mit Produktion von Zytokinen führt laut Irie et al. häufiger zu einer Arthrofibrose [9, 32]. Eine Einschränkung der sportlichen Aktivität aufgrund von Beschwerden im verletzten Knie ist laut Fink et al. relativ hoch, vor allem bei High-risk-Sportarten wie Fußball oder Ski Alpin [23]. Schweiger et al. fanden für diese Sportarten einen Rückgang des Aktivitätslevels von 34 % [58]. Eine Korrelation zwischen postoperativer Kniestabilität und Sportaktivität konnte von Schmidt-Wiethoff et al. nicht gefunden werden [55]. Der Zeitpunkt des „return to sport“ wird in der aktuellen Literatur kontrovers diskutiert [14, 35]. Es gibt eine große Auswahl an unterschiedlichen Testbatterien wie z.B. dem Functional Movement Screen (FMS), der Krafttestung von Muskelgruppen, den „Hop-Tests“ und neuerdings Sensor gesteuertem BioFeedback-Training, mit der die Funktionalität einer VKB-Plastik im Verlauf getestet werden kann. Es existiert jedoch kein Konsens darüber, welche Erfolgsrate bei der Testauswertung die Wiederaufnahme des Sports erlaubt [17]. Allerdings zeigen Athleten, die vor ihrer Verletzung auf Wettkampfniveau Sport ausübten, bezüglich der Zeitspanne bis zur Wiederaufnahme der Sportaktivität bessere Ergebnisse als weniger aktive Sportler [55]. Kaplan und Witvrouw konnten in ihrer Meta-Analyse zeigen, dass die „psychological readiness“ eine vermehrte Rolle spielt, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, wann es sicher ist, zum Sport zurückzukehren ohne eine Reruptur zu riskieren. Patienten mit wenig Angst vor einer Reruptur, hohem Maß an Selbstkontrolle und einer guten Selbstwahrnehmung konnten häufig auf ihr „Vor-Verletzungs“-Sportniveau zurückkehren und hatten die geringsten Rerupturraten [35].

Kindliche Kreuzbandrupturen, die konservativ versorgt werden, zeigen in der zeitlichen Abfolge eine Abnahme der sportlichen Aktivität [59]. Darüber hinaus konnten diverse Autoren frühzeitig Sekundärschäden an Menisken und Knorpel dokumentieren, bedingt durch die persistierende Kniegelenksinstabilität mit rezidivierenden giving way-Episoden. Auch konnten bereits nach im Durchschnitt 51 Monaten post Trauma radiologische Arthrosezeichen festgestellt werden. Deshalb empfehlen die Autoren gerade bei offenen Wachstumsfugen die primäre operative Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes [84].

Schlussfolgerungen

Die vordere Kreuzbandverletzung hat gravierende Veränderungen der physiologischen Kniegelenkskinematik zur Folge und damit einhergehend auch häufig eine Limitierung der Sportfähigkeit.

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