Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Vorzeitiger posttraumatischer Wachstumsfugenverschluss am distalen Unterschenkel
Ursachen und TherapiekonzepteCauses and treatment

Michael Wachowsky1, Francisco F. Fernandez1, Thomas Wirth1

Zusammenfassung: Traumatische Epiphysenlösungen am distalen Unterschenkel sind selten. Die Folge kann ein vorzeitiger Wachstumsfugenverschluss sein. Dieser kann zu einem Achsfehler und einer Beinverkürzung führen. Fugenverschluss, Achsfehler und Beinlänge können im Röntgenbild diagnostiziert werden. Größe und Lokalisation der Knochenbrücke können im CT und MRT früher und genau dargestellt werden. Die Therapie ist abhängig vom Alter des Patienten, der Größe und Lage der Knochenbrücke und der bereits bestehenden Fehlstellung.

Bei ausreichendem Restwachstum können Knochenbrücken bis 50 % der Wachstumsfuge reseziert werden, Fehlstellungen werden mit einer Epiphyseodese oder Osteotomie behandelt. Beinlängenunterschiede können durch eine Epiphyseodese der Gegenseite oder durch Kallusdistraktion therapiert werden. Im Beitrag werden Ursachen, Diagnostik und therapeutische Möglichkeiten des posttraumatischen vorzeitigen Wachstumsfugenverschlusses des distalen Unterschenkels dargestellt.

Schlüsselwörter: Traumatische Epiphysenlösung, vorzeitiger Wachstumsfugenverschluss, Wachstumsstörung, Kindertraumatologie, Fraktur Unterschenkel

Zitierweise
Wachowsky M, Fernandez FF, Wirth T.. Vorzeitiger posttraumatischer Wachstumsfugenverschluss am distalen Unterschenkel. Ursachen und Therapiekonzepte.
OUP 2015; 07: 364–368 DOI 10.3238/oup.2015.0364–0368

Summary: Traumatic epiphyseal separations of the distal shank are rare. The consequence may be a premature closure of the growth plate. This may lead to axial deviation and leg shortening. The closure of the growth plate, axial deviations and leg length can be diagnosed by radiographs. CT and MRI can show the exact size and localization of the physeal bridge, thereby allowing an earlier diagnosis. Therapy depends upon the age of the patient, the size and the location of the physeal bridge and the existing deformity.

Depending on sufficient residual growth, physeal bridges up to 50 % of the growth plate can be removed. Deformities are treated with an epiphysiodesis or osteotomy. Leg length discrepancies may be treated with an epiphysiodesis of the contralateral leg or callus distraction. In this article, the causes, diagnostics and therapeutic options of the post-traumatic premature closure of the growth plate of the distal shank are presented.

Keywords: traumatic epiphyseal separation, premature growth arrest, growth disturbance, pediatric traumatology, shank
fracture

Zitierweise
Wachowsky M, Fernandez FF, Wirth T.. Posttraumatic premature physeal closure of the distal lower leg. Causes and treatment
OUP 2015; 07: 364–368 DOI 10.3238/oup.2015.0364–0368

Traumatische Epiphysenlösungen im Wachstumsalter an der unteren Extremität sind selten. Am häufigsten kommen sie an der distalen Tibia vor. Als Folge kann es zum vorzeitigen Wachstumsfugenverschluss mit progredienten Achsfehlern und/oder Verkürzung des Beins kommen [1–9]. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die in der Literatur angegebenen Ursachen, die zum vorzeitigen Wachstumsverschluss führen, sowie Therapiemöglichkeiten, wenn dieser eingetreten ist.

Die traumatische Epiphysenlösung an der distalen Tibia ist die zweithäufigste Fraktur langer Röhrenknochen, sie wird mit 2,8 % aller Frakturen im Wachstumsalter angegeben [9].

Die Einteilung der Frakturen mit Wachstumsfugenbeteiligung wird am häufigsten nach der Klassifikation nach Salter-Harris [10] durchgeführt, wobei

  • Typ I einer Fugenlösung ohne metaphysären Keil,
  • Typ II einer Fugenlösung mit metaphysärem Keil,
  • Typ III einer Fugenlösung mit epiphysärem Keil und
  • Typ IV einer wachstumsfugenkreuzenden Fraktur entspricht.
  • Typ V als Wachstumsfugenstauchung wird erst durch den vorzeitigen Fugenverschluss auffällig [11].

Eine weitere Klassifikation nach Dias und Tachdjian teilt die Frakturen nach ihrem Verletzungsmuster ein, diese wird aber seltener verwendet [12].

Der Altersgipfel der Frakturen ist zwischen 11 und 13 Jahren [10]. Patienten mit Salter-Harris- (SH) I-Frakturen sind im Durchschnitt 1,5 Jahre jünger als Patienten mit SH-II-Frakturen [13, 14].

Die Inzidenz des vorzeitigen Wachstumsfugenverschlusses wird in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben. Für SH-I- und SH-II-Frakturen werden in älteren Veröffentlichungen Angaben zwischen 5–15 % [6, 10, 14], in aktuelleren Veröffentlichungen Inzidenzen bis 39 % beschrieben [7]. Bei SH-IV- und SH-V- Frakturen wird ein vorzeitiger Fugenverschluss bis 50 % beschrieben [7, 15]. Offene Frakturen mit Fugendefekt führen zur Knochenbrücke der Fuge [16]. Folgende Ursachen werden für den vorzeitigen Wachstumsfugenverschluss angegeben [2, 8, 11, 14, 17]:

  • 1. Frakturtyp nach Salter Harris,
  • 2. Frakturmechanismus,
  • 3. Dislokation vor und nach Reposition,
  • 4. Anzahl der Repositionen,
  • 5. Therapiemethode (geschlossene oder offene Reposition, mit oder ohne Osteosynthese).

Allerdings werden die Ursachen von den Autoren nicht einheitlich bewertet [4, 6–8, 14, 17, 18]. Ein Wachstumsfugenverschluss ist auch nach metaphysären Frakturen möglich und wahrscheinlicher, je näher die Fraktur an der Wachstumsfuge liegt [6]. Ein kompletter Wachstumsfugenverschluss führt zu einer Beinlängendifferenz, partielle periphere Fugenverschlüsse medial zur Varusfehlstellung, lateral zur Valgusfehlstellung [17]. Fugenverschlüsse der Fibula führen zur Verkürzung ohne Achsfehler. Klinische Verlaufskontrollen mit Bildgebung werden alle 3–4 Monate empfohlen [18, 19].

Bildgebung

Röntgen

Frühzeichen einer Wachstumsstörung sind Fugenerweiterungen oder -verschmälerungen [20]. Nach 3 Monaten kann eine Knochenbrücke sichtbar werden [20]. Harris Wachstumslinien sind ab dem 3. Monat nach der Fraktur nachweisbar (Fallbeispiel 1, Pfeile) [19]. Sie entstehen durch Scheiben transversal ausgerichteter Trabekel, die sich während langsameren Wachstums bilden. Wenn das Wachstum sich normalisiert, wächst die Fuge von der Linie weg, die in der Metaphyse verbleibt [21, 19]. Sie verlaufen bei ungestörtem Wachstum parallel zur Fuge. Ein schräger Verlauf weist auf einen partiellen Fugenverschluss hin (läuft auf den verschlossenen Fugenanteil zu) [21, 17]. Im weiteren Verlauf zeigt das Röntgenbild eine entstehende Achsabweichung und den Längenunterschied im Vergleich zur Gegenseite.

Computertomografie (CT)/Kernspintomografie (MRT)

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