Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Wachstumslenkung am distalen Unterschenkel und Fuß

Präoperativ müssen andere Klumpfuß-assoziierte Deformitäten, wie beispielsweise der Flat-Top-Talus, die Verkürzung/Vernarbung des dorsalen Kapselbandapparats sowie der Achillessehne und das Impingement durch eine elongierte ventrale Kapsel ausgeschlossen, bzw. deren Therapie mitgeplant werden. Bei vorliegender verminderter Dorsalextensionsfähigkeit, vergrößertem ADTW und noch offenen Wachstumsfugen ist die temporäre Epiphyseodese der distalen ventralen Tibia eine Therapieoption. Hierzu wird unter Bildwandlerkontrolle eine „8-plate“ eingebracht, die die distale Tibiaepiphysenfuge umgreift. Auf eine exakte Schraubenlage ist zu achten. Die Schraubenlänge ist dabei so zu wählen, dass in der sagittalen Ebene etwa 40 % des Durchmessers der distalen Tibia nicht überschritten werden. Unmittelbar postoperativ kann mit der schmerzadaptierten Vollbelastung begonnen werden. Die Indikation zur Entfernung der Platte sollte v.a. klinisch, im Sinne einer signifikanten Verbesserung der Dorsalextension des Fußes, gestellt werden. Ist die Wachstumsfuge bereits verschlossen bevor eine ausreichende Verbesserung eingetreten ist, sollte unserer Ansicht nach die Platte entfernt werden. Nicht selten sind bei den Kindern Folgeoperationen notwendig, die durch einliegendes Material erschwert werden. Mögliche Komplikationen sind das Implantatversagen, die Penetration der Schrauben in das OSG bzw. in die Epiphysenfuge sowie die Überkorrektur [21].

Erste Ergebnisse dieser Methode sind ermutigend. Die Arbeitsgruppe um Zaid Al- Aubaidi konnte bei 25 Kindern mit Rezidivklumpfuß und erhöhtem ADTW eine Veränderung des ADTW im Mittel um 13° feststellen. Eine Korrelation zwischen den radiologischen und klinischen Ergebnissen konnten sie jedoch nicht nachweisen, da sich die Dorsalextensionsfähigkeit „nur“ um 2° gebessert hatte [21]. Die Evaluation der 12 in unserer Klinik therapierten Kinder zeigt mit einer mittleren Verbesserung der Dorsalextensionsfähigkeit um 6° und einer Verringerung des ADTW im Mittel um 12° eine gewisse Korrelation der klinischen und radiologischen Parameter.

Fallbeispiel 2 (Abb. 3)

Die Röntgenbilder zeigen den erhöhten ADTW (85°) bei einem 12-jährigen Jungen mit residuellem Spitzfuß bei zugrunde liegendem Klumpfußrezidiv (Abb. 3 A). Die Dorsalextension betrug präoperativ 0°, Fersenkontakt beim Gehen war nicht möglich. In den Verlaufsbildern ist die ventrale distale Tibiaepiphyseodese mittels 8-plate postoperativ (Abb. 3 B) und kurz vor der Materialentfernung (Abb. 3 C) abgebildet. Es ist eine deutliche Reduktion des ADTW auf 68° zu erkennen. Die Dorsalextension hatte sich auf 15° gebessert, sodass die Indikation zur Entfernung der Platte gestellt werden konnte.

Epiphyseodese der lateralen Wachstumsfuge des Os metatarsale I zur Behandlung des juvenilen Hallux valgus

Juveniler Hallux valgus

Definitionsgemäß spricht man bei Kindern zwischen dem 11. und 18. Lebensjahr von einem juvenilen Hallux valgus und bei Kindern bis zum 10. Lebensjahr von einem kindlichen Hallux valgus. Die Inzidenz beträgt in der Literatur 1,6 %, wobei Mädchen etwa 5-mal häufiger betroffen sind [22]. Da der kindliche Hallux valgus zumeist keinerlei Beschwerden verursacht, erfolgt die erste Konsultation des Arztes zumeist jenseits des 10. Lebensjahrs aufgrund eines „atypischen Aussehens” oder Druckstellen im Schuh. Schmerzen spielen eine eher untergeordnete Rolle [23]. Objektiviert wird die Hallux-valgus-Deformität in einem ap-Röntgenbild des Fußes im Stand mit typischerweise nach lateral abfallendem, distalen metatarsalem Gelenkflächenwinkel (DMMA, distal metatarsal articular angle). Wie beim Erwachsenen werden der Hallux-valgus-Winkel und der Intermetatarsalwinkel bestimmt. Neben diesen Winkeln, die das Ausmaß der Fehlstellung beschreiben, steht zur Indikationsstellung für eine operative Therapie v.a. der Leidensdruck der Patienten im Vordergrund. Neben konservativen Maßnahmen im Kindesalter, wie dem Tragen von pass- und fußgerechten Schuhen sowie von redressierenden Bandagen [24], stehen operative Verfahren zumeist als Kombination weichteilbalancierender Eingriffe und Korrekturosteotomien zur Verfügung [25–26]. Aufgrund einer relativ hohen Rezidivrate nach solchen Eingriffen bei Kindern und Jugendlichen wird in der Literatur die operative Korrektur der Hallux-valgus-Deformität nach Abschluss des Skelettwachstums (13–16 Jahre) diskutiert [27]. In einigen Fällen ist dieses jedoch nicht umzusetzen, da die Deformität zu schnell fortschreitet und die Kinder mitunter doch starke Probleme haben.

Epiphyseodese der lateralen Wachstumsfuge des Os metatarsale I

Erstmalig wurde Ende der 1990er Jahre über eine wachstumslenkende Therapie des juvenilen Hallux valgus berichtet [28]. Gute Ergebnisse wurden sowohl nach Ausbohren der lateralen Wachstumsfuge des Os metatarsale I [29], als auch nach Verklammerung der Fuge beschrieben [30]. Eigene Erfahrungen bei bisher 13 Kindern (21 Füße) mit einer temporären Schraubenepiphyseodese der lateralen Wachstumsfuge des Os metatarsale I zeigen ebenfalls eine gute Korrektur der Hallux-valgus-Deformität. Die Epiphyseodese wird durch eine minimalinvasiv einzubringende, kanülierte, i.d.R. 3 mm dicke Kortikalisschraube durchgeführt. Die Schraube wird unter Bildwandlerkontrolle von medial über den lateralen Anteil der Fuge in die Epiphyse eingebracht. Der Schraubenkopf sollte versenkt werden, damit es postoperativ zu keinen Weichteilproblemen kommt.

Fallbeispiel 3 (Abb. 4)

Die dargestellten Röntgenbilder zeigen die juvenile Hallux-valgus-Deformität eines 11 Jahre alten Mädchens, die über entsprechende Schmerzen und Probleme im Schuh klagte. Nach ausführlicher Aufklärung wurde bei einem präoperativen Hallux-valgus-Winkel von 22° und einem Intermetatarsalwinkel von 19° (Abb. 4 A) die laterale Schraubenepiphyseodese am Os metatarsale I durchgeführt. Sieben Monate später hatten sich sowohl die klinischen Probleme als auch die radiologischen Parameter (Abb. 4 B) gebessert.

Subtalare Schraubenarthrorise zur Behandlung des schmerzhaften, flexiblen Knick-Senk-Fußes

Flexibler Knick-Senk-Fuß

Der Knick-Senk-Fuß ist einer der häufigsten Gründe für eine orthopädische Vorstellung im Kindesalter. Im frühen Kindesalter handelt es sich um eine durch die Laxizität der Bänder bedingte physiologische Fußform [31]. Bis zum 7. Lebensjahr sollte sich das Fußlängsgewölbe dann ausgebildet haben [32]. Die Prävalenz des Knick-Senk-Fußes im Vorschulalter wird mit 36–52 %, nach dem 10. Lebensjahr mit 4 % beschrieben [31, 33]. Es wird zwischen flexiblen, rigiden und neurologischen Knick-Senk-Füßen unterschieden. Asymptomatische Knick-Senk-Füße sind zumeist nicht behandlungsbedürftig [34]. Beim schmerzhaften Knick-Senk-Fuß sollten, neben der klinischen Untersuchung, Röntgenbilder des Fußes im Stehen dorsoplantar und lateral angefertigt werden. Typische radiologische Befunde sind ein talocalcanearer Winkel >35° sowie ein talometatarsaler Winkel >0° (Meary’s line). Bei klinischem Verdacht auf eine Coalitio sollte diese mittels Schrägaufnahmen, bei noch bestehenden Zweifeln mittels schnittbildgebender Verfahren diagnostiziert, bzw. ausgeschlossen werden. In der klinischen Untersuchung ist neben der Prüfung der Flexibilität insbesondere auch auf eine Verkürzung der Wadenmuskulatur zu achten, da ein Spitzfuß häufig durch einen Knick-Senk-Fuß maskiert wird. Für schmerzhafte rigide sowie neurologische Knick-Senk-Füße werden zumeist invasive operative Therapien wie Exzisionen von Coalitiones, Calcaneusverschiebeosteotomien, Calcaneusverlängerungsosteotomien sowie Arthrodesen empfohlen. Der flexible Knick-Senk-Fuß wird häufig mit Orthesen therapiert, jedoch existiert bisher in der Literatur keine entsprechende Evidenz für deren Wirksamkeit [32, 35].

Subtalare Schraubenarthrorise

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