Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2013

Weichteilbalancierung im Rahmen der Hüftendoprothetik

J. Jerosch1

Zusammenfassung: Die Weichteilbalancierung spielt eine entscheidende Rolle zur Rekonstruktion der individuellen Biomechanik des Patienten. Bei einem Großteil der auf dem Markt befindlichen Prothesen ist es nicht möglich, die individuelle Beinlänge, Offset sowie den CCD-Winkel individuell zu rekonstruieren. Dieses ist jedoch Voraussetzung für eine möglichst normale Hüftfunktion sowie für eine lange Lebensdauer auch bei anspruchsvollen Patienten.

Schlüsselwörter: Hüftendoprothetik, Weichteilbalancierung, Offset, Beinlänge, CCD-Winkel

 

Zitierweise

Jerosch J: Weichteilbalancierung im Rahmen der Hüftendoprothetik. OUP 2013; 7: 360-366. DOI 10.3238/oup.2013.0360-0366

Abstract: Soft tissue balancing is an important factor to reconstruct the individual anatomy of a patient, who needs a total hip replacement. In the majority of the cases the present available implants do not allow an anatomic reconstruction of the individual leg length, offset and CCD-angle. However, this is necessary in order to allow normal hip function and a long survival rate of THR even in demanding patients.

Keywords: hip replacement, soft tissue balancing, leg length, offset, CCD-angle

 

Citation

Jerosch J: Soft tissue balancing in THR. OUP 7–2013; 7: 360-366.

DOI 10.3238/oup.2013.0360-0366

Einleitung

Veränderungen an der Hüftgelenkgeometrie nehmen in erheblichem Maß Einfluss auf die Kräfteverhältnisse und somit auf die Belastung des Gelenks und insbesondere der hüftstabilisierenden Muskulatur. Diese Veränderung, selbst bei alleiniger Betrachtung der Frontalebene, muss in vielfältigen Aspekten im Prothesendesign und der Operationsdurchführung berücksichtigt werden. Parameter, die auf die Gelenkbelastung einwirken, sind das Offset (Abb. 1), der CCD-Winkel, der Anteversionswinkel, Varus- oder Valguspositionierung der Prothese, Medialisation des Acetabulums und Lateralisation des Trochanters [3].

Schon in den Anfängen der Hüftgelenkendoprothetik ging Charnley [4] davon aus, dass Offsetverkleinerungen zu Instabilität und Subluxation führen, besonders wenn diese in Kombination mit Medialisation der Gelenkpfanne (deep set socket) verwendet wurde. Um einer potenziellen Schwäche des Prothesenmaterials bei Offsetvergrößerung entgegenzuwirken, versuchte Charnley, durch Beibehaltung eines langen ossären Stumpfs des femoralen Schenkelhalses, den Hals der Prothese zu unterstützen; schon hier fand somit das Prinzip der schenkelhalsteilerhaltenden Endoprothese Anwendung. In dieser Zeit war es sonst üblich, eine Resektion des femoralen Schenkelhalses fast bis zum kleinen Trochanter durchzuführen. Das Offset rein durch das Implantatmaterial zu erzielen, brachte zu dieser Zeit das Risiko des Materialversagens mit sich. Eine Offsetverkleinerung mit erhöhtem CCD-Winkel war also rein aus materialtechnischen Gründen notwendig.

Aus diesem Grund gestaltete man den Prothesenkonus im oberen Bereich auch dicker. Das Problem der Reduktion des Hebelarms der Adduktoren bei exzessiv kurzem Offset, wodurch mehr Muskelkraft benötigt wird, die Gelenkbelastung zunimmt und so letztendlich der Vorteil der verringerten Biegebelastung verloren geht, wurde jedoch zunehmend evident. Die Lateralisation des Trochanters war die logische Schlussfolgerung, um die normale Länge des Abduktorhebels und den normalen Zugwinkel zu erreichen. Allerdings ist die maximale Versetzungsmöglichkeit wegen des benötigten Knochenkontakts auf etwa einen Zentimeter begrenzt gewesen. Aufgrund der gegebenen anatomischen Verhältnisse verlängert dies aber den Hebel des Abduktors nur um 0,5 cm. Für eine weitere Vergrößerung müssten additive Maßnahmen wie z.B. die Interposition eines Knochentransplantats durchgeführt werden. Auch diese kleinen Verschiebungen des Trochanters haben jedoch große Auswirkungen auf die Biomechanik, weil die Abduktorkraft in dieser Region hoch ist.

Die schon früh von Charnley dargestellten Erkenntnisse zum Einfluss des Offsets auf die Gesamtbiomechanik der Hüfte hat sich leider wenig in den meisten Prothesendesigns niedergeschlagen. Eine eigene Untersuchung, bei welcher bei 50 konsekutiven Patienten, die zur Implantation einer Hüftendoprothese vorgemerkt waren, digital 90 unterschiedliche Hüftendoprothesen geplant wurden, zeigte teilweise überraschende Ergebnisse [10]. Die Ergebnisse zeigten teilweise extreme Änderungen des Offsets bis zu 2,73 cm, sowohl im Sinne der Offsetvergrößerung als auch im Sinne der Offsetverkleinerung (Abb. 2, 3, 4, 5, 6).

Von den 4500 virtuellen Implantationen ließen sich die Prothesen 1502-mal passgenau einsetzen, 2085-mal verkleinerten sie das Offset (im Durchschnitt um 0,69 cm), und 913-mal vergrößerten sie das Offset (im Durchschnitt um 0,7 cm) (Abb. 7).

Bei der Analyse der Passgenauigkeit einzelner Prothesen zeigte sich, dass diese sehr variiert. So ließen sich manche Prothesentypen nur bei 2 Patienten passgenau implantieren, andere aber bei bis zu 40 Patienten. Die evaluierten Endoprothesendesigns waren bei durchschnittlich 17 Patienten zu implantieren. Nur 11 Modelle ließen sich bei mehr als der Hälfte der Patienten passend einsetzen, davon 7 bei mindestens 30 Patienten und 3 bei mindestens 35 Patienten. Dagegen ließen sich 18 Modelle bei weniger als 10 Patienten passend einsetzen. Der Mittelwert der Offsetabweichung aller Prothesen betrug –0,17 cm (Range: –0,75 cm bis +0,63 cm).

Auch bei Kurzschaftendoprothesen fällt durchaus bei einigen proximal verankerten Prothesen die Reduktion des Offsets auf (Abb. 8).

Selbst oder sogar gerade auch mit einem „anatomischen“ Oberflächenersatz kann man bei Medialisierung der Hüftpfanne die individuelle Biomechanik nicht rekonstruieren (Abb. 9).

Es gibt für den Operateur verschiedene Möglichkeiten, bei einer Hüftprothesenimplantation mit effektiven Maßnahmen in die Biomechanik der Hüfte einzugreifen. Man erkannte in diesem Zusammenhang schon frühzeitig 3 Lösungsansätze für das Offset-Problem:

  • Lateralisation des Trochanters zur Vergrößerung des Hebelarms der Abduktoren,
  • Verlängerung des Prothesenhalses mit damit verbundener Beinverlängerung,
  • direkte alleinige Veränderung des Offsets.
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