Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2013
Weichteilbalancierung im Rahmen der Hüftendoprothetik
Die Lateralisation des Trochanters hat im klinischen Alltag keine Relevanz. Die Vergrößerung des Offsets durch eine Prothesenhalsverlängerung hat den erheblichen Nachteil, dass man hierdurch in die Beinlängenverhältnisse eingreift [10] (Abb. 10).
Dieses ist zurzeit ein klinisch und medizinrechtlich relevantes Problem. So berichten Iaguli et al. [17], dass selbst bei erfahrenen Operateuren bei 410 Patienten nach Hüft-TEP eine mittlere Beinverlängerung von 3,9 mm resultierte. Shiramizu et al. [28] berichten über eine mittlere Beinverlängerung von 3,4 mm, eine Verlängerung von mehr als 12 mm in 5 % der Fälle und in 7 % der Patienten über eine symptomatische Beinverlängerung, die eine Absatzerhöhung notwendig machte. Edeen et al. [8] zeigten, dass 32 % der Patienten einen Beinlängenunterschied wahrnahmen. Diese Beinlängenunterschiede sind nicht selten Gegenstand von juristischen Auseinandersetzungen [23, 24].
Ein Vergleich der unterschiedlichen Kurzschaftprothesen hinsichtlich der anatomischen Rekonstruierbarkeit der individuellen Hüftgeometrie (Offset/CCD-Winkel/Beinlänge) zeigt deutliche Unterschiede. Hierbei gilt zu berücksichtigen, dass der mittlere CCD-Winkel bei Patienten, die eine Hüftendoprothese erhalten, etwa 125° und das femorale Offset etwa 35 mm beträgt [11]. Zwar versuchen viele Autoren, auf die Relevanz der Schenkelhalsosteotomie für die Biomechanik der Prothese hinzuweisen [21], bei Prothesensystemen mit CCD-Winkel von mehr als 130° ist es jedoch kaum möglich, Patienten mit einem CCD-Winkel von 125° anatomisch zu versorgen [1, 2, 10].
Unterschiedliche Autoren zeigten, dass die Reproduzierbarkeit der individuellen Biomechanik mit Kurzschaftendoprothesen sehr differiert [1, 2, 10, 13]. In einer eigenen Studie untersuchten wir die Rekonstruierbarkeit von 100 Coxarthrosehüften mit 9 Kurzschaftprothesen [13]. Hierbei wurde evaluiert, in wie viel Prozent der Fälle einer Reproduzierbarkeit des Offsets innerhalb von 2 mm und des CCD-Winkels innerhalb von 2° möglich war. Der CCD-Winkel bei den evaluierten Patienten reichte von 117°–149°. Die Ergebnisse variierten zwischen 41 % und 92 % (Abb. 11).
Auch der detaillierte Vergleich unterschiedlicher Kurzschaftsysteme zeigt Unterschiede im Detail, die sich jedoch erheblich auf die Hüftgeometrie und -biomechanik auswirken. So gibt es beispielsweise Systeme, deren Halslängen bei allen Größen gleich bleiben, während diese bei anderen Systemen proportional in der Schaftgröße ansteigen. Dieses führt zu erheblichen Änderungen der Biomechanik bei der Implantation (Abb. 12).
Offensichtlich ist zur Balancierung der Weichteile die Veränderung des Offsets die beste und einfachste Lösung [4, 27]. Bereits Charnley hat darauf hingewiesen, dass ein vergrößertes Offset das Bewegungsausmaß vergrößert und die Gefahr des Impingements verringert. Bei Offsetvergrößerung mit gleichzeitiger Hebelarmverlängerung der Abduktoren werden auch die mechanischen Vorteile und die Stärke der Abduktoren verbessert. Die auf die Hüfte wirkenden Kräfte werden reduziert. Gleichzeitig bewirkt eine Offsetvergrößerung eine erhöhte Weichteilspannung, welche die Stabilität der Hüfte vergrößert. Die Beziehung zwischen Abduktorschwäche und Hinken bei verringertem Offset ist ebenfalls bekannt.
Mögliche Nebenwirkung ist eine Belastungsvergrößerung der Prothese, aber durch die verwendeten Materialien ist dies heute nicht mehr klinisch relevant [29]. Trotzdem könnte die Belastung im medial-proximalen Femur vergrößert werden. Diese möglichen Nebenwirkungen wurden von Davey et al. [6] und Wong et al. [30] untersucht. Davey et al. führten an Kadaverfemora mit zementierten Prothesen direkte Messungen der Belastungen auf Knochen, Metall und im Zement durch. Offsetvergrößerung resultierte zur Abnahme der auftretenden Kraft und der benötigten Kraft für die Abduktion; die Belastung im medial-proximalen Zement wurde nicht signifikant erhöht. Wong et al. [30] zeigten anhand einer finiten Elementanalyse für unzementierte Hüftprothesen am Kaninchenknochen, dass sowohl die benötigte Abduktorkraft wie auch die resultierende Kraft bei Offsetvergrößerung signifikant reduziert werden. Obwohl die Belastung in der distalen Prothese leicht erhöht wurde, führte dies nicht zu einer beachtenswerten Erhöhung der Belastung im Knochen. Zusätzlich wurde festgestellt, dass der Knochenzuwachs bei der Osteointegration der Prothese durch Offsetvergrößerung nicht beeinflusst wird.
Ein im Vergleich zum ursprünglichen Zustand anatomisch gleiches oder größeres Offset führt zu einem verringerten Polyethylen-Abrieb [26]. Delp et al. [7] weisen besonders auf den Schutz oder die Wiederherstellung der Muskelkapazität hin. Auch Lindgren und Rysavy [18] vertreten die Meinung, dass eine Verkürzung des Hebels der Abduktoren durch Offsetverkleinerung Trendelenburg-Hinken und/oder seitliche Hüftschmerzen verursacht; die vertikale Belastung des Acetabulums wird vergrößert, dadurch steigt die Impingementgefahr mit Risiko zur Dislokation und Schmerz. Eine Beinverlängerung sollte auch vermieden werden, da sie oft Probleme mit sich bringt.
Viele der momentan auf dem Markt befindlichen Hüftprothesen bewirken durch die vorgegebene Geometrie mit zu großem CCD-Winkel und zu geringem Offset eine Überbelastung und Insuffizienz der glutealen Muskeln [22, 27]. Auf diese Problematik haben auch Massin et al. [19] hingewiesen. Obwohl der normale CCD-Winkel im Mittel 125° beträgt [10, 20], haben Hüftprothesensysteme im Durchschnitt einen Winkel von 135° sowie ein zu geringes Offset.
Wegen großer Variationsbreite der proximalen Knochengeometrie passen aber viele Systeme nur in normal geformte Knochen [22]. Auch Sakai et al. [25] zeigten, dass viele Prothesen die ursprünglichen anatomischen Verhältnisse nicht wiederherstellen können.
Mit dem Prinzip der schenkelhalsteilerhaltenden Kurzschaftprothese ist dieses Problem durchaus lösbar (Abb. 13).
Im Rahmen einer Multicenterstudie konnten diese Zusammenhänge auch deutlich dargestellt werden (Abb. 14) [13].