Informationen aus der Gesellschaft - OUP 01/2020

Wir sind Anwälte unserer Patienten
Kongresspräsidenten der Frühjahrstagung 2020 der VSOU

Die beiden Münchner Ärzte Univ.-Prof. Dr. med. Peter Biberthaler und Univ.-Prof. Dr. med. Rüdiger von Eisenhart-Rothe stehen als Doppelspitze für die seit vielen Jahren fachlich vereinigten Bereiche der Orthopädie und Unfallchirurgie: Sie sind beide tätig am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Prof. Biberthaler als Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Prof. von Eisenhart-Rothe als Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie.

„Warum wollen wir Innovation, warum größtmögliche Qualität? Nicht primär, um die Effizienz zu steigern, sondern um unsere Patienten bestmöglich zu behandeln. Das ist unser ethischer Anspruch. Und die Ethik ist die gemeinsame Klammer über allem ärztlichen Handeln. Eng damit verbunden sind natürlich auch berufspolitische und v.a. gesundheitsökonomische Aspekte. Diese Aspekte beeinflussen zwar nur indirekt medizinische Belange. Trotzdem definieren sie im Wesentlichen die Rahmenbedingungen unseres Alltags“, sagt Univ.-Prof. Dr. med. Rüdiger von Eisenhart-Rothe.

„Wir haben in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Die Qualität ist so herausragend, dass viele Patienten aus anderen Ländern versuchen, bei uns behandelt zu werden. Dieser Vorsprung basiert auf der kontinuierlichen Innovationskraft, mit der auf allen Gebieten der Medizin, ganz besonders aber im Gebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie, in den letzten Jahrzehnten geforscht und entwickelt wurde“, betont Prof. Biberthaler.

Die beiden Mediziner laden als Kongresspräsidenten zum zweitgrößten deutschen Kongress dieses Fachgebietes ein, der vom 30. April bis 02. Mai 2020 im Kongresshaus Baden-Baden stattfindet und unter dem Motto „Innovation. Qualität. Ethik“ steht. Fünf gemeinsame Fragen an die Kongresspräsidenten zu Erwartungen und Zielen der Jahrestagung:

Welche persönliche Ausrichtung möchten Sie dem Kongress geben?

von Eisenhart-Rothe und Biberthaler: Uns ist es besonders wichtig, drei Aspekte im Kongress abzubilden: die zunehmende Grenzverschmelzung zwischen ambulantem und stationärem Sektor, die Nachwuchsarbeit sowie berufspolitische Aspekte. Wir wollen unsere Patienten bestmöglich behandeln – sowohl auf dem konservativen als auch operativen Gebiet. Deshalb ist es entscheidend, dass sich angestellte Klinikärzte ebenso wie niedergelassene Kollegen in den Kongressinhalten wiederfinden. Darauf haben wir bei der Programmgestaltung Wert gelegt. Besonderes Augenmerk haben wir auf die Einbindung der jüngeren Kollegen gelegt. Qualifizierte und motivierte Nachwuchskräfte werden ein Schlüsselfaktor in der Zukunft sein. Aus diesem Grund sind vielfältige Veranstaltungen von unseren jungen Kollegen – und für sie – in den Kongress eingebunden. In berufspolitischer Hinsicht möchten wir u.a. die zunehmende Ökonomisierung in der Medizin thematisieren.

Stichwort Innovationen: Eine Sitzung des Kongresses heißt „Der Operationssaal der Zukunft“. Welche Innovationen werden sich hier finden?

Biberthaler: Das ist für ein hoch technisiertes Fachgebiet wie O&U natürlich ein Prime-Thema: Wir werden alle hoch innovativen Möglichkeiten aufzeigen, wie z.B. Robotik, Navigation, sprachgesteuerte OP-Atlanten auf Großbild-Leinwänden, automatisierte intraoperative Röntgenbilddetektion etc. Auch werden innovative OP-Techniken und Implantate präsentiert werden. Für Bereiche wie Knocheninfektionen, ausgedehnte Weichteilschäden, große Knochendefekte oder das gesamte Gebiet der Alterstraumatologie fehlen teilweise noch optimale Lösungen, gerade in der Unfallchirurgie. Hierfür werden innovative Themen, wie Robotik, Tissue Engineering und Digitalisierung helfen, die Dinge weiter zu entwickeln und zu verbessern.

Stichwort Qualität: wie ist der Stand der individualisierten
Medizin?

von Eisenhart-Rothe: Die individualisierte Medizin ist eines der sich am schnellsten entwickelnden Gebiete in der Diagnostik bzw. konservativen und operativen Therapie von O und U. Hier werden neue Technologien, wie z.B. die der automatisierten Röntgenbilderkennung oder 3D-Druckverfahren für individualisierte Implantate eine Rolle spielen, aber auch neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Labordiagnostik oder der targeted therapy.

Stichwort Ethik: Wo ist aus Ihrer Sicht die Verantwortung besonders groß? Wo gibt es Nachholbedarf?

Biberthaler: Die ethische Verantwortung ist prinzipiell im gesamten Gebiet von O und U sehr groß. Hierbei gilt für uns das Vertrauen der Patienten in uns und unsere Tätigkeit als wertvollstes Gut. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass wir uns mit aller Kraft gegen die zunehmende Ökonomisierung der Medizin stemmen müssen: Wir sind die Anwälte unserer Patienten gegenüber den administrativen Strukturen und man darf sich auf keinen Fall instrumentalisieren lassen. Ökonomische Ziele dürfen keinen Einfluss auf unsere therapeutischen Entscheidungen gewinnen. Ansonsten ist das Vertrauen der Patienten verspielt. Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel. Wir müssen eine Strategie entwickeln, den eingeschlagenen Weg der radikalen Ökonomisierung der Medizin in einen modifizierten Ansatz umzuwandeln. Es ist klar, dass wir nicht unbegrenzt Ressourcen verschleudern können und das wird auch niemand wollen. Aber die ökonomischen Zwänge haben ein Ausmaß erreicht, welches eine dringende Aktion aus dem Bereich der Unfallchirurgen und Orthopäden erfordert.

von Eisenhart-Rothe: Gerade die digitale Transformation verändert den Gesundheitssektor in dieser Hinsicht in besonderem Maße. Die Speicherung persönlicher Gesundheitsinformationen in elektronischen Gesundheits- und Patientenakten, Big data, die Vernetzung medizinischer Datenbanken, die Kombination mit künstlicher Intelligenz, der Einsatz von gesundheitsbezogenen Apps – all diese Anwendungen eröffnen vielversprechende neue Möglichkeiten, werfen jedoch zugleich eine Vielzahl ethischer Fragen auf. Der ethische Aspekt geht jedoch weiter. Die technischen Möglichkeiten sind heutzutage so vielfältig, dass das mögliche medizinische Handeln gerade auf den Gebieten der Kinderorthopädie, der Polytrauma-Behandlung sowie der Alterstraumatologie immer auch unter menschlichen, ethischen Gesichtspunkten evaluiert werden muss.

Wenn Sie auf die nächsten Jahre schauen, welche Entwicklung (en) würden Sie sich dringend für O und U wünschen?

Biberthaler: Ich würde mir wünschen, dass die finanziellen Mittel zur Forschung und Entwicklung deutlich gesteigert werden. Vergleicht man den Aufwand, der im Vergleich zu anderen medizinischen Themen betrieben wird, wie z.B. der Erforschung neurologischer Erkrankungen, fällt unser Fachbereich weit zurück und hier müssen wir versuchen, eine deutliche Steigerung zu erzielen.

Wir haben zwar im internationalen Vergleich einen sehr hohen Stand der medizinischen Versorgung erreicht jedoch stagnieren im Moment die Anstrengungen, dies weiter zu entwickeln und daraus folgt ganz klar ein Rückschritt im Vergleich zu den hoch dynamischen Entwicklungen anderer Länder, allen voran China. Wir benötigen dringend einen Ruck, der durch unsere Forschungs- und Entwicklungsfördereinrichtungen geht und der mit viel mehr Innovationskraft und Risikobereitschaft Mittel für zukünftige Entwicklungen zur Verfügung stellt. Wir leben in einer Zeit von disruptiven Veränderungen gerade auf dem Gebiet von O&U und müssen dringend aufwachen, damit diese Entwicklungen nicht an uns vorbei nur in USA oder Asien stattfinden.

von Eisenhart-Rothe: Die zukünftigen Herausforderungen, sei es die Ökonomisierung oder Digitalisierung müssen proaktiv von uns als Ärzten adressiert werden! Kommen wir dieser Aufgabe nicht nach, werden fachfremde Akteure ohne Rücksicht auf Qualität, Recht oder Ethik Lösungen bringen. Hierzu sind sektorenübergreifende Diskussionen und Einigkeit notwendig. Innovation, Qualität und Ethik ziehen sich durch alle Bereiche der Versorgungssektoren. Sei es eine Videosprechstunde oder Telekonsile, Pflegepersonaluntergrenzen, TSVG, oder Honorierungssysteme. Und in einer Zeit der Digitalisierung, wo es zu einem Verschwimmen der Grenzen kommt bzw. sogar von einzelnen Institutionen die Aufhebung der Grenzen gefordert wird, müssen wir diese Themen auch übergreifend diskutieren und gemeinsam der Politik sinnvolle Lösungen aufzeigen.

Das Interview führte: Romy Held, Conventus

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