Übersichtsarbeiten - OUP 04/2021

Worauf gilt es, bei der oralen medikamentösen Schmerztherapie muskuloskelettaler Schmerzen zu achten?

Raimund Casser

Zusammenfassung:
Die medikamentöse Schmerztherapie muskuloskelettaler Beschwerden ist häufig aufgrund komplexer Ursachen und Neigung zur Chronifizierung nicht erfolgversprechend. Andererseits ist sie gerade bei akuten Beschwerden aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit und kurzfristigen Wirkung unverzichtbar. Umso mehr verlangt sie vom Behandler ein umfangreiches Wissen und große Erfahrung bezüglich Präparateauswahl unter Berücksichtigung von Wirksamkeit und Nebenwirkungen, Dosierung und Patientenaufklärung - wohlwissend dass es sich um eine symptomatische Therapie handelt.

Schlüsselwörter:
Schmerztherapie, Schmerzmedikamente, Analgetika, muskuloskelettale Beschwerden

Zitierweise:
Worauf gilt es, bei der oralen medikamentösen Schmerztherapie muskuloskelettaler Schmerzen zu achten?
OUP 2021; 10: 155–159
DOI 10.3238/oup.2021.0155–0159

Summary: Medicine pain therapy of musculoskeletal complaints are often not promising because of complex causes and tendency to chronize. On the other hand, it is essential to acute complaints, given its light availability and short-term effects. All the more it requires the treatment of the patients to be fully aware that this is symptomatic therapy, taking thoroughly into account the effectiveness and side effects, dosage and patient education.

Key words: Pain therapy, pain medication, analgetics, musculoskeletal complaints

Citation: What is it about to pay attention to the oral medical pain therapy in musculoskeletal complaints?
OUP 2021; 10: 155–159. DOI 10.3238/oup.2021.0155–0159

DRK Schmerz-Zentrum, Mainz

Die medikamentöse Behandlung muskuloskelettaler Schmerzen ist aufgrund häufig unklarer Ursachen, chronisch rezidivierender Verläufe, unzureichender Wirkungen und erheblicher Nebenwirkungen schwierig und unbefriedigend.

Das in der Schmerztherapie propagierte Stufenschema der WHO mit Stufe I: Nicht-Opioide (z.B. Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Diclofenac, Paracetamol, Metamizol), Stufe II: schwache Opioide (wie Tramadol, Tilidin, Codein, Dihydrocodein) und Stufe III: starke Opioide (wie Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, Buprenorphin, Fentanyl, Metadon) lässt sich bei muskuloskelettalen Beschwerden weniger gut anwenden.

Das Dilemma der medikamentösen oralen Therapie bei orthopädischen Krankheitsbildern ergibt sich alleine schon aus der Zulassung. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und COX-II-Hemmer sind in der Regel nur bei entzündlichen Vorgängen zugelassen und bei myofaszialen Schmerzsyndromen weniger wirksam und nicht indiziert.

Zentrale Muskelrelaxantien sind aufgrund ihrer zentral dämpfenden Wirkung sowie spezifischer Nebenwirkungen bei muskuloskelettalen Beschwerden in ihrem Anwendungsbereich erheblich eingeschränkt, Opioide aufgrund eingeschränkter Wirksamkeit und ihrer Nebenwirkungen nur ausnahmsweise indiziert. Für Rückenschmerzen wie auch für Arthrosebeschwerden fehlen ursachenspezifische Analgetika.

Trotzdem sind orale Schmerzmedikamente für den akuten Schmerz bzw. für chronisch rezidivierende muskuloskelettale Beschwerden aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit und schnellen Wirksamkeit nicht wegzudenken, bedürfen aber einer strengen Indikationsstellung.

Paracetamol

Paracetamol gilt gerade in der angloamerikanischen Literatur als Standardschmerzmittel, zumal es rezeptfrei erhältlich ist. In Deutschland ist Paracetamol für leichte bis mäßig starke Schmerzen und Fieber zugelassen und wird im Vergleich zu den NSAR in therapeutischer Dosis als nebenwirkungsarm eingestuft. Paracetamol hat eine geringe therapeutische Breite mit dosisabhängiger Lebertoxizität. Die vorgegebene maximale Tagesdosis von 4 g für Patienten über 50 kg und ohne Komorbidität sollte nicht überschritten werden [22]. Die Wirksamkeit von Paracetamol bei muskuloskelettalen Beschwerden ist umstritten. Bei Patienten mit akuten oder chronischen Kreuzschmerzen, konnte keine Verbesserung der Schmerzsymptomatik in qualitativ hochwertigen RCT verglichen mit Placebo nachgewiesen werden [15].

NSAR und Coxibe

Der Wirkmechanismus und das Risikoprofil von traditionellen NSAR und Coxiben wurden in den letzten Jahren intensiv untersucht [9, 20, 21].

Während der analgetische Effekt auf einer Hemmung der Cox-II beruht, spielen für Nebenwirkungen sowohl die Cox-1 als auch die Cox-2 Hemmung eine Rolle. Die kurzzeitige schmerzlindernde und funktionsverbessernde Wirksamkeit oral applizierter, nicht-steroidaler Antirheumatika (NSAR) bei akuten und chronischen nicht-spezifischen Kreuzschmerzen gegenüber Placebo werden in mehreren Übersichtsarbeiten belegt [13, 17, 18]. Innerhalb der Gruppe der NSAR fanden sich keine wesentlichen Unterschiede in der Wirksamkeit. Aufgrund potenziell gefährlicher Nebenwirkungen wie zum Beispiel anaphylaktischer Schock sollte die orale Applikation gegenüber intravenöser, intermuskulärer oder subkutaner Verabreichung bevorzugt werden [18].

In den Fachinformationen werden zahlreiche Nebenwirkungen der einzelnen Substanzen beschrieben wie gastrointestinale Komplikationen (Ulcera, Blutungen, Perforationen), Nieren- und Leberschäden sowie Einfluss auf die Blutgerinnung, Allergien und Asthmaanfälle. Bei Langzeitanwendung wurden kardiovaskuläre Nebenwirkungen von Coxiben wie auch von konventionellen NSAR untersucht und nachgewiesen. Durch Überwiegen der Cox-II-Hemmung, das heißt mehr prothrombotische als antithrombotische Effekte, werden kardiobedingt zerebrovaskuläre Ereignisse begünstigt. Dabei sind die Kontraindikationen bzw. Nebenwirkungen für die Wirkstoffe unterschiedlich. Für Ibuprofen und Naproxen (überwiegend Cox-I-Inhibition) sind dabei weniger kardiologische Nebenwirkungen zu erwarten als für Diclofenac oder Celecoxib [09, 20]. Celecoxib zeigt bei Patienten mit vorbestehenden kardiovaskulären Risikofaktoren hinsichtlich kardiologischer Nebenwirkungen keine schlechteren Ergebnisse als die traditionellen NSAR wie Ibuprofen bzw. Naproxen [4, 9]. Dagegen wurde bei Naproxen (1000 mg pro Tag) mit seiner ausgeprägten Affinität zu Cox-I vermehrt Blutungen im Gastrointestinaltrakt nachgewiesen [4]. Gefährlich ist die zusätzliche Gabe von Antikoagulantien, wodurch das Blutungsrisiko zusätzlich erhöht wird [9]. Es wird deshalb die zusätzliche Medikation mit Protonenpumpen-Inhibitoren empfohlen. Die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen wird neben dem Einfluss wirkstoffspezifischer Effekte auch von der üblicherweise eingesetzten Dosierung und der Anwendungsdauer bestimmt [8]. Ebenso erhöht gleichzeitige Einnahme von NSAR und Paracetamol oder auch niedrig dosierter Acetylsalicylsäure selbstverständlich das Risiko gastrointestinaler Blutungen. Das in der Praxis häufig verwendetet Ibuprofen wird bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen wie schlecht eingestellter arterieller Hypertonie, Herzinsuffizienz, KHK, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) sowie bei höherer Dosierung (mehr als 2400 mg) dem Risiko von Diclofenac und Rofecoxib vergleichbar eingestuft. Hingegen sah die EMA bei niedrigen Dosierungen von bis zu 1200 mg Ibuprofen/Tag kein erhöhtes Risiko [4]. Interessant ist, dass kanadische Untersuchungen [2] ein erhöhtes Infarktrisiko schon in der ersten Behandlungswoche mit einem NSAR bestätigen. Bei gleichzeitiger Einnahme von NSAR und Paracetamol oder auch niedrig dosierter Acetylsalicylsäure erhöht sich das Risiko gastrointestinaler Blutungen zusätzlich [17].

SEITE: 1 | 2 | 3