Übersichtsarbeiten - OUP 04/2021

Worauf gilt es, bei der oralen medikamentösen Schmerztherapie muskuloskelettaler Schmerzen zu achten?

Hinzukommt, dass die Wirksamkeit einer Opioid-Therapie bei orthopädisch-unfallchirurgischen und rheumatischen Erkrankungen überschätzt wird. So weist die 2018 publizierte SPACE-Studie bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen oder Cox-Gonarthrose über 1 Jahr keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Schmerzreduktion zwischen der Opioid- und der Nicht-Opioid-Gruppe aus [7].

Bei akuten und schwerwiegenden Schmerzzuständen wie bei osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen oder entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wie Spondylarthritiden oder Spondylodiszitiden liegen zwar keine evidenzbasierten Empfehlungen für Opioide vor, allerdings ist hier ein individueller Therapieversuch gerechtfertigt.

In der LONTS S3-Leitlinie (Langzeit Anwendung von Opioide bei chronischen-nicht tumorbedingten Schmerzen, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-003.html) wird bei Therapieresistenz beziehungsweise Kontraindikation für Nicht-Opioid-Analgetika eine Empfehlung für den Einsatz bei chronischen Rücken-und Arthroseschmerzen ausgesprochen, allerdings eingeschränkt auf die Therapiedauer von 4–26 Wochen. Das heißt ein möglichst befristeter Einsatz mit Evaluation der Wirksamkeit wird gefordert. Die Indikation sollte auf einen relevanten somatischen Schmerzanteil mit Ineffizienz oder Unverträglichkeit anderer Analgetika und Versagen nicht-medikamentöser Therapiemaßnahmen beschränkt werden. Krankheitsbilder, bei denen funktionelle und psychische Aspekte im Vordergrund stehen, werden als Kontraindikationen für Opioide gesehen. Insbesondere betrifft dies das Fibromyalgie-Syndrom, anhaltende somatische Schmerzstörungen und primäre Kopfschmerzen.

Bedeutsam während einer Opioidbehandlung sind auch Hinweise für einen Opioidfehlgebrauch, so bei konstanter Einnahme trotz geringer bis fehlender Wirksamkeit, trotz Aufklärung, Absprache und längerer ärztlicher Anbindung, wechselnde Schmerzlokalisationen und multilokuläre Ausbreitung (Generalisierung) der Schmerzen sowie eine opioidinduzierte Hyperalgesie (Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit) und Opioidresistenz). Hinweise für einen Missbrauch bzw. Abhängigkeit sind ein hoher Ruheschmerz sowie eine Diskrepanz zwischen Schmerzangabe und Verhalten, Anfordern eines bestimmten Opioids, speziell von kurzwirksamen und schnellanflutenden Opioiden, Opioideinnahme überwiegend zur Symptomlinderung wie Distress, Unruhe, Angst, Depression und Schlafstörung, nicht abgesprochene Dosiserhöhungen, Drängen auf Dosiserhöhung ohne Verbesserung der Symptome bzw. Funktion, wiederholte Unzuverlässigkeiten oder mangelnde Compliance, verschwiegene zusätzliche Einnahme von Substanzen mit Suchtpotenzial, Veränderungen von vereinbarten Einnahmeintervallen, eigenständige Anpassung nach Bedarf und Abwehr von Therapieveränderungen sowie auch Wesensveränderungen unter der Therapie (z.B. Impulskontrollstörungen).

Essentiell ist also eine Risikostratifizierung des Einsatzes von Opioiden bei muskuloskelettalen Erkrankungen zur Minimierung von Nebenwirkungen und Abhängigkeit [7]. Dies setzt eine umfangreiche psychosoziale Anamnese und Screening auf psychische Störungen und Komorbiditäten voraus. Der Einsatz retardierter Präparate mit langer Wirkdauer und festem Einnahmeplan sollten präferiert werden und die Tageshöchstdosis sollte auf 120 mg Morphinäquivalent begrenzt werden. Insbesondere ist bei chronischen Schmerzzuständen im Bereich eine Monotherapie nicht zu befürworten, stattdessen sollte die Einnahme in ein interdisziplinäres multimodales Therapiekonzept eingebettet sein. Eine Langzeitverordnung kommt nur bei eindeutigen Respondern infrage. Die relativ hohe Abbruchrate bei Opioidverordnungen beruhen meist auf Nebenwirkungen wie Übelkeit, Obstipation, Schwindel, gelegentlich auch Verwirrtheit und Libidoverlust, die einer entsprechenden Zusatzbehandlung bedürfen, bzw. bei anhaltender Beschwerdesymptomatik zum Absetzen der Präparate führen. Auch die Gefahr einer Erhöhung des Sturzrisikos sollte vor Therapiebeginn gerade bei älteren Patienten abgeklärt werden.

Fazit

Die Behandlung muskuloskelettaler Beschwerden ist multimodal, d.h. eine medikamentöse Monotherapie ist insbesondere bei anhaltenden bzw. chronischen Beschwerden zu vermeiden. Es handelt sich um eine rein symptomatische Behandlung.

Mit Beginn der medikamentösen Schmerztherapie sollte dem Patienten bei länger zu erwartenden Behandlungszeiten mit den im Vordergrund stehenden aktivierenden Maßnahmen ein realistisches und relevantes Therapieziel und Behandlungsprogramm vermittelt werden, das nicht nur die Verringerung der Schmerzstärke als Erfolgskriterium, sondern auch die Verbesserung der körperlichen Funktionen wie der Gehstrecke, der Beweglichkeit, der Belastbarkeit und der Alltagsaktivitäten beinhaltet. Die Auswahl der Medikation sollte Komorbiditäten, Begleitmedikation und Unverträglichkeiten, aber auch Vorerfahrungen und Präferenzen des Patienten berücksichtigen.

Bei der Akutschmerzbehandlung sollte eine stufenweise Dosistitration bis zum Erreichen des Effektes mit der geringstmöglichen Dosis angestrebt werden. Der Behandlungserfolg sollte kurzfristig überprüft werden und ein zeitiges Ausschleichen bzw. Absetzen der Medikation bei Verbesserung der Symptomatik berücksichtigen.

Bei chronischen Beschwerden ist die Wirksamkeit der Medikation regelmäßig zu überprüfen, und gegebenenfalls rechtzeitig medikamentöse Umstellungen vorzunehmen. Der Patient sollte ausreichend informiert und aufgeklärt werden über mögliche Nebenwirkungen, das Nutzen-Risikoverhältnis und mögliche Alternativen. Dies sichert die Compliance und Einnahmedisziplin des Patienten, insbesondere bei zu erwartender zusätzlicher Informationen und Stellungnahme durch andere Personen und Medien. Andererseits muss grundsätzlich gerade bei umfassender Aufklärung ein Noceboeffekt einkalkuliert werden.

Bei Hinweisen für eine medikamentöse Therapieresistenz und Verdacht auf Chronifizierungsfaktoren ist ein interdisziplinäres Assessment indiziert mit umfassender Schmerzdiagnostik und Einleitung adäquater Behandlungsmaßnahmen.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Hans-Raimund Casser

Ärztlicher Direktor

DRK Schmerz-Zentrum

Auf der Steig 16

55131 Mainz

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