Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017

Worauf müssen wir beim Einsatz von Metamizol achten?

Die Letalität (Sterblichkeit) der durch Arzneimittel verursachten Agranulozytose hat in den letzten Jahren jedoch stark abgenommen. Während die Letalität in der Ära vor Einführung von Antibiotika mit über 70 % angegeben wurde und danach mit 10–25 % [8], verstarben nach 1990 nur noch 5–6 % der Patienten an ihrer akuten Agranulozytose [1]. Nach Andrès et al. [3] betrug die Sterblichkeit an Arzneimittel-induzierter Agranulozytose nur noch 2 %. In einer Arbeit speziell zur Metamizol-induzierten Agranulozytose betrug die Letalität sogar nur 0 % [14, 15].

Dieser Rückgang der Sterblichkeit ist auf verbesserte intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten und eine erhöhte Wachsamkeit der Ärzte für Agranulozytose-verursachende Arzneimittel und damit ein früheres Absetzen der potenziell verursachenden Arzneimittel zurückzuführen [8].

Aufklärung

Für den Arzt ergibt sich ein erhebliches haftungsrechtliches Problem, denn nur in den seltensten Fällen wird die Verschreibung mit der Aufklärung über das Risiko einer bedrohlichen Leukopenie verbunden. Auch eine „therapeutische Aufklärung“, zum Beispiel mit Verhaltensempfehlungen bei Auftreten von Fieber und Halsschmerzen, findet in der Regel nicht statt. Das zahlenmäßig sehr geringe Risiko wird dabei angesichts der guten Wirksamkeit und der Verträglichkeit vernachlässigt.

Hierbei handelt es sich keinesfalls um abstrakte Risiken. Es gibt entsprechende Entscheidungen von den Gutachterkommissionen der Ärztekammern, von Landgerichten bis hin zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgrund von vermeintlich fehlerhaftem Vorgehen bei verstorbenen Patienten gegen die behandelnden Kollegen. Solche staatsanwaltlichen Ermittlungen können je nach Ausgang des Verfahrens bis hin zu einer Vorbestrafung und Verlust der Approbation führen. Deshalb gilt es, einige Grundprinzipien bei der Verordnung von Metamizol zu beachten, die uns behandelnde Ärzte vor Anschuldigungen sichern.

Eine allgemeine Aufklärungspflicht vor jeder Medikamentengabe ist sicherlich unrealistisch, und es ist für viele Kollegen wahrscheinlich unverständlich, warum dies gerade für ein verbreitetes und gut verträgliches Schmerzmittel wie Metamizol anders sein sollte.

Bei bestimmten Medikamenten mit typischen und ernsthaften Risiken oder Nebenwirkungen, z.B. Blutungen unter Antikoagulanzien, gilt eine Pflicht zur Risikoaufklärung für Juristen als unbestritten. Wo die Grenze zwischen ernsthaft und nicht ernsthaften Risiken zu ziehen ist, ist vom Gesetzgeber nicht eindeutig fixiert. 2006 fand eine Konferenz von Ärzten und Juristen statt, auf der diese Fragen diskutiert wurden [18]. Es hat sich herausgestellt, dass es keine eindeutige Grenze gibt, von der ab eine Aufklärung wegen besonderer Risiken zu erfolgen hat. Oftmals ergibt sich deshalb erst im Zusammenhang mit einem Arzthaftungsverfahren und einem Richterspruch, ob eine Aufklärung im konkreten Fall notwendig gewesen wäre. Diese Situation ist natürlich aus ärztlicher Sicht sehr unbefriedigend, denn es fehlen klare Anhaltspunkte für konkrete Entscheidungssituationen.

Die Juristen haben jedoch sehr allgemein formuliert: Eine Aufklärung ist immer dann durchzuführen, wenn für ein bestimmtes Medikament eine „typische“ Nebenwirkung bekannt ist und wenn durch die Realisierung eines damit verbundenen Risikos die weitere Lebensgestaltung wesentlich beeinträchtigt werde. Dabei wurde betont, dass die Häufigkeit der typischen Nebenwirkungen keine Rolle spiele, über diese also auch bezüglich sehr seltener typischer Nebenwirkungen aufzuklären sei.

Hieraus leitet sich nicht unbedingt die Schlussfolgerung ab, dass die Aufklärung mittels vorgedruckter und handschriftlich zu ergänzender Aufklärungsbögen (z.B. Perimed oder proCompliance) zu erfolgen hat. So scheint es auszureichen, wenn in einer Klinik oder einer Praxis eine hausinterne Regelung über Form und Umfang der Aufklärung formuliert wird und wenn aus der patientenbezogenen Dokumentation hervorgeht, dass eine dementsprechende Aufklärung tatsächlich stattgefunden hat, z.B. durch ein spezielles Kürzel im Behandlungsblatt.

Neben der Risikoaufklärung ist im Fall von Metamizol eine Sicherungsaufklärung (therapeutische Aufklärung) wichtig, etwa in dem Sinne, dass im Fall von Fieber/Schüttelfrost, Halsschmerzen, Abgeschlagenheit oder Affektionen von Haut oder Schleimhäuten unverzüglich ein Arzt aufzusuchen und auf die Medikamenteneinnahme hinzuweisen sei [25]. Ideal wäre auch die Empfehlung, etwa eine Woche nach Beginn der Novalgin-Therapie ein Blutbild anfertigen zu lassen.

Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft hat im Deutschen Ärzteblatt 2011 deutlich darauf hingewiesen, dass Patienten bei Verordnung von Metamizol auf das Agranulozytoserisiko hingewiesen werden müssen: „Patienten müssen über das Risiko und mögliche Warnsignale wie Fieber, Halsschmerzen und Entzündungen im Bereich der Mundschleimhäute (Stomatitis) aufgeklärt werden“ [5].

Ebenso haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das für die Überwachung der Arzneimittelsicherheit in Deutschland zuständig ist, und andere Publikationen auf diese Aufklärung hingewiesen [1, 12, 23]. Rotthauwe vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schreibt in einem Artikel zu Metamizol: „Der behandelnde Arzt hat auf Zeichen einer Agranulozytose zu achten und den Patienten über das Risiko und mögliche Symptome aufzuklären. Mögliche Zeichen sind unter anderem: Verschlechterung des Allgemeinbefindens, Fieber, Schüttelfrost, Entzündungen im Bereich der Schleimhäute und Angina Tonsillaris mit Halsschmerzen und Schluckbeschwerden“ [23].

Man muss dies auch vor dem Hintergrund sehen, dass es im August 2011 in der allen Ärzten zugänglichen und von Ärzten meist gelesenen Fachzeitschrift, dem Deutschen Ärzteblatt, eine zweiseitige Warnung vor der Metamizol-induzierten Agranulozytose durch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft gab [5].

Wie Sie eine derartige Aufklärung mit wenig Aufwand und dennoch juristisch abgesichert in Ihren Praxis- oder Klinikalltag integrieren können, finden Sie auf der IGOST-Homepage unter www.igost.de.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass wir nach wie vor Metamizol in der orthopädischen Schmerztherapie einsetzen können. Es gilt nur folgendes zu beachten:

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4